Corona-Krise: DLRG befürchtet mehr Badeunfälle
Wiese: „Riesiges Risiko-Potenzial“

München — Sommerurlaub daheim bedeutet für viele auch wäh­rend der Corona-Krise das Ba­den in hei­mi­schen Ge­wäs­sern. Ne­ben den all­ge­mei­nen Ab­stands- und Hy­gie­ne­re­geln gilt wei­ter­hin Ob­acht beim Schwim­men. Denn 2019 sind in baye­ri­schen Seen und Flüs­sen 95 Men­schen ums Le­ben ge­kom­men. Mehr als die Hälf­te von ih­nen war 65 Jah­re und äl­ter. In die­sem Som­mer rech­net die Deut­sche Le­bens-Ret­tungs-Ge­sell­schaft (DLRG) Corona-be­dingt mit mehr Ba­de­gäs­ten und in der Fol­ge mit deut­lich mehr Ba­de­un­fäl­len und To­ten als in den Vor­jah­ren. Ein In­diz: Bis En­de Ju­ni sind in Bayern be­reits zwölf Men­schen er­trun­ken. Und der Trend setzt sich die­ser Ta­ge fort. Un­ter­des­sen will die Was­ser­wacht des Baye­ri­schen Ro­ten Kreu­zes (BRK) we­gen der Pandemie auch mit Video-Tu­to­rials Ba­de­un­fäl­le ver­hin­dern: Die Kam­pag­ne „Bayern schwimmt 2020“ soll El­tern und Kin­der für die Si­cher­heit beim Schwim­men sensibilisieren.

Wegweiser

Einsatzbilanz der DLRG

Im vergangenen Jahr sind in Deutschland laut Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) min­des­tens 417 Men­schen er­trun­ken – über­wie­gend in Flüs­sen, Seen und Ka­nä­len. Die meis­ten Men­schen er­tran­ken wie in den Vor­jah­ren in Bayern. Hier wur­den 95 Ba­de­to­te ge­zählt, ge­folgt von Nordrhein-Westfalen mit 65 To­ten und Niedersachsen mit 51 To­ten. Un­ter al­len Er­trun­ke­nen von 2019 be­fan­den sich 17 Kin­der im Vor­schul- und acht im Grund­schul­al­ter. An­ga­ben der DLRG zu­fol­ge ist je­der zwei­te Grund­schul­ab­sol­vent ein un­si­che­rer Schwim­mer, da fast je­de vier­te Grund­schu­le kei­nen Schwimm­un­ter­richt mehr an­bie­tet und Schwimm­bä­der feh­len. Ei­ne wei­te­re „Ri­si­ko­grup­pe“ sind Asyl­su­chen­de: Na­he­zu al­le der 27 letz­tes Jahr in Deutsch­land er­trun­ke­nen Ge­flüch­te­ten wa­ren Nichtschwimmer.

Die Einsatzbilanz der DLRG zeigt: 2019 waren rund 47.000 ehren­amt­li­che Ret­tungs­schwim­mer über drei Mil­lio­nen Wach­stun­den im Ein­satz. Sie be­wahr­ten 950 Men­schen oft ⭲ in letz­ter Mi­nu­te vor dem Tod. „Wenn wir die Zah­len vom ver­gan­ge­nen Jahr, al­so die Er­trin­kungs­zah­len und die Zah­len der Ein­sät­ze der Le­bens­ret­tung, zu­sam­men­füh­ren, dann kom­men wir auf et­wa 1.400“, sagt DLRG-Pres­se­spre­cher Achim Wiese: „ein rie­si­ges Risiko-Po­ten­zial“. Wiese ap­pel­liert we­gen der fort­dauern­den ⭲ Corona-Krise: „Bit­te baden, schwim­men Sie aus­schließ­lich dort, wo wirk­li­che Was­ser­ret­tungs­kräf­te vor Ort sind und auf Sie Acht geben.“

Hilfeleistungen bei Badeunfällen und Ertrinkungsfälle

Die DLRG wird sowohl bei ⭲ Badeunfällen als auch bei anderen Not­fäl­len am Wasser und an Land alar­miert, er­läu­tert Michael Förster von der DLRG Bayern. So er­brach­ten die Le­bens­ret­ter im Land­kreis Ro­sen­heim ein­schließ­lich Ret­tungs­sta­tion Prien a.Chiemsee im Jahr 2019 ins­ge­samt 100 Hil­fe­leis­tun­gen und im ers­ten Halb­jahr 2020 ins­ge­samt 22. Die Zahl der Hil­fe­leis­tun­gen bei Ba­de­un­fäl­len ist laut Förster bis En­de Ju­ni 2020 et­wa gleich hoch wie im ver­gan­ge­nen Jahr, durch den Weg­fall des Tou­ris­mus auf der Frauen­in­sel so­gar leicht rück­läu­fig. Nach Kennt­nis der DLRG gab es in 2019 vier Er­trin­kungs­fäl­le, heuer bis­lang be­reits drei. Die Ein­sät­ze ih­rer Ret­tungs­hun­de zäh­len hier nicht mit, da die­se kaum durch Ba­de­un­fäl­le aus­ge­löst werden.

