Respekt-Rente versus Grundrente
Kommt die Mindestrente?

Berlin — Fin­ger­ha­keln in der Gro­ßen Ko­a­li­tion: Bun­des­ar­beits­mi­nis­ter Hu­ber­tus Heil (SPD) hat An­fang Fe­bruar ein Kon­zept für die von CDU/CSU und SPD ver­ein­bar­te „Grund­ren­te“ vor­ge­legt – und ern­tet seit­dem mas­si­ve Ge­gen­wehr. Geht es nach Heil, soll die Ren­te von et­wa vier Mil­lio­nen ehe­ma­li­gen Ge­ring­ver­die­nern ab dem 1. Ja­nu­ar 2021 mit rund fünf Mil­liar­den Eu­ro jähr­lich steuer­fi­nan­ziert auf­ge­stockt wer­den: um bis zu 447 Eu­ro mo­nat­lich, oh­ne Be­dürf­tig­keits­prü­fung. „Sehr vie­le Men­schen, die ihr Le­ben lang ge­ar­bei­tet ha­ben, lan­den we­gen ih­rer nie­dri­gen Löh­ne als Rent­ner in der Grund­si­che­rung. Das will ich än­dern“, be­grün­det der So­zial­de­mo­krat sei­ne Vor­stel­lung von ei­ner „Res­pekt-Ren­te“. Die­se geht je­doch über das im Ko­a­li­tions­ver­trag Fest­ge­leg­te hi­naus: Schwarz-Rot hat­te ver­ein­bart, mit­tels Grund­ren­te Le­bens­leis­tung zu „ho­no­rie­ren“ und Al­ters­ar­mut zu be­kämp­fen, in­dem ein Al­ters­ein­kom­men zehn Pro­zent ober­halb der Grund­si­che­rung ga­ran­tiert wür­de. Er­hal­ten soll­ten die neue Grund­ren­te be­ste­hen­de und zu­künf­ti­ge Grund­si­che­rungs­be­zie­her, die min­des­tens 35 Jah­re an Bei­trags­zei­ten oder Zei­ten der Kin­der­er­zie­hung res­pek­ti­ve Pfle­ge­zei­ten auf­wei­sen kön­nen. Wei­te­re Ein­schrän­kung: ei­ne Be­dürf­tig­keits­prü­fung. Union und Wirt­schaft lau­fen nun Sturm ge­gen Heils „Res­pekt-Ren­te“. „Ich schlie­ße aus, dass die Union ei­ner Grund­ren­te zu­stimmt, die oh­ne je­de Form der Be­dürf­tig­keits­prü­fung aus­kommt. Das ist auch ei­ne Fra­ge der Leis­tungs­ge­rech­tig­keit“, be­grün­det bei­spiels­wei­se die CDU-Vor­sit­zen­de An­ne­gret Kramp-Karrenbauer die Ab­leh­nung ih­rer Par­tei. Das zu lö­sen­de Pro­blem ist je­doch kom­ple­xer.

„Wieder einmal bestätigt sich, dass die SPD al­lei­ne mit So­zial­po­li­tik oder Um­ver­tei­lungs­the­men kei­ne Wah­len ge­win­nen oder ver­lo­ren ge­gan­ge­ne Wäh­ler aus der po­li­ti­schen und ge­sell­schaft­li­chen Mit­te zu­rück­ge­win­nen kann“, er­läu­tert Prof. Manfred Güllner. Er ist be­kann­tes SPD-Mit­glied so­wie Grün­der und Ge­schäfts­füh­rer der „Forsa Ge­sell­schaft für So­zial­for­schung und sta­tis­ti­sche Ana­ly­sen mbH“, ei­nem der füh­ren­den Markt- und Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tu­te Deutsch­lands. Der leich­te Auf­trieb der So­zial­de­mo­kra­ten um ei­nen Pro­zent­punkt in den Mei­nungs­um­fra­gen hielt nach Heils Vor­stoß nur eine Wo­che. In­zwi­schen ta­xiert Forsa die SPD wie­der bei 16 Pro­zent bun­des­weit. Bei der Bun­des­tags­wahl 2017 hat­te die Par­tei noch 20,5 Pro­zent er­hal­ten, bil­de­te nach an­fäng­li­chem Zau­dern die ak­tu­el­le Bun­des­re­gie­rung mit der Union und stellt seit­dem sechs der 15 Mi­nis­ter im Ka­bi­nett „Merkel IV“.

