Corona-Krise: Testpflicht an Schulen in der Kritik
Krefting: „Klassenzimmer sind keine Testzentren“

München — Disput bestimmt die Lage an bayerischen Bil­dungs­ein­rich­tun­gen auch ei­ne Wo­che nach Ein­füh­rung der „Bundes-Notbremse“. Wäh­rend all­ge­mein- und be­rufs­bil­den­de Schu­len bun­des­weit beim Über­schrei­ten ei­ner 7-Tage-In­zi­denz von 165 in den Dis­tanz­un­ter­richt wech­seln müs­sen, gilt dies im Frei­staat Bayern wei­ter schon ab ei­ner In­zi­denz von 100 – Ab­schluss­klas­sen und Viert­kläss­ler aus­ge­nom­men. Da­bei wächst die Kri­tik am Test­kon­zept der Staats­re­gie­rung: Nach­dem die Ar­beits­ge­mein­schaft Baye­ri­scher Leh­rer­ver­bän­de, die 60.000 Lehr­kräf­te ver­tritt, das Tes­ten in Klas­sen­zim­mern grund­sätz­lich ab­ge­lehnt hat, for­dert nun der Baye­ri­sche El­tern­ver­band in Ver­tre­tung al­ler baye­ri­schen El­tern und Kin­der ei­ne Än­de­rung des Test­ver­fah­rens an Schu­len. Sei­ne Be­grün­dung: Das der­zei­ti­ge Pro­ce­de­re äng­stigt El­tern und Kin­der we­gen der Mög­lich­keit von Ver­let­zun­gen und Kontaktallergien.

Wegweiser

Präsenzunterricht während der „dritten Welle“

Das „Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen La­ge von na­tio­na­ler Trag­wei­te“ vom 22. April 2021 soll die „dritte Welle“ der Ver­brei­tung des neu­ar­ti­gen Coronavirus’ (SARS-CoV-2) ein­däm­men, auch an all­ge­mein- und be­rufs­bil­den­den Schu­len. Maß­ga­be: ⭲ Prä­senz­un­ter­richt ist nur bei Ein­hal­tung an­ge­mes­se­ner Schutz- und Hy­gie­ne­kon­zep­te zu­läs­sig, Lehr­kräf­te und Schü­ler müs­sen sich zu­dem zwei­mal in der Wo­che auf ei­ne In­fek­tion mit SARS-CoV-2 tes­ten las­sen. Über­schrei­tet ein Land­kreis oder ei­ne kreis­freie Stadt ei­ne 7-Tage-In­zi­denz (7-TI) von 100, wird Prä­senz­un­ter­richt von Wech­sel­un­ter­richt ab­ge­löst, ab 165 ist jed­we­der Prä­senz­un­ter­richt un­ter­sagt. In Bayern gilt in­des wei­ter die strik­te­re Re­gel, wo­nach ab ei­ner 7-TI von 100 in den Dis­tanz­un­ter­richt zu wech­seln ist.1 „Ich hal­te die im Bun­des­ge­setz für die Schulen vor­ge­se­he­nen Maß­nah­men für nicht zu En­de ge­dacht“, er­klärt Prof. Dr. Michael Piazolo, MdL (Freie Wähler), Staats­mi­nis­ter für Un­ter­richt und Kul­tus im Ka­bi­nett Söder II.

Am Präsenzunterricht oder an den Präsenzphasen des Wech­sel­un­ter­richts dür­fen seit dem 12. April fer­ner nur Schü­ler teil­neh­men, die ei­nen ne­ga­ti­ven Corona-Test vor­wei­sen kön­nen. Die­ser kann er­bracht wer­den durch ei­nen Selbst­test, der un­ter Auf­sicht in der Schu­le durch­ge­führt wird oder durch ei­nen PCR- oder PoC-Antigen-Test, der von me­di­zi­nisch ge­schul­tem Per­so­nal durch­ge­führt wur­de. Ein zu­hau­se durch­ge­führ­ter Selbst­test reicht laut Staats­re­gie­rung nicht als Nach­weis aus. Doch die­ses Test­re­gime ist umstritten.

Zutritt nur für negativ Getestete

Die Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Lehrerverbände (abl), wel­cher der Baye­ri­sche Phi­lo­lo­gen­ver­band (bpv), der Baye­ri­sche Real­schul­leh­rer­ver­band e. V. (brlv), die Ka­tho­li­sche Er­zie­her­ge­mein­schaft in Bayern e. V. (KEG) so­wie der Ver­band der Leh­rer an be­ruf­li­chen Schu­len in Bayern e. V. (VLB) an­ge­hö­ren, kri­ti­sier­te be­reits vor der Ver­ab­schie­dung der „Bundes-Notbremse“, in den Schu­len ha­be sich an der Si­cher­heit seit Weih­nach­ten 2020 nichts ge­än­dert. We­der seien ge­nü­gend Raum­luft­rei­ni­ger vor­han­den, noch wür­den Lehr­kräf­te prio­ri­siert geimpft.

