Verstärkung der Justiz
Bausback: „Keine rechtsfreien Räume dulden“

Traunstein — Rund 1,1 Millionen Flüchtlinge sind im ver­gan­ge­nen Jahr nach Deutsch­land ge­kom­men, der Groß­teil von ih­nen über Bayern. Täg­lich kom­men wei­ter tau­sen­de Asyl­su­chen­de über die baye­risch-ös­ter­rei­chi­sche Gren­ze. Zur Be­wäl­ti­gung der Fol­gen die­ses Flücht­lings­zu­zugs hat der Baye­ri­sche Land­tag ins­ge­samt 260 neue Stel­len für die Jus­tiz be­schlos­sen. Al­lein am Land­ge­richt Traun­stein, an den Amts­ge­rich­ten Ro­sen­heim und Lau­fen so­wie in der Staats­an­walt­schaft Traun­stein ha­ben neun neue Rich­te­rin­nen und Staats­an­wäl­tin­nen ih­ren Dienst auf­ge­nom­men. „Das ist kein Lu­xus“, er­klärt der baye­ri­sche Jus­tiz­mi­nis­ter Prof. Dr. Winfried Bausback (CSU) in Traunstein, son­dern den zu­neh­men­den Ver­fah­rens­zah­len geschuldet.

Die Zuwanderung nach Deutschland ist auf Rekordniveau: Die höchs­ten Zu­wan­de­rungs­zah­len seit 1950 ge­hen Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Thomas de Maizière (CDU) zu­fol­ge auf die wach­sen­de Zahl an Flücht­lin­gen zu­rück. 2015 wur­den fast 1,1 Mil­lio­nen Asyl­su­chen­de re­gis­triert – so vie­le wie nie zu­vor. Schon 2014 stieg jen­seits der Flücht­lings­be­we­gun­gen die Zahl der Zu­zü­ge durch Ar­beits­mi­gra­tion, Fa­mi­lien­nach­zug und EU-Bin­nen­wan­de­rung auf mehr als 1,4 Mil­lio­nen an: ein Ni­veau, das zu­letzt 1992 er­reicht wur­de. Zwar wan­der­ten 2014 auch 900.000 Men­schen ab, un­term Strich er­gab sich je­doch ein „Wan­de­rungs­ge­winn“ von rund 550.000 Menschen.

Begrenzung der Flüchtlingszahlen

Vor dem Hintergrund des Zuzugs von über ei­ner Mil­lion Flücht­lin­gen in 2015 setzt sich Bayerns Mi­nis­ter­prä­si­dent Horst Seehofer (CSU) für ei­ne kon­kre­te Auf­nah­me-Ober­gren­ze von „ma­xi­mal 200.000“ pro Jahr ein. „Im De­zem­ber ka­men im Ta­ges­durch­schnitt 4.000 Flücht­lin­ge nach Bayern. Auf ein Jahr hoch­ge­rech­net wä­ren dies rund 1,5 Mil­lio­nen. Das sind mehr als im ge­sam­ten Jahr 2015 und wä­re auf kei­nen Fall zu ver­kraf­ten“, er­klärt Seehofer.

Auch heute noch reisen 500 bis 700 Menschen täglich aus sicheren Drittstaaten ein.
Dr. Hans-Georg Maaßen (CDU), ehemaliger Prä­si­dent des Bun­des­am­tes für Ver­fas­sungs­schutz,
16. Fe­bruar 2019

Die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt sieht die Zahl zu­nächst als „Orien­tie­rungs­grö­ße“ oh­ne recht­li­che Ver­bind­lich­keit, be­tont je­doch, „die Auf­nah­me­ka­pa­zi­tät, die Auf­nah­me­kraft un­se­res Lan­des, ist be­grenzt“. Da­bei wird See­ho­fers Auf­fas­sung ju­ris­tisch un­ter­stützt vom ehe­ma­li­gen Ver­fas­sungs­rich­ter Prof. Dr. Dr. Udo Di Fabio. Die­ser hat im Auf­trag der Baye­ri­schen Staats­re­gie­rung ein Gut­ach­ten er­stellt, wo­nach das Grund­ge­setz das Asyl­recht und den Flücht­lings­sta­tus nicht un­be­grenzt ge­wäh­re, son­dern ei­ne Ober­gren­ze zu­lie­ße oder so­gar for­de­re. Bun­des­kanz­le­rin Dr. Angela Merkel (CDU) be­für­wor­tet zwar ei­ne „spür­ba­re Ver­rin­ge­rung“ der Flücht­lings­zah­len, lehnt je­doch ei­ne Ober­gren­ze aus recht­li­chen und hu­ma­ni­tä­ren Grün­den strickt ab.

