Auswanderung nach Australien im Lichte deutschen TV-Infotainments
„Wir sind dann mal weg“
Berlin / Adelaide — „Wolen auch Sie auswandern und planen das große Abenteuer?“ Oder: „Sie haben längere Zeit im Ausland gelebt und ziehen nun zurück nach Deutschland? Sie wollten für immer auswandern, aber Ihr Heimweh ist mittlerweile stärker als Ihre Lust auf fremde Länder?“ Mit diesen Fragen sucht der private Kölner Fernsehsender VOX für seine beiden Dokusoaps „Goodbye Deutschland! Die Auswanderer“ und „Die Rückwanderer“ deutsche Immigranten und Heimkehrer. Sie sollen auf ihren Wegen begleitet werden und über ihr Erleben vor laufender Kamera sprechen. Andere Privatsender berichten ebenfalls seit nunmehr fünf Jahren über das Schicksal von Deutschen, die in alle Teile der Welt ausgewandert sind, auch nach Australien. Doch zwischen Infotainment und Realität können Welten liegen.
Wegweiser
- Infotainment
- Dokusoaps über Auswanderer und Heimkehrer
- Einwanderungsland Australien
- Dokumentationen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens
- Informationsquellen für Auswanderungswillige
Infotainment
Fernsehen in Deutschland ist bunt, schrill und inzwischen in High Definition-Qualität. Unterhaltungsprogramme bringen hohe Zuschauerquoten. Quizshows sind Quotengaranten. Damit ist ihnen die Aufmerksamkeit auch in Print- und Online-Medien sicher, vor allem in der sensationshungrigen Boulevardpresse. Unter den Quizshows gibt es Dauerbrenner wie „Wetten dass …?“, mit Markus Lanz (ZDF). Auch „Wer wird Millionär?“ mit Günther Jauch (RTL) ist hier zu nennen. Außerdem sind Castingshows sehr populär. Beliebt sind etwa „Deutschland sucht den Superstar“ mit Dieter Bohlen (RTL) und „Germany’s Next Topmodel – By Heidi Klum“ (Pro Sieben).
Daneben gibt es eine Fülle von unterschiedlichsten „Dokusoaps“ im Abendprogramm. Bei ihrer Produktion ist das Privatfernsehen führend. Dokusoaps gehören zur Sparte des Infotainments: Die Serien mit teilweise inszeniertem Ablauf sollen ein breites Publikum über zumeist gewöhnliche Menschen in außergewöhnlichen Situationen unterhaltend informieren. Und so gibt es seit 2006 auch deutsche Dokusoaps über das Auswandern. Ihr Anklang gründet sich auf ein reales Informationsbedürfnis, denn nach einer Allensbach-Umfrage im Jahr 2007 dachte jeder fünfte Deutsche an einen Neustart im Ausland. Und 2007 wanderten tatsächlich auch 165.000 Deutsche aus.
Dokusoaps über Auswanderer und Heimkehrer
Die bedeutenden sieben Fernsehserien über das Auswandern tragen prägnante Titel: „Umzug in ein neues Leben“ (seit Mai 2006 im Programm von RTL), „Mein neues Leben (XXL)“ (seit Juli 2006 bei kabel eins), „Goodbye Deutschland! Die Auswanderer“ (seit August 2006 bei VOX), „Auf und davon – Mein Auslandstagebuch“ (von April 2007 bis März 2009 von VOX ausgestrahlt), „Mein neuer Job“ (seit Oktober 2007 bei kabel eins), „Grenzenlos verliebt“ (ab April 2008 von VOX gezeigt, aber zurzeit nicht im Programm) oder „Die Rückwanderer“ (von Februar bis April 2008 ebenfalls bei VOX).
In „Umzug in ein neues Leben“ begleitet ein Fernsehteam Familien oder Paare bei der Organisation des großen Umzugs in ein neues Zuhause im Ausland und bei den persönlichen Abschieden. „Mein neues Leben (XXL)“ und „Goodbye Deutschland! Die Auswanderer“ zeigen Familien bei ihrem Neuanfang in der Fremde. Im Mittelpunkt von „Auf und davon – Mein Auslandstagebuch“ stehen Au-pair oder Austauschschüler, die einige Monate in der Ferne verbringen. In der Reportage-Doku „Mein neuer Job“ durchlaufen drei miteinander konkurrierende Jobsuchende in einem mittelständischen Unternehmen im Ausland einen mehrtägigen Bewerbungsprozess, bei dem der Gewinner seinen neuen Job auch umgehend antreten können muss. „Grenzenlos verliebt“ wiederum begleitet Menschen, die ihrer Liebe wegen ins Ausland ziehen.
Dass Neuanfang und Leben in der Fremde aber auch Entbehrungen abverlangen und Heimweh aufkommen lassen können, welche schließlich die Gründe für die Rückwanderung liefern, demonstrierte die Dokusoap „Die Rückwanderer“, die VOX jedoch nach den ersten zwölf Folgen in 2008 bislang nicht fortgesetzt hat.
