Corona-Krise: Öffnungsperspektive gegen Verzweiflung
Sasse: „Die Lage ist bitterernst“

Berlin / München — Wirtschaftsverbände, Un­ter­neh­men und Selbst­stän­di­ge schla­gen Alarm. Sie war­nen we­gen des stän­dig ver­län­ger­ten Lockdowns vor ei­ner In­sol­venz­wel­le dra­ma­ti­schen Aus­ma­ßes. Und sie ver­lan­gen mit Ver­weis auf sin­ken­de COVID-19-Fall­zah­len ei­nen plan­vol­len Aus­stieg aus dem Kri­sen­mo­dus. „Die La­ge ist wirk­lich bit­ter­ernst. Es wird vie­le Ge­schäfts­auf­ga­ben ge­ben“, be­fürch­tet et­wa Dr. Eberhard Sasse, Prä­si­dent des Baye­ri­schen In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer­ta­ges (BIHK). Nö­tig seien „be­last­ba­re Per­spek­ti­ven und Sze­na­rien für ei­ne Wie­der­öff­nung der Wirt­schaft“. Das Pro­blem sind sin­ken­de Nach­fra­gen, Um­satz­ein­bu­ßen, un­ter­bro­che­ne Lie­fer­ket­ten, Pro­duk­tions­aus­fäl­le und Li­qui­di­täts­eng­päs­se. In­des­sen ver­än­dern be­hörd­li­che Be­triebs­schlie­ßun­gen, Ver­an­stal­tungs­ab­sa­gen, Aus­gangs­be­schrän­kun­gen, Kurz­ar­beit und Online-Han­del Ge­wer­be, Kul­tur und In­nen­städ­te. Call & Collect, Click & Collect so­wie Win­dow-Shop­ping sol­len zwar dem Exo­dus ent­ge­gen­wir­ken. Doch ein Kon­sum­schub ist laut Han­dels­ver­band Deutsch­land „erst mit Lo­cke­run­gen der Corona-Maß­nah­men zu er­war­ten, wenn die Ver­brau­cher von ei­ner nach­hal­ti­gen Bes­se­rung der kon­junk­tu­rel­len La­ge und ih­rer ei­ge­nen Ein­kom­mens­si­tua­tion po­si­tiv über­zeugt sind“.

Wegweiser

Verlängerung des „harten Lockdowns“

Die informelle Bund-Länder-Konferenz hat den ⭲ „harten Lockdown“ ⭲ er­neut ver­län­gert, dies­mal um drei Wo­chen bis zum 7. März 2021 – aber mit Zu­ge­ständ­nis­sen: Die Bun­des­län­der be­stim­men je nach In­fek­tions­la­ge ei­gen­stän­dig über die Öff­nung der Ki­tas und Schu­len – und das Fri­seur­hand­werk darf bei strik­ter Ein­hal­tung der Hygiene­auf­la­gen am 1. März wie­der die Ar­beit auf­neh­men. Da­mit wird nach Bayerns Mi­nis­ter­prä­si­dent Dr. Markus Söder (CSU) ein „Stop-and-Go“ ver­mie­den. Die laut Bun­des­kanz­le­rin Dr. Angela Merkel (CDU) „gro­ße Un­si­cher­heit“ we­gen der Aus­brei­tung mu­tier­ter Va­rian­ten des neu­ar­ti­gen Coronavirus’ (SARS-CoV-2) und ei­ne mög­li­che „drit­te Wel­le“ las­sen die Po­li­ti­ker zuwarten.