Die aktuelle Debatte um die Grundrente mit Blick auf Wahl­chan­cen zu be­trach­ten, liegt an­ge­sichts der be­vor­ste­hen­den 14 Ur­nen­gän­ge auf der Hand: am 26. Mai die ⭲ Wahl zum Eu­ro­päi­schen Par­la­ment, die Bür­ger­schafts­wahl in Bre­men, die Be­zirks­ver­samm­lungs­wah­len in Ham­burg sowie die Kom­mu­nal­wah­len in Baden-Würt­tem­berg, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpom­mern, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und im Saarland, am 1. Sep­tem­ber die Land­tags­wah­len in Bran­den­burg und Sach­sen so­wie am 27. Ok­to­ber die Land­tags­wahl in Thü­rin­gen. Die Wahl­be­rech­tig­ten be­stim­men die Par­la­men­te für fünf Jah­re (die Bre­mer Bür­ger­schaft für vier). Ren­ten­pro­ble­me, ge­rin­ge­re Al­ters­ren­te so­wie Al­ters­ar­mut bis weit in die Mit­tel­schicht wur­den schon wäh­rend des Bun­des­tags­wahl­kamp­fes 2017 und in den Land­tags­wahl­kämp­fen in Bayern und Hes­sen 2018 kaum the­ma­ti­siert, ob­gleich die Re­form der ge­setz­li­chen Ren­te das Ren­ten­ni­veau in Re­la­tion zu den Er­werbs­ein­kom­men ge­senkt hat. An­lass: Die schrump­fen­de Zahl von Bei­trags­zah­lern muss der stei­gen­den Zahl von Ren­ten­be­zie­hern Rech­nung tra­gen.

Jemand, der Jahrzehnte lang hart ge­ar­bei­tet hat, hat das Recht,
deut­lich mehr zu be­kom­men als je­mand, der nicht ge­ar­bei­tet hat.
Das ist ei­ne Fra­ge des Res­pekts vor Le­bens­leis­tung.
Hubertus Heil (SPD), Bun­des­mi­nis­ter für Ar­beit und So­zia­les im Ka­bi­nett Merkel IV,
3. Februar 2019 (dpa/1E9C152)

Jüngere Rentner bewerten ihre finanzielle Si­tu­a­tion im Ver­gleich zu den über 80-Jäh­ri­gen als deut­lich schlech­ter, be­sagt ei­ne ak­tu­el­le Kan­tar-Emnid-Um­fra­ge im Auf­trag der Post­bank: Fast je­der zwei­te 50- bis 65-jäh­ri­ge Rent­ner (46 Pro­zent) und je­der drit­te 66- bis 79-jäh­ri­ge Rent­ner (34 Pro­zent) hält sei­ne der­zei­ti­ge fi­nan­ziel­le Si­tu­a­tion für schlech­ter, als er vor Ren­ten­ein­tritt er­war­tet hat. Bei den über 80-jäh­ri­gen Rent­nern ist hin­ge­gen nur je­der Sieb­te (14 Pro­zent) er­nüch­tert. Grund: Vor al­lem jün­ge­re Rent­ner ha­ben die Hö­he ih­rer spä­te­ren Al­ters­be­zü­ge falsch ein­ge­schätzt.