Diese Serien zeigen neben Alltäglichem gerne ziemlich schlichte und polarisierende Typen, die ihre Migration zuweilen lax angehen. So ist es unwahrscheinlich, dass eine deutsche Kleinfamilie nach ihrem allerersten Urlaub in Down Under trotz geringer Fremdsprachenkenntnisse einfach kurzerhand den Container packt und mit gerade einmal 5000 Euro nach Australien auswandert, während Vater und Mutter zuvor weder Bleibe noch Jobs arrangiert haben. Auf welcher Grundlage hier die Einwanderung nach Australien erfolgt, bleibt offen.
Einwanderungsland Australien
Nun ist Australien neben den USA und Kanada das dritte große Einwanderungsland. Australiens Bevölkerung stieg 2009 durch Geburtenüberschuss und Zuwanderung pro Tag um rund 1200 Menschen. Bei diesem Tempo wird sich seine Einwohnerzahl bis 2050 von heute 22 Millionen auf dann 36 Millionen erhöhen. In einem Bevölkerungsanstieg von rund 60 Prozent sah zuletzt Premierminister Kevin Rudd kein Problem. Doch wenn es um Zuwanderung geht, sucht Australien eben vor allem jene ausgebildeten Fachkräfte, die das eigene Bildungssystem nicht zur Verfügung stellen kann. Dazu gehören beispielsweise Bergbauingenieure, Krankenschwestern und Ärzte und nicht mehr Köche oder Friseure. Von der alten, angebotsorientierten "Skilled Migration List" wurden deshalb rund zwei Drittel der vormals „bevorzugten Berufe“ gestrichen. Damit ist Australiens Einwanderungsmodell heute nachfrageorientiert. Und seit dem 8. Mai 2010 werden auch keine Anträge mehr zur "General Skilled Migration" angenommen, wenn sie "offshore", also von außerhalb des Landes gestellt werden. Vor diesem Hintergrund muten einige deutsche Dokusoaps an wie eine desinformierende (Selbst-)Darstellung, die eher in die Irre führt, als dass sie ein Wegweiser sein dürfte.
Dokumentationen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens
Journalistisch tief schöpfender aber hauptsächlich landeskundlich und damit ohne Auswanderungs-Tipps sind derweil die Australien-Dokumentationen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ausgerichtet. Der Spartenkanal PHOENIX wiederholt sie nachts und am Wochenen;de.
Während Ralf Dilger in „Auswandererträume in Neuseeland“ noch aufzeigt, wie deutsche Auswandererfamilien sich bei den Kiwis erfolgreich eine Existenz aufgebaut haben, geht es in den meisten anderen Dokus vornehmlich um touristische Ziele. Der Zweiteiler „Zug der Träume“ von Wolf von Lojewski etwa erkundet die Weiten des Outbacks auf der Route des Ghan von Adelaide über Alice Springs nach Darwin. In „Durch Australien in legendären Zügen: Ghan und Overland“, „Das rote Herz Australiens/Geschichten aus Alice Springs“, „Die Great Ocean Road“ oder „Die Farm der Kängurus“ schildert Robert Hetkämper seine Reiseeindrücke vom fünften Kontinent.
Solche Berichte vermögen gemeinsam mit Dirk Steffens „Australien – Cowboys im Wilden Süden“ oder Joachim Bublaths „Feindliche Welten – Australien“ neben den Dokusoaps der Privatsender das Fernweh durchaus zu verstärken. Daran ändern auch kritische Sendungen wie „Ein Kontinent verbrennt: ⭲ Klima-Krise in Australien“ von Ulrike Wittern oder „Land und Natur im Ausnahmezustand: Wetterextrem Australien“ von Ralf Blasius und Wolfram Giese wenig.
Doch die Stärke der eindrucksvollen Dokus von ARD und ZDF ist zugleich ihre Schwäche: Erfolgreiche mittelständische Familien, die mit einem teils erheblichen finanziellen Polster nach Australien oder Neuseeland ausgewandert sind, vermögen in ihrem neuen Domizil vor herrlicher Landschaftskulisse beeindruckende Reportagen zu garantieren. Repräsentativ dürften diese Familien aber kaum sein. Denn nur wenige Auswanderer starten in New South Wales als Gourmetköche und in Südaustralien als Winzer durch oder bringen den Kiwis die Vorzüge der Solarenergie nahe, indem sie auf ihren Dächern pressewirksam eigene Anlagen montieren.
Informationsquellen für Auswanderungswillige
Ernsthaft an der Auswanderung nach Australien Interessierte sollten sich daher im Vorfeld intensiv mit den Möglichkeiten, Beschränkungen und Konsequenzen ihrer Migration befassen. Ein Einstieg kann dabei die Lektüre guter Ratgeber sein wie „Australien – Das Auswanderer-Handbuch“ von Elfi H. M. Gilissen sowie die Durchsicht der Webseiten des Department of Immigration and Citizenship. Dokusoaps aber sollten als das gesehen werden, was sie sind: Infotainment. ✻
Erstveröffentlichung
Print: Die Woche in Australien, 53. Jg., Nr. 24/2010, Dienstag, 15. Juni 2010, S. 12, Kolumne „Australien“ [274/5/1/4, ein Foto].
Online: ⤉ woche.com.au, Dienstag, 15. Juni 2010; ⭱ m-publishing.com, Mittwoch, 16. Juni 2010. Stand: Neujahr, 1. Januar 2024.