Es kann sein, dass wir noch viele Jahre impfen müssen.
So ähnlich wie beim Grippeimpfstoff,
wo man jedes Mal die neue Mutation des Virus wieder verimpft.
Dr. Angela Merkel (CDU), Bun­des­kanz­le­rin der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, 1. Fe­bru­ar 2021

Datengrundlage des Beschlusses ist vor allem der Lagebericht des Robert Koch-In­sti­tu­tes (RKI): Das RKI mel­de­te, Stand 9. Fe­bru­ar, 2,3 Mil­lio­nen la­bor­diag­nos­tisch be­stä­tig­te COVID-19-Fäl­le seit dem 1. März 2020, zwei Mil­lio­nen Ge­ne­se­ne und 62.156 Ver­stor­be­ne so­wie ei­ne 7-Ta­ge-In­zi­denz (7-TI) von 73 Fäl­len pro 100.000 Ein­woh­ner. Mehr als 2,3 Mil­lio­nen Per­so­nen wur­den seit dem 26. De­zem­ber 2020 min­des­tens ein­mal ge­impft (Quo­te: 2,8), über ei­ne Mil­lion Per­so­nen zwei­mal (Quo­te: 1,2) – trotz des Wirr­warrs beim Be­schaf­fen der Vak­zi­ne. Fo­kus Kon­takt­nach­ver­fol­gung: Laut Digital­ver­band Bitkom hat in­zwi­schen je­der Drit­te ab 16 Jah­ren (32 Pro­zent) die ⭲ „Corona-Warn-App (CWA)“ auf Smart­phone oder iPhone in­stal­liert, wei­te­re 17 Pro­zent wol­len dies noch tun. Das ent­spricht 33 Mil­lio­nen Men­schen in Deutsch­land. Bei­ge­schmack: Je­der Drit­te will an­de­re nicht über ein In­fek­tions­ri­si­ko warnen.

„Kollateralschäden“ der Lockdowns: Wirtschaft und Handel

Alldieweil werden immer mehr „Kollateralschäden“ der Lockdowns mit Zah­len be­legt. So mel­det das Sta­tis­ti­sche Bun­des­amt (De­sta­tis/StBA), das preis­be­rei­nig­te Brut­to­in­lands­pro­dukt (BIP) sei im Jahr 2020 um fünf Pro­zent nie­dri­ger ge­we­sen als im Vor­jahr: „Die deut­sche Wirt­schaft ist so­mit nach ei­ner zehn­jäh­ri­gen Wachs­tums­pha­se im Corona-Kri­sen­jahr 2020 in ei­ne tie­fe Re­zes­sion ge­ra­ten, ähn­lich wie zu­letzt wäh­rend der Fi­nanz- und Wirt­schafts­kri­se 2008/2009.“ Im ge­sam­ten Jahr 2020 lag die Pro­duk­tion im Pro­du­zie­ren­den Ge­wer­be laut StBA ka­len­der­be­rei­nigt um 8,5 Pro­zent nie­dri­ger als im Vorjahr.