Die derzeitige Debatte um die Grundrente nun auf Pro­fi­lie­rungs­sucht und Wahl­stra­te­gie der SPD zu ver­en­gen, lenkt eher von den of­fen sicht­ba­ren He­raus­for­de­run­gen ab. Pre­kär Be­schäf­tig­te und Lang­zeit­ar­beits­lo­se, strau­cheln­de Al­lein­er­zie­hen­de, über­las­te­te pfle­gen­de Er­werbs­tä­ti­ge, fi­nanz­schwa­che Bun­des­bür­ger, über­schul­de­te Ver­brau­cher, bet­teln­de Ob­dach­lo­se, Pfand­fla­schen sam­meln­de Rent­ner und stei­gen­de „Kun­den­zah­len“ bei den Ta­feln – sie kon­ter­ka­rie­ren die ro­man­ti­sche Vor­stel­lung von ei­nem wirt­schaft­lich pros­pe­rie­ren­den Land, in dem man gut und ger­ne le­be. Dies ver­deut­li­chen sie­ben ak­tu­el­le As­pek­te.

Soziales Konfliktpotenzial

Aspekt eins: Das System der Deutschen Ren­ten­ver­si­che­rung ist auf lang­jäh­ri­ge Bei­trags­zei­ten aus­ge­legt. Zu deut­lich nie­dri­ge­ren Ren­ten­an­sprü­chen füh­ren: ei­ne lan­ge Aus­bil­dungs­zeit bei ana­lo­ger Kür­zung oder Strei­chung ih­rer An­re­chen­bar­keit, der An­stieg des Er­werbs­ein­stiegs­al­ters, feh­len­de Zei­ten in so­zial­ver­si­che­rungs­pflich­ti­ger Be­schäf­ti­gung, aty­pi­sche Be­schäf­ti­gungs­for­men wie Zeit­ar­beit, Teil­zeit und be­fris­te­tet Be­schäf­ti­gung, ei­ne „dis­kon­ti­nu­ier­li­che Er­werbs­bio­gra­fie“, die Ku­mu­la­tion von Ar­beits­lo­sig­keit im Er­werbs­ver­lauf so­wie ein pre­kä­rer Al­ters­über­gang bei an­sons­ten sta­bi­ler Er­werbs­bio­gra­fie.

Aspekt zwei: In der Bundesrepublik Deutschland le­ben im­mer mehr ⭲ Al­lein­er­zie­hen­de – teils in pre­kä­ren fi­nan­ziel­len Ver­hält­nis­sen. Im ver­gan­ge­nen Jahr zähl­te das Sta­tis­ti­sche Bun­des­amt ins­ge­samt 1,5 Mil­lio­nen Müt­ter und Vä­ter, die rund 2,4 Mil­lio­nen Kin­der al­lei­ne er­zie­hen. In je­dem fünf­ten Fa­mi­lien­haus­halt lebt nur ein El­tern­teil, in neun von zehn Fäl­len han­delt es sich um ei­ne al­lein­er­zie­hen­de Mut­ter. Ihr Ar­muts­ri­si­ko liegt über dem Be­völ­ke­rungs­durch­schnitt.

Aspekt drei: Laut Pflegereport 2018 der Bar­mer Er­satz­kas­se gibt es rund 2,5 Mil­lio­nen pfle­gen­de An­ge­hö­ri­ge, da­run­ter 1,65 Mil­lio­nen Frauen. Bei 85 Pro­zent be­stimmt die Pfle­ge den Ta­ges­ab­lauf, die Hälf­te der Be­trof­fe­nen küm­mert sich täg­lich mehr als zwölf Stun­den um pfle­ge­be­dürf­ti­ge An­ge­hö­ri­ge. Le­dig­lich ein Drit­tel al­ler Be­trof­fe­nen geht ar­bei­ten, je­der Vier­te hat sei­ne Ar­beit auf­grund der Pfle­ge re­du­ziert oder ganz auf­ge­ben müs­sen.

Aspekt vier: Fast ein Drittel der Deutschen kann we­gen ge­rin­gen Ver­diens­tes kei­ne Rück­la­gen für An­schaf­fun­gen oder Not­fäl­le bil­den. Laut ei­ner re­prä­sen­ta­ti­ven Um­fra­ge der ING Deutsch­land in 13 eu­ro­pä­i­schen Län­dern so­wie Aus­tra­lien und den USA im Ok­to­ber 2018 ver­fü­gen 31 Pro­zent der bun­des­deut­schen Haus­hal­te über kei­ner­lei fi­nan­ziel­le Re­ser­ven – ei­ne Ver­schlech­te­rung zur Um­fra­ge 2017 um vier Pro­zent. 63 Pro­zent der Be­frag­ten oh­ne Er­spar­nis­se nennt als Grund, zu we­nig zu ver­die­nen. Nur elf Pro­zent der Be­frag­ten hal­ten das staat­li­che Ren­ten­sys­tem in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land für aus­rei­chend.

Aspekt fünf: Die Arbeitslosigkeit liegt zwar ak­tu­ell auf dem nie­drigs­ten Stand seit der Wie­der­ver­ei­ni­gung, doch die Zahl über­schul­de­ter Ver­brau­cher steigt – al­lein in den letz­ten zwölf Mo­na­ten um etwa 19.000 auf nun rund 6,93 Mil­lio­nen Über­schul­dungs­fäl­le. Die Über­schul­dungs­quo­te liegt laut Schuld­nerAt­las Deutsch­land 2018 mit gleich­blei­bend 10,04 Pro­zent über der Zehn-Pro­zent-Mar­ke, oh­ne Aus­sicht da­rauf, dass die Über­schul­dungs­zah­len sin­ken.

Aspekt sechs: Im vergangenen Jahr sind so­wohl die Neu­ver­trags­mie­ten für Woh­nun­gen als auch die Kauf­prei­se für Ei­gen­tums­woh­nun­gen wei­ter ge­stie­gen – für Miet­woh­nun­gen im drit­ten Quar­tal 2018 um 3,9 Pro­zent, für Ei­gen­tums­woh­nun­gen um 8,2 Pro­zent. „Die An­stie­ge sind das Er­geb­nis ei­nes wei­ter­hin zu knap­pen Woh­nungs­an­ge­bots“, er­klärt Dr. Andreas Mattner, Prä­si­dent des „ZIA Zen­tra­ler Im­mo­bi­lien Aus­schuss e. V.“, Spit­zen­ver­band der Im­mo­bi­lien­wirt­schaft. An­ge­bots­sei­ti­ge Ka­pa­zi­täts­ein­schrän­kun­gen und feh­len­des Bau­land wür­den dem Früh­jahrs­gut­ach­ten 2019 zu­fol­ge den „Nach­fra­ge­über­hang“ vor al­lem in Bal­lungs­räu­men zu­se­hends ver­grö­ßern.

Aspekt sieben: Rund 550.000 Rentner ver­die­nen sich durch das Sam­meln von Pfand­fla­schen ein paar Eu­ro zur kar­gen Ren­te hin­zu. Bun­des­weit ver­sor­gen rund 940 ⭲ Ta­feln mit et­wa 60.000 eh­ren­amt­li­chen Hel­fe­rin­nen und Hel­fern in mehr als 2.100 Ta­fel-Lä­den und Aus­ga­be­stel­len re­gel­mä­ßig bis zu 1,5 Mil­lio­nen Be­dürf­ti­ge. 23 Pro­zent der „Kun­den“ sind Kin­der und Ju­gend­li­che, 53 Pro­zent Er­wach­se­ne im er­werbs­fä­hi­gen Al­ter – vor al­lem Ar­beits­lo­sen­geld II- und So­zial­geld-Emp­fän­ger, Spät­aus­sied­ler und Zu­wan­de­rer –, 24 Pro­zent sind Rentner.

Sozialausgaben steigern und gleichzeitig Steuern er­hö­hen?
Das ist ei­ne to­xi­sche Kom­bi­na­tion.
Dr. Markus Söder, MdL (CSU), Mi­nis­ter­prä­si­dent des Frei­staa­tes Bayern,
13. Februar 2019 (dpa/1EBB36B)

Insgesamt wächst der Anteil jener, die nach einem lan­gen Ar­beits­le­ben mit nie­dri­gen Löh­nen als Rent­ner in der Grund­si­che­rung, al­so der So­zial­hil­fe en­den. Jüngs­ten Da­ten des Sta­tis­ti­schen Bun­des­am­tes zu­fol­ge be­ka­men En­de 2017 be­reits rund 544.000 Men­schen Grund­si­che­rung im Al­ter. Geht es nach Hubertus Heil, sol­len künf­tig klei­ne Ren­ten per Zu­schlag er­höht wer­den, au­to­ma­tisch be­rech­net durch die Ren­ten­ver­si­che­rung, und zwar oh­ne ge­son­der­te Prü­fung der Be­dürf­tig­keit wie beim ALG II – um­gangs­sprach­lich: Hartz IV –, da „re­spekt­los“. Vor­aus­set­zung: min­des­tens 35 Jah­re Ein­zah­lung in die Ren­ten­kas­se. Teil­zeit, Kin­der­er­zie­hungs- und Pfle­ge­zei­ten zäh­len mit, Mi­ni­jobs rei­chen nicht. Faust­for­mel: Wer nach 35 Bei­trags­jah­ren we­ni­ger als 896 Eu­ro Ren­te hat, er­hält ei­nen Zu­schlag. Be­schäf­tig­te, die aus­schließ­lich Min­dest­lohn ver­dien­ten, sol­len die ma­xi­ma­le Auf­wer­tung von 447 Eu­ro er­hal­ten. Dem Bun­des­mi­nis­ter geht es er­klär­ter­ma­ßen um ein Mehr an „so­zia­ler Ge­rech­tig­keit“ nach lan­ger Bei­trags­zah­lung. Un­ter den sol­cher­wei­se bis zu vier Mil­lio­nen Be­trof­fe­nen sind etwa drei Vier­tel Frauen und vie­le Be­schäf­tig­te in den neuen Bun­des­län­dern, wo Nie­drig­löh­ne ver­brei­tet sind. Wich­tigs­ter Für­spre­cher im Ka­bi­nett Merkel IV ist Vi­ze­kanz­ler und Bun­des­fi­nanz­mi­nis­ter Olaf Scholz (SPD).

„Respekt-Rente“: Pro und Kontra

Der Überschuss von Bund, Ländern, Kommunen und So­zial­kas­sen sum­mier­te sich 2018 auf 58 Mil­liar­den Eu­ro – ein Re­kord­wert für die größ­te Volks­wirt­schaft der Eu­ro­pä­i­schen Union. Auch wenn han­dels­po­li­ti­sche Un­wäg­bar­kei­ten, kon­junk­tu­rel­le Ab­küh­lung und un­kal­ku­lier­ba­rer Bre­xit die ex­port­orien­tier­te bun­des­deut­sche Wirt­schaft be­las­te­ten, so we­cke die schein­bar ent­spann­te Haus­halts­la­ge wohl Be­gehr­lich­kei­ten, mut­ma­ßen Heils Geg­ner und ver­wei­sen da­bei auf das dro­hen­de 25-Mil­liar­den-Euro-Loch im Haus­halt bis 2023. Wer­de schlicht der Kreis der Grund­ren­ten-Be­rech­tig­ten wie im Ko­a­li­tions­ver­trag fest­ge­schrie­ben über ei­ne Be­dürf­tig­keits­prü­fung be­grenzt, er­hiel­ten nur noch rund 130.000 Per­so­nen den Zu­schlag, was im Hand­um­dre­hen 4,8 Mil­liar­den Eu­ro jähr­lich spar­te. Oh­ne Be­gren­zung hin­ge­gen pro­fi­tier­ten auch Be­schäf­tig­te, die nicht auf Un­ter­stüt­zung an­ge­wie­sen seien, weil bei­spiels­wei­se ihr Part­ner ei­ne gu­te Ren­te er­hält oder sie über zu­sätz­li­che Ein­künf­te ver­fü­gen. So sol­len nach An­ga­ben der Bun­des­re­gie­rung 57 Pro­zent al­ler Rent­ner­ehe­paa­re ne­ben der ge­setz­li­chen Ren­te über zu­sätz­li­che Ein­künf­te ver­fü­gen, im Schnitt 1.175 Eu­ro mo­nat­lich. Je­des drit­te Rent­ner­paar und je­der vier­te Al­lein­ste­hen­de ha­be Zins­ein­künf­te, je­des sechs­te Rent­ner­paar zu­dem Miet­ein­nah­men.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) pocht des­halb auf die im Ko­a­li­tions­ver­trag ver­ein­bar­te Be­din­gung, dass nur wirk­lich Be­dürf­ti­ge ei­ne Grund­ren­te er­hal­ten. „Für je­man­den mit viel Geld stellt sich die La­ge an­ders dar als für ei­ne Wit­we mit ei­nem klei­nen Häus­chen, das sie den Kin­dern ver­erbt. Des­halb ist die Be­dürf­tig­keits­prü­fung bei der Grund­ren­te ele­men­tar“, er­klärt Altmaier. Da­bei sieht der Ko­a­li­tions­ver­trag vor, die Grund­ren­te durch die Ren­ten­ver­si­che­rung ab­wi­ckeln zu las­sen. Bei der Be­dürf­tig­keits­prü­fung sol­le die Ren­ten­ver­si­che­rung mit den Grund­si­che­rungs­äm­tern zu­sam­men­ar­bei­ten. Al­ler­dings ist der Ren­ten­ver­si­che­rung je­de Be­dürf­tig­keits­prü­fung fremd.

Wer immer neue zusätzliche staat­li­che Aus­ga­ben ein­for­dert,
an­statt die Steuer­zah­ler zu ent­las­ten, der setzt kei­ne Prio­ri­tä­ten,
son­dern ver­schiebt wei­ter den Ver­ant­wor­tungs-Maßstab.
Alexander Dobrindt (CSU), Vor­sit­zen­der der CSU-Lan­des­grup­pe im Deut­schen Bun­des­tag,
18. Februar 2019 (dpa/1EC7C1B)

CSU-Vorsitzender Dr. Markus Söder maß­re­gelt die Plä­ne der SPD zu­dem als „nicht fi­nan­zier­bar“, ein tra­dier­ter Vor­wurf an Lin­ke: „Wir ver­han­deln kei­nen neuen Ko­a­li­tions­ver­trag. Na­tür­lich re­den wir mit­ein­an­der, aber es darf kei­nen ide­o­lo­gi­schen Links­ruck der Re­gie­rung ge­ben.“ Schär­fer for­mu­liert CSU-Lan­des­grup­pen­chef Alexander Dobrindt sei­ne Kri­tik, in­dem er der SPD „Hartz IV-Trau­ma­be­wäl­ti­gung“ vor­wirft, für die es in der Ber­li­ner Ko­a­li­tion kei­ne Ar­beits­grund­la­ge ge­be. „Der ei­ne oder an­de­re scheint vom lin­ken Af­fen ge­bis­sen zu sein“, spe­ku­liert der CSU-Politiker.

„Respekt-Rente“: „respektlos“

Gegenwehr kommt auch aus der Wirtschaft. Laut ei­ner Stu­die vom ar­beit­ge­ber­na­hen „In­sti­tut der deut­schen Wirt­schaft Köln e. V. (IW)“ wür­den rund 2,8 Mil­lio­nen Er­werbs­min­de­rungs- und Al­ters­rent­ner von Heils „Res­pekt-Ren­te“ pro­fi­tie­ren. Wei­te­ren 3,2 Mil­lio­nen Rent­nern fehl­te da­zu aber min­des­tens ein Bei­trags­jahr. Die Be­dürf­tig­keits­prü­fung sei an­sons­ten kein „Übel, mit dem An­spruchs­be­rech­tig­te ge­gän­gelt wer­den sol­len, son­dern not­wen­dig, um den Steuer­zah­ler vor un­be­rech­tig­ter In­an­spruch­nah­me zu schüt­zen“. In­go Kra­mer, Prä­si­dent der „Bun­des­ver­ei­ni­gung der Deut­schen Ar­beit­ge­ber­ver­bän­de e. V. (BDA)“, dem ar­beits- und so­zial­po­li­ti­schen Spit­zen­ver­band der deut­schen Wirt­schaft, warnt zu­dem da­vor, Grund­si­che­rung und Ren­te zu ver­mi­schen, denn die Grund­si­che­rung die­ne der De­ckung des Exis­tenz­mi­ni­mums, falls die Ren­te nicht aus­rei­che. Und nach den Wor­ten von Hand­werks­prä­si­dent Hans Peter Wollseifer er­rei­che die „Res­pekt-Ren­te“ we­der die Ge­ring­ver­die­ner noch lin­de­re sie Al­ters­ar­mut: „Ich fin­de es res­pekt­los, Ar­beit­ge­bern und Be­schäf­tig­ten, die sich je­den Tag ab­ra­ckern, die Kos­ten auf­zu­bür­den und das Geld mit vol­len Hän­den aus den So­zial­kas­sen zu neh­men, um par­tei­po­li­ti­sche Ver­spre­chun­gen ein­zu­lö­sen“, meint Wollseifer.

Allem zum Trotz halten einem ARD-„Deutschlandtrend“ zu­fol­ge 67 Pro­zent der Be­frag­ten die Idee ei­ner Grund­ren­te oh­ne Be­dürf­tig­keits­prü­fung für Ge­ring­ver­die­ner für rich­tig. Da­nach se­hen sich auch 53 Pro­zent der Er­werbs­tä­ti­gen als nicht aus­rei­chend für das Ren­ten­al­ter ab­ge­si­chert. Heil will je­den­falls an sei­ner „Res­pekt-Ren­te“ fest­hal­ten, ver­weist auf vie­le po­si­ti­ve Re­ak­tio­nen per E-Mail und Brief so­wie „durch­aus er­mu­ti­gen­de Stim­men“ aus der Union mit dem Te­nor: „Lass Dich nicht ver­un­si­chern und be­ir­ren in Dei­nem Kurs.“ So­gar die star­re Gren­ze von min­des­tens 35 Bei­trags­jah­ren stellt der SPD-Po­li­ti­ker zur Dis­po­si­tion, kann sich „vor­stel­len, dass wir den Über­gang et­was flie­ßen­der ge­stal­ten“, wenn die Ge­samt­fi­nan­zie­rung ge­klärt wä­re. Der­weil könn­te ein Blick über die Gren­ze hilf­reich sein: Ös­ter­reich kennt ei­ne Aus­gleichs­zu­la­ge für Nie­drig­ren­ten – mit Be­dürf­tig­keits­prü­fung hin­sicht­lich des Ein­kom­mens und ohne das Ver­mö­gen an­zu­tas­ten. 


Erstveröffentlichung

Print: Ro­sen­hei­mer blick, Inn­ta­ler blick, Mang­fall­ta­ler blick, Was­ser­bur­ger blick, 32. Jg., Nr. 9/2019, Sams­tag, 2. März 2019, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ (Kurz­fas­sung); Inn-Salz­ach blick, 10. Jg., Nr. 9/2019, Sams­tag, 2. März 2019, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ (Kurz­fas­sung) [195/3/1/10].
Online: ⭱ blick-punkt.com, Don­ners­tag, 28.  Fe­bru­ar 2019; ⭱ E-Paper Ro­sen­hei­mer blick, ⭱ E-Paper Inn­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Mang­fall­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Was­ser­bur­ger blick, ⭱ E-Paper Inn-Salz­ach blick, Sams­tag, 2. März 2019. Stand: Neu­jahr, 1. Ja­nu­ar 2024.
 

Dr. Olaf Konstantin Krueger M.A.

Digitaljournalist – Digitalpolitiker

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.