Migrationslage prekär

Unterdessen beschreibt der Traunsteiner CSU-Land­tags­ab­ge­ord­ne­te Klaus Steiner die pre­kä­re Mi­gra­tions­la­ge mit dras­ti­schen Wor­ten: „Un­se­re Re­gion be­kommt die vol­le Wucht des­sen ab, was sich bis nach Schles­wig-Hol­stein zieht.“ Vor al­lem ei­nes sei zu ver­hin­dern: un­kon­trol­lier­te Ein­rei­se. Pro Tag wer­den im Durch­schnitt 500 bis 1.000 Straf­an­zei­gen in Traun­stein ge­stellt, er­läu­tert Wolfgang Giese, Lei­ten­der Ober­staats­an­walt der Staats­an­walt­schaft Traun­stein, und „ei­ne ganz er­heb­li­che Zahl“ sei mit der il­le­ga­len Ein­rei­se ver­bun­den. So stel­le sich bei­spiels­wei­se erst bei der Grenz­kon­trol­le he­raus, wer kei­ne oder ge­fälsch­te Aus­weis­pa­pie­re ha­be. „Der Rechts­staat darf sich nicht zu­rück­zie­hen“, be­tont denn auch Jus­tiz­mi­nis­ter Prof. Dr. Winfried Bausback (CSU) und lehnt die „Ent­kri­mi­na­li­sie­rung“ il­le­ga­ler Grenz­über­trit­te ent­schie­den ab.

Bausback zufolge gehören Passau, München und Traunstein zu den „Brenn­punk­ten der Flücht­lings­pro­ble­ma­tik“. Zeit­wei­se sa­ßen bis zu 800 Schleu­ser in Un­ter­su­chungs­haft. Der­zeit stei­gen die Voll­zugs­haft­fäl­le. Zu­sätz­li­che „Auf­wen­dun­gen“ er­for­der­ten un­be­glei­te­te min­der­jäh­ri­ge Flücht­lin­ge. 15.000 wur­den im ver­gan­ge­nen Jahr re­gis­triert. Da­ran schließt sich ein ge­stuf­tes Rechts­ver­fah­ren an, das oft nur mit Dol­met­schern zu be­wäl­ti­gen ist: Zu­nächst wird das Al­ter be­stimmt, wo­bei sich die Min­der­jäh­rig­keit nach dem Recht des Her­kunfts­lan­des rich­tet. Dann wird ge­prüft, ob sich Sor­ge­be­rech­tig­te in Deutsch­land auf­hal­ten. Da­rauf­hin muss die Jus­tiz ge­ge­be­nen­falls fest­stel­len, ob die el­ter­li­che Sor­ge ruht, und ei­ne vor­läu­fi­ge Vor­mund­schaft an­ord­nen, wo­nach die Ju­gend­äm­ter ge­for­dert sind. In man­chen Fäl­len ist auch ei­ne Ein­wei­sung in die Psy­chia­trie angeraten.

„Die Justiz funktioniert und kapituliert nicht“, zeigt sich Günther Knoblauch, SPD-Land­tags­ab­ge­ord­ne­ter für die Land­krei­se Alt­öt­ting und Mühl­dorf am Inn, zu­ver­sicht­lich. Über die schnel­le Stel­len­meh­rung in der Jus­tiz ist Knob­lauch ge­nau­so er­freut wie der Prä­si­dent des Land­ge­richts Traun­stein, Dr. Rupert Stadler. Zu­gleich plä­diert Knob­lauch für ein Auf­sto­cken der eh­ren­amt­li­chen Be­treuer. Und Baus­back kün­digt vor dem Hin­ter­grund der Sil­ves­ter­er­eig­nis­se in Köln und wei­te­ren Städ­ten an, dass in Erst­auf­nah­me­ein­rich­tun­gen Rechts­kun­de­un­ter­richt durch­ge­führt wer­den wird. Al­ler­dings sei die Mi­gra­tions­la­ge kein Ver­wal­tungs­pro­blem al­lein, so Baus­back. Bliebe der Zu­zug auf ho­hem Ni­veau, sei die Si­tua­tion nicht mehr zu be­wäl­ti­gen: „Des­halb brau­chen wir ei­ne Be­gren­zung der Flüchtlingszahlen.“ 


Erstveröffentlichung

Print: Ro­sen­hei­mer blick, Inn­ta­ler blick, Mang­fall­ta­ler blick, Was­ser­bur­ger blick, 29. Jg., Nr. 1/2016, Sams­tag, 9. Ja­nu­ar 2016, S. 1/3, Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“; Inn-Salz­ach blick, 8. Jg., Nr. 1/2016, Sams­tag, 9. Ja­nu­ar 2016, S. 1/3, Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ [156/5/1/7; ein Fo­to].
Online: ⭱ blick-punkt.com, Don­ners­tag, 7.  Ja­nu­ar 2016; ⭱ E-Paper Ro­sen­hei­mer blick, ⭱ E-Paper Inn­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Mang­fall­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Was­ser­bur­ger blick, ⭱ E-Paper Inn-Salz­ach blick, Sams­tag, 9. Ja­nu­ar 2016. Stand: Neu­jahr, 1. Ja­nu­ar 2024.
 

Dr. Olaf Konstantin Krueger M.A.

Digitaljournalist – Digitalpolitiker