Fokus Erwerbstätigkeit: Im Jahresdurchschnitt 2020 wa­ren laut StBA rund 44,8 Mil­lio­nen Per­so­nen mit Ar­beits­ort in Deutsch­land er­werbs­tä­tig, 477.000 Per­so­nen oder 1,1 Pro­zent we­ni­ger als 2019 und 76.000 Per­so­nen oder 0,2 Pro­zent we­ni­ger als 2018. Fo­kus Ar­beits­markt: Nach Be­rech­nun­gen des Nürn­ber­ger In­sti­tuts für Ar­beits­markt- und Be­rufs­for­schung (IAB) konn­ten von Ok­to­ber 2020 bis Mit­te Fe­bru­ar 2021 rund 1,2 Mil­lio­nen Er­werbs­tä­ti­ge nicht ih­re Tä­tig­keit aus­üben. Der ge­sam­te Ar­beits­aus­fall auf­grund von Kita- und Schul­schlie­ßun­gen be­lief sich auf ge­schätz­te 37,4 Mil­lio­nen Ar­beits­ta­ge oder 0,8 aus­ge­fal­le­ne Ar­beits­ta­ge je Er­werbs­tä­ti­gem. Des Wei­te­ren be­tru­gen die Ar­beits­aus­fäl­le durch In­fek­tio­nen mit SARS-CoV-2 ins­ge­samt 8,7 Mil­lio­nen Ar­beits­ta­ge oder 0,2 aus­ge­fal­le­ne Ar­beits­ta­ge je Er­werbs­tä­ti­gem. Über­dies ent­fie­len durch qua­ran­tä­ne­be­ding­te Ab­we­sen­heit am Ar­beits­platz et­wa 17,7 Mil­lio­nen Ar­beits­ta­ge oder 0,4 aus­ge­fal­le­ne Ar­beits­ta­ge je Er­werbs­tä­ti­gem. Sum­ma sum­ma­rum fie­len in be­sag­tem Zeit­raum durch die „zwei­te Wel­le“ rund 59 Mil­lio­nen Ar­beits­ta­ge aus. Die Ar­beits­zeit­aus­fäl­le durch Kurz­ar­beit oder Kün­di­gun­gen sind hier­bei nicht be­rück­sich­tigt. Fo­kus Mini­job­ber: Nach An­ga­ben der Deut­schen Ren­ten­ver­si­che­rung Knapp­schaft-Bahn-See (KBS) wa­ren zum 31. De­zem­ber 2020 bei der Mini­job-Zen­tra­le 5.822.007 Mini­job­ber im ge­werb­li­chen Be­reich ge­mel­det, 858.724 Per­so­nen oder 12,9 Pro­zent we­ni­ger als im Vor­jahr. Be­son­ders be­trof­fen vom Lockdown seit dem 2. No­vem­ber 2020 ist das Gast- und Un­ter­hal­tungs­ge­wer­be. Im Gast­ge­wer­be sei ein Rück­gang von 50,1 Pro­zent ge­gen­über dem Vor­jahr zu ver­zeich­nen, Be­schäf­ti­gun­gen auf Weih­nachts­märk­ten wur­den im De­zem­ber nicht an­ge­mel­det. Den größ­ten Rück­gang re­gis­trier­te die KBS bei den Un­ter-25-Jäh­ri­gen: ein Mi­nus von fast 20 Prozent.

Wenn wir die nächste Fastnacht wieder unbeschwert gemeinsam begehen möchten,
dann sind in diesem Jahr Abstand und Disziplin angesagt.
Thomas Strobl, MdL (CDU), stv. Mi­nis­ter­prä­si­dent des Lan­des Ba­den-Würt­tem­berg und
Mi­nis­ter für In­ne­res, Di­gi­ta­li­sie­rung und Mi­gra­tion, 9. Fe­bru­ar 2021

Fokus Reisebranche: Die Reisebeschränkungen be­ein­träch­tig­ten laut StBA das Ge­schäft – die Um­sät­ze der Rei­se­bü­ros, -ver­an­stal­ter und Re­ser­vie­rungs­dienst­leis­ter la­gen von Ja­nu­ar bis Sep­tem­ber 2020 ka­len­der- und sai­son­be­rei­nigt um 61 Pro­zent un­ter de­nen des Vor­jah­res­zeit­raums. Die Be­her­ber­gungs­be­trie­be ver­zeich­ne­ten mit 302,3 Mil­lio­nen Über­nach­tun­gen in- und aus­län­di­scher Gäs­te ei­nen Ein­bruch um 39 Pro­zent im Ver­gleich zu 2019. Nach Er­geb­nis­sen des Baye­ri­schen Lan­des­amts für Sta­tis­tik sank der Um­satz im Gast­ge­wer­be 2020 im Ver­gleich zu 2019 no­mi­nal um 36,9 Pro­zent, preis­be­rei­nigt um 39,3 Pro­zent – und die Zahl der Be­schäf­tig­ten ging um 16,5 Pro­zent zu­rück. Fo­kus Fasching 2020/2021: Ei­ner Be­rech­nung des In­sti­tuts der deut­schen Wirt­schaft (IW) zu­fol­ge be­trägt der Aus­fall für Ein­zel­händ­ler, Gas­tro­no­men und Ho­te­liers in die­ser Ses­sion rund 1,5 Mil­liar­den Euro.