Ministerpräsident Dr. Markus Söder (CSU) wurde auf­ge­for­dert, die Test­pflicht aus der Schu­le zu ver­le­gen, so­dass von vorn­herein nur ne­ga­tiv Ge­tes­te­te die Schul­ge­bäu­de be­tre­ten. Die Vor­sit­zen­de der KEG, Walburga Krefting, be­ton­te: „Klas­sen­zim­mer sind kei­ne Test­zen­tren. Sie sind Schutz­räu­me und ste­hen für Si­cher­heit und Ge­bor­gen­heit. Un­se­re Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen kön­nen nicht ver­ste­hen, wa­rum die Selbst­tests der Schü­ler­in­nen und Schü­ler nicht ein­fach au­ßer­halb der Schu­len, zu­hau­se, in Test­zen­tren, in Apo­the­ken oder beim Arzt durch­ge­führt wer­den.“ Die Tests müss­ten viel­mehr von Fach­per­so­nal oder den El­tern be­auf­sich­tigt wer­den, nicht vom Lehrpersonal.

Wir haben in Bayern sehr viele dieser Selbst­tests und Antigen-Schnell­tests be­stellt, ge­kauft und an alle aus­ge­lie­fert, und wir wer­den ein sehr eng­ma­schi­ges Testregime dort fah­ren.
Klaus Holetschek, MdL (CSU), Baye­ri­scher Staats­mi­nis­ter für Ge­sund­heit und Pfle­ge im Ka­bi­nett Söder II,
1. April 2021 (dpa/9C4C95)

Schon im März hatte der Bayerische Philologenverband, der die Lehr­kräf­te an Gym­na­sien und Be­ruf­li­chen Ober­schu­len ver­tritt, ge­for­dert, dass sich al­le Schü­ler, auch je­ne un­ter 15 Jah­re, zu­hau­se tes­ten und erst bei ei­nem ne­ga­ti­ven Test­er­geb­nis den Weg in die Schu­le an­tre­ten. bpv-Vor­sit­zen­der Michael Schwägerl be­an­stan­de­te: „Es gibt viel zu we­nig Raum­luft­rei­ni­ger und es gilt noch nicht ein­mal ei­ne Tra­ge­pflicht für me­di­zi­ni­sche Mas­ken bei Schü­lern. Die Kon­tak­te un­ter den Schü­lern wer­den durch den Wech­sel­un­ter­richt zwar hal­biert, die Lehr­kräf­te ha­ben je­doch Kon­takt zu al­len – al­len Schü­lern und al­len Kol­le­gen.“ Er ver­wahr­te sich ge­gen „Be­ruhi­gungs­ap­pel­le aus Kul­tus- und Ge­sund­heits­mi­nis­te­rium, dass wir uns kei­ne Sor­gen ma­chen sol­len. Die De­vise muss doch sein: Si­cher­heit her­stel­len, be­vor es zu ei­nem po­si­ti­ven Fall kommt und nicht erst im Nachhinein.“

Persönlichkeitsrechte der Kinder

Schwägerl trat zudem Aussagen von Söder und Piazolo ent­ge­gen, an den Schu­len wer­de flä­chen­de­ckend und re­gel­mä­ßig ge­tes­tet. „Dies kön­nen wir nicht be­stä­ti­gen“, so der bpv-Vor­sit­zen­de. Oben­drein sei das Test­kon­zept „am grü­nen Tisch ent­stan­den“: Wenn es Lehr­kräf­ten nicht ein­mal er­laubt sei, Schü­ler mit ei­nem Pflas­ter oder ei­ner Kopf­schmerz­ta­blet­te zu ver­sor­gen, sei nicht nach­voll­zieh­bar, dass nun Or­ga­ni­sa­tion, Aus­wer­tung und Ent­sor­gung der Tests in den Hän­den der Schu­len und Lehr­kräf­te lie­gen sol­le. „Es über­rascht uns da­bei, dass plötz­lich die Per­sön­lich­keits­rech­te der Kin­der kei­ne Rol­le mehr zu spie­len schei­nen, wenn man nach ei­nem po­si­ti­ven Er­geb­nis vor den Au­gen der Klas­sen­ka­me­ra­den ‚ab­ge­son­dert’ wird, wie in den Durch­füh­rungs­hin­wei­sen be­schrie­ben. Wenn die Selbst­tests oh­ne­hin frei­wil­lig sind, stellt sich die Fra­ge, wa­rum die­se nicht – wie ur­sprüng­lich ge­plant – zu Hau­se durch­ge­führt wer­den, sodass po­si­tiv Ge­tes­te­te erst gar nicht in der Schu­le er­schei­nen“, so Schwägerl.