Im Landkreis Mühldorf a.Inn erbrachte die DLRG in 2019 insgesamt 15 Hil­fe­leis­tun­gen, im ers­ten Halb­jahr 2020 ins­ge­samt drei. Be­rück­sich­tigt wer­den muss nach Förster, dass die Ba­de­sai­son 2020 erst re­la­tiv spät be­gon­nen hat und der Land­kreis we­ni­ger dicht be­sie­delt ist als städ­ti­sche Re­gio­nen, so­dass sich hier das we­gen der Corona-Krise ge­än­der­te Frei­zeit­ver­hal­ten noch nicht ma­ni­fes­tiert hat. In der Ge­samt­schau re­gis­trier­te die DLRG Bayern we­der in 2019 noch im ers­ten Halb­jahr 2020 Er­trin­kungs­fäl­le in Mühldorf a.Inn.

Steigende Temperaturen – steigende Badeunfälle

Die neuerlichen Warnungen der DLRG scheinen begründet, meh­ren sich doch die Ba­de­un­glü­cke mit To­des­fol­ge in den ver­gan­ge­nen bei­den Ju­li­wo­chen. Ei­ni­ge Bei­spie­le. Bad Gott­leu­ba-Berg­gieß­hü­bel, Land­kreis Säch­si­sche Schweiz-Ost­erz­ge­bir­ge, 7. Ju­li. Po­li­zei­tau­cher ent­de­cken die Lei­che ei­nes seit Ta­gen ver­miss­ten 16-Jäh­ri­gen im Hoch­was­ser­rück­hal­te­be­cken des Mord­grund­ba­ches. Der Teen­ager war vier Ta­ge zu­vor mit Freun­den schwim­men ge­gan­gen. Im Be­cken war er ab­ge­taucht, aber nicht wie­der an die Was­ser­ober­flä­che ge­kom­men. Rohrdorf, Land­kreis Rosenheim, 7. Ju­li. Ei­ne 84-Jäh­ri­ge aus Neubeuern er­trinkt beim Ba­den im Thansauer See. Das Un­glück ist hier der zwei­te töd­li­che Ba­de­un­fall in­ner­halb von zwei Wo­chen. Be­reits am 28. Ju­ni war ein 80-Jäh­ri­ger im Bei­sein sei­ner Ehe­frau er­trun­ken. An die­sem Tag ver­un­fall­te zu­dem ein 41-Jäh­ri­ger beim Ba­den in der Traun im Traun­stei­ner Stadt­teil Empfing. Nach sei­nem Sprung ins küh­le Nass war er nicht mehr auf­ge­taucht. Trotz Ret­tung ver­starb er we­nig spä­ter im Krankenhaus.

Markt Kinding, Landkreis Eichstätt, 11. Juli. Ei­ne Vier­jäh­ri­ge er­trinkt im Kratzmühlsee. Ba­de­gäs­te zie­hen das in Not ge­ra­te­ne Kind aus dem Was­ser, re­ani­mie­ren es, doch es ver­stirbt nach am Un­fall­ort. In Wien kön­nen an die­sem Tag hin­ge­gen noch ei­ne vier­köp­fi­ge Fa­mi­lie und ein jun­ger Mann vor dem Er­trin­ken in der Donau ge­ret­tet wer­den. Ei­ne 52-jäh­ri­ge Groß­mut­ter, ih­re 30-jäh­ri­ge Toch­ter so­wie de­ren Töch­ter im Al­ter von zwei und elf Jah­ren schwim­men am Ba­de­ufer der Donau. Als sie un­ter­ge­hen, will ein 24-Jäh­ri­ger hel­fen, ge­rät selbst in Not, da er Nicht­schwim­mer ist. Zeu­gen zie­hen al­le fünf an Land. Die 30-Jäh­ri­ge muss von Ret­tungs­kräf­ten re­ani­miert wer­den, die an­de­ren vier sind leicht ver­letzt. Markt Tüßling, Land­kreis Altötting, 12. Ju­li. Ein Vier­jäh­ri­ger kommt bei sei­nem Fall in ei­nen Bach­lauf ums Le­ben. Der Kri­mi­nal­dauer­dienst der Kri­mi­nal­po­li­zei Traunstein geht von ei­nem tra­gi­schen Un­fall­ge­sche­hen aus. Die Fa­mi­lie des Jun­gen wird vom Kri­sen­in­ter­ven­tions­team des Baye­ri­schen Ro­ten Kreu­zes (BRK) betreut.

Verpflichtung zur Rettung Ertrinkender

In der Corona-Krise mahnt das Deutsche Rote Kreuz (DRK) zu be­son­de­rer Vor­sicht beim Ba­den. Ge­ne­rell soll­ten nur be­wach­te, si­che­re Ba­de­stel­len auf­ge­sucht so­wie die Ba­de­re­geln be­folgt wer­den. Nicht­schwim­mer soll­ten an Land blei­ben, Schwim­mer nur ins Was­ser ge­hen, wenn ge­sund und fit, emp­fiehlt Andreas Paatz, Bun­des­lei­ter der DRK-Was­ser­wacht. So­lan­ge Kin­der nicht si­cher schwim­men kön­nen, soll­ten sie nie un­be­auf­sich­tigt blei­ben, auch nicht mit Schwimm­flü­geln. „Das See­pferd­chen reicht eben­falls nicht aus. Es be­schei­nigt le­dig­lich, dass je­mand sich über Was­ser hal­ten kann“, sagt Paatz. „Kin­der er­trin­ken oft laut­los. Da­her der drin­gen­de Ap­pell: Las­sen Sie Ih­re Klei­nen nicht aus den Augen!“

Die ungefähr 140.000 ehrenamtlichen Helfer der Wasserwacht si­chern rund 3.000 deut­sche Ba­de­ge­wäs­ser und ret­ten DRK-An­ga­ben zu­fol­ge jähr­lich et­wa 250 Men­schen vor dem Er­trin­ken. Ne­ben den üb­li­chen Ri­si­ko­fak­to­ren wie Was­ser­tem­pe­ra­tur, Strö­mung und Wel­len­gang kom­me laut Paatz in die­sem Jahr die Ge­fahr ei­ner An­ste­ckung mit dem ⭲ neu­ar­ti­gen Coronavirus (SARS-CoV-2) hin­zu. Des­halb soll­ten Ba­de­gäs­te auch im Was­ser die ⭲ Ab­stands- und Hy­gie­ne­re­geln be­fol­gen. Bei der Ret­tung Er­trin­ken­der seien die Hel­fer durch den ge­zwun­ge­ner­ma­ßen en­gen Kör­per­kon­takt ei­nem ho­hen An­ste­ckungs­ri­si­ko mit SARS-CoV-2 aus­ge­setzt, ins­be­son­de­re bei Wie­der­be­le­bungs­maß­nah­men. Doch in ei­ner Not­si­tua­tion sei je­der zur Hil­fe ver­pflich­tet, so­fern er sich nicht selbst in Ge­fahr bringt. Das DRK emp­fiehlt da­her, auf die Mund-zu-Mund-Be­at­mung zu ver­zich­ten und nur ei­ne Herz­druck­mas­sa­ge durch­zu­füh­ren, bis der Ret­tungs­dienst mit sei­nen spe­ziel­len Be­at­mungs­ge­rä­ten ein­ge­trof­fen ist.

Kampagne „Bayern schwimmt 2020“

Damit die Zahl der vermeidbaren Badeunfälle auch wäh­rend der Corona-Krise mög­lichst klein bleibt, setzt die Was­ser­wacht im Rah­men der Kam­pag­ne „Bayern schwimmt 2020“ auf On­line-Schwimm­kur­se. Letz­tes Jahr er­hiel­ten mehr als 4.000 Viert­kläss­ler im Ver­lauf ei­ner Ak­tions­wo­che Schwimm­un­ter­richt. Fast 80 Pro­zent von ih­nen er­reich­ten darauf­hin min­des­tens ein Schwimm­ab­zei­chen. Nach BRK-An­ga­ben sind in Bayern rund 15 Pro­zent der Kin­der zwi­schen fünf und 17 Jah­ren Nicht­schwim­mer. Die on­line auf www.wasserwacht.bayern und auf YouTube ab­ruf­ba­ren Video-Tu­to­rials der Was­ser­wacht un­ter­rich­ten über Schwimm­tech­ni­ken, Ba­de­re­geln, Ge­fah­ren, Not­ru­fe und Ret­tungs­wei­sen. „Schwim­men ist weit­aus mehr als ei­ne Frei­zeit­ak­ti­vi­tät – im Ernst­fall ret­tet es Men­schen­le­ben, die­ser Ver­ant­wor­tung muss sich je­der be­wusst sein“, er­läu­tert die Schirm­her­rin der Ak­tion, Land­tags­prä­si­den­tin Ilse Aigner (CSU). 


Erstveröffentlichung

Print: Ro­sen­hei­mer blick, Inn­ta­ler blick, Mang­fall­ta­ler blick, Was­ser­bur­ger blick, 33. Jg., Nr. 27/2020, Sams­tag, 4. Ju­li 2020, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ (Kurz­fas­sung) [171/3/2/7+2].
Online: ⭱ blick-punkt.com, Diens­tag, 14. Ju­li 2020; ⭱ E-Paper Ro­sen­hei­mer blick, ⭱ E-Paper Inn­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Mang­fall­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Was­ser­bur­ger blick, Sams­tag, 18. Ju­li 2020. Stand: Neu­jahr, 1. Ja­nu­ar 2024.
 

Dr. Olaf Konstantin Krueger M.A.

Digitaljournalist – Digitalpolitiker