Fokus Bayern: Der zweite Lockdown und das an­dauern­de In­fek­tions­ge­sche­hen ha­ben die Er­ho­lung der Wirt­schaft nach dem his­to­ri­schen Ein­bruch 2020 aus­ge­bremst. Der Kon­junk­tur­in­dex des Baye­ri­schen In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer­tags (BIHK) ist seit Herbst von 107 Punk­ten auf 98 Punk­te zu­rück­ge­fal­len: „Die Corona-Pandemie ist und bleibt der Be­stim­mer auch in der baye­ri­schen Wirt­schaft“, kon­sta­tiert BIHK-Haupt­ge­schäfts­füh­rer Dr. Manfred Gößl.

„Kollateralschäden“ der Lockdowns: Gesellschaft

Darüber hinaus sollten auch die gesellschaftlichen Schäden sys­te­ma­tisch er­fasst wer­den, meint Prof. Dr. Hendrik Streeck, Di­rek­tor des In­sti­tuts für Vi­ro­lo­gie am Uni­ver­si­täts­kli­ni­kum Bonn: Die Po­li­tik müs­se ab­wä­gen und dür­fe sich nicht nur von Vi­ro­lo­gen, Epi­de­mio­lo­gen und Phy­si­kern lei­ten lassen.

Fokus Schulen: Schulschießungen, Homeschooling, Wechsel- und Dis­tanz­un­ter­richt be­las­ten El­tern und Kin­der glei­cher­ma­ßen, ver­schär­fen so­zia­le Un­gleich­hei­ten und schmä­lern Zu­kunfts­chan­cen. Nach An­sicht von Prof. Dr. Andreas Schleicher, Di­rek­tor für Bil­dung und Kom­pe­ten­zen der Or­ga­ni­sa­tion für wirt­schaft­li­che Zu­sam­men­ar­beit und Ent­wick­lung (OECD), füh­ren Schul­schlie­ßun­gen ei­ner­seits zu Leis­tungs­ver­lus­ten, ins­be­son­de­re bei Kin­dern „aus bil­dungs­fer­nen Schich­ten“, an­de­rer­seits bei Kin­dern und Schü­lern, für die digi­ta­les Ler­nen kei­ne Al­ter­na­ti­ve sei, zu Ri­si­ken „über­pro­por­tio­nal zur Län­ge des Lock­downs“. Der Prä­si­dent des Deut­schen Leh­rer­ver­bands (DL), Heinz-Peter Meidinger, sieht eben­falls De­fi­zi­te und die Ge­fahr, dass Schü­ler kei­nen oder zu­min­dest den an­ge­streb­ten Ab­schluss nicht mehr er­rei­chen: „Das be­deu­tet mas­siv ver­schlech­ter­te Zu­kunfts­chan­cen.“ Und Prof. Dr. Hans-Iko Huppertz, Ge­ne­ral­se­kre­tär der Deut­schen Aka­de­mie für Kin­der- und Ju­gend­me­di­zin e. V. (DAKJ), be­fürch­tet schlim­me ge­sell­schaft­li­che Fol­gen: Das Bil­dungs­de­fi­zit bei Schü­lern wer­de da­zu füh­ren, dass sie ih­re Mög­lich­kei­ten im spä­te­ren Le­ben nicht aus­schöpf­ten und dauer­haft ein sig­ni­fi­kant nie­dri­ge­res Ein­kom­mens­ni­veau erreichten.