Die seit ei­nem Jahr an­dauern­den Ein­schrän­kun­gen wer­den die Ent­wick­lun­gen un­se­rer Kin­der stö­ren, so­wohl kör­per­lich und mo­to­risch als auch in der Sprach­ent­wick­lung.
Heinz Hilgers (SPD), Prä­si­dent vom Deut­schen Kin­der­schutz­bund Bun­des­ver­band e. V. (DKSB),
4. April 2021 (dpa/9CACA1)

Ähnlich argumentierte Martin Löwe, Vor­sit­zen­der des Baye­ri­schen El­tern­ver­bands e. V. (BEV), der er­gänz­te: „In­fi­zier­te Kin­der ha­ben vor dem Test Kon­takt mit an­de­ren und kön­nen sie an­ste­cken. Au­ßer­dem fürch­ten nicht we­ni­ge ei­ne dis­kri­mi­nie­ren­de Si­tua­tion, wenn es ‚coram publico’ zu ei­nem po­si­ti­ven Test­er­geb­nis kommt und ein Kind ab­ge­holt wer­den oder nach Hau­se ge­hen muss.“ Der BEV for­der­te da­her, dass die Tests zu Hau­se und selbst durch­ge­führt wer­den, da „nie­der­schwel­lig und hygienisch“.

Piazolo verwahrte sich jedoch gegen die Behauptung, bei den im staat­li­chen Kon­zept vor­ge­se­he­nen Selbst­tests wür­den „Ab­stri­che durch un­be­kann­te Per­so­nen“ an Schü­lern vor­ge­nom­men: „Die Be­tei­li­gung der Lehr­kräf­te be­schränkt sich auf die Auf­sicht und ge­ge­be­nen­falls auf das ver­ba­le An­lei­ten der Kin­der und Ju­gend­li­chen“. Flä­chen­de­cken­de Selbst­tests schaff­ten so­gar mehr Si­cher­heit für al­le an den Schu­len, wie die po­si­ti­ven Er­fah­run­gen in Österreich zeig­ten. Wäh­rend den Lehr­kräf­ten über die Oster­ferien wei­te­re 2,6 Mil­lio­nen FFP2-Mas­ken zur Ver­fü­gung ge­stellt wer­den soll­ten, riet Piazolo den Kom­mu­nen, die Mit­tel für mo­bi­le Luft­rei­ni­gungs­ge­rä­te abzurufen.

„Spucktests“ und Transparenz

Die inzwischen „teils lautstarken Proteste von Eltern zu den in der Schule vor­zu­neh­men­den Tes­tun­gen“ las­sen den BEV-Lan­des­vor­sit­zen­den nun for­dern, dass je­de Schul­fa­mi­lie in ei­ge­ner Ver­ant­wor­tung und ge­mein­sam mit der El­tern­ver­tre­tung die Art des Tests be­stim­men soll­te. Da­bei seien „Spuck­tests“ kind­ge­recht, nicht in­va­siv, für Laien ver­trauens­er­we­ckend und hand­ha­bungs­si­cher. Die Tes­tun­gen selbst soll­ten vor­zugs­wei­se nach Hau­se ver­la­gert wer­den, ins­be­son­de­re bei Grund­schü­lern. Au­ßer­dem soll­ten die El­tern künf­tig trans­pa­rent über In­fek­tions­fäl­le in­for­miert und die In­zi­den­zen bayern­weit aus­ge­wer­tet wer­den. Dies wür­de die Ak­zep­tanz der Pflicht­tes­tun­gen deut­lich stei­gern, meint Löwe.

Mehr Information zum Schulbetrieb 2020/2021 und zu Selbsttests in Schulen ist on­line ab­ruf­bar un­ter www.km.bayern.de. 


Erstveröffentlichung

Print: Ro­sen­hei­mer blick, Inn­ta­ler blick, Mang­fall­ta­ler blick, Was­ser­bur­ger blick, 35. Jg., Nr. 17/2021, Sams­tag, 1. Mai 2021, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­tikel“ [199/3/1/1+9]; Inn-Salz­ach blick, 12. Jg., Nr. 17/2021, Sams­tag, 1. Mai 2021, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ [199/3/1/1+9].
Online: ⭱ blick-punkt.com, Frei­tag, 26. April 2021; ⭱ E-Paper Ro­sen­hei­mer blick, ⭱ E-Paper Inn­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Mang­fall­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Was­ser­bur­ger blick; ⭱ E-Paper Inn-Salz­ach blick, Sams­tag, 1. Mai 2021. Stand: Neu­jahr, 1. Ja­nu­ar 2024.
Publikationsverzeichnis: ⭲ Index 2021.

Verweise[+]

 

Dr. Olaf Konstantin Krueger M.A.

Digitaljournalist – Digitalpolitiker

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