Fokus Eltern: 59,02 Prozent der 10.092 in ei­ner Er­he­bung Mit­te/En­de Ja­nu­ar 2021 von der nie­der­säch­si­schen Lan­des­el­tern­ver­tre­tung (LEV) be­frag­ten El­tern emp­fin­den ih­re Si­tua­tion als be­las­tend bis sehr be­las­tend (im De­tail: 3,52 Pro­zent gar nicht, 9,73 Pro­zent et­was, 27,72 Pro­zent mit­tel, 34,97 Pro­zent be­las­tend, 24,05 Pro­zent sehr be­las­tend). Un­ter­schie­den zwi­schen al­lein­er­zie­hend, ge­trennt le­bend so­wie Le­bens­ge­mein­schaft oder Ehe be­wer­tet je­weils ei­ne deut­li­che Mehr­heit ih­re Si­tua­tion als be­las­tend bis sehr be­las­tend (im De­tail: al­lein­er­zie­hend 63,79 Pro­zent, ge­trennt le­bend 63,73 Pro­zent, Le­bens­ge­mein­schaft oder Ehe 58,79 Prozent).

Fokus Kinder: Fast jedes dritte Kind zeigt ein Jahr nach Be­ginn der Corona-Krise psy­chi­sche Auf­fäl­lig­kei­ten, be­sagt die Copsy-Stu­die des Uni­ver­si­täts­kli­ni­kums Hamburg-Eppendorf (UKE). Da­nach ha­ben Sor­gen und Ängs­te so­wie de­pres­si­ve Symp­to­me und psy­cho­so­ma­ti­sche Be­schwer­den wie Kopf- oder Bauch­schmer­zen zu­ge­nom­men. Vor der Corona-Krise wur­de le­dig­lich bei zwei von zehn Kin­dern ein Ri­si­ko für psy­chi­sche Auf­fäl­lig­kei­ten fest­ge­stellt. Darüber hinaus ha­be sich die Le­bens­qua­li­tät wei­ter ver­schlech­tert, be­son­ders bei Kin­dern aus so­zial schwa­chen Ver­hält­nis­sen und mit Migrationshintergrund.

Frust, Existenzängste, Verzweiflung und Wut auf die Politik nehmen dramatisch zu.
Wir haben es satt, immer nur salbungsvolle Worte zu hören.
Wolfgang Puff, Haupt­ge­schäfts­füh­rer des Han­dels­ver­ban­des Bayern e. V., 2. Fe­bru­ar 2021

Fokus Krebstherapien: Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ), die Stif­tung Deut­sche Krebs­hil­fe und die Deut­sche Krebs­ge­sell­schaft e. V. (DKG) sig­na­li­sier­ten Mit­te De­zem­ber 2020, die Kli­ni­ken seien an der Be­las­tungs­gren­ze, die Ver­sor­gung von Pa­tien­ten mit schwer­wie­gen­den Er­kran­kun­gen wie Krebs deut­lich be­ein­träch­tigt. On­ko­lo­gi­sche Ein­grif­fe wür­den ver­scho­ben, diag­nos­ti­sche Un­ter­su­chun­gen und Nach­sor­ge zu­rück­ge­fah­ren. Be­reits wäh­rend der ers­ten Wel­le war die Ver­sor­gung von Krebs­pa­tien­ten ein­ge­schränkt, zehn­tau­sen­de Opera­tio­nen wur­den verschoben.

Fokus Zahngesundheit: Die Kassenzahnärztliche Vereinigung Bayerns (KZVB) warnt da­vor, die re­gel­mä­ßi­ge Vor­sor­ge beim Zahn­arzt we­gen der Corona-Krise zu ver­nach­läs­si­gen, denn im ers­ten Halb­jahr 2020 wur­den 650.000 Vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen we­ni­ger durch­ge­führt als im Vor­jah­res­zeit­raum. Christian Berger, Vor­sit­zen­der des Vor­stands der KZVB mahnt: „Karies macht keine Pause. Wir ra­ten al­len Pa­tien­tin­nen und Pa­tien­ten, die re­gel­mä­ßi­ge Vor­sor­ge­un­ter­su­chung beim Zahn­arzt trotz Aus­gangs­be­schrän­kun­gen durch­füh­ren zu las­sen. Es wä­re be­dauer­lich, wenn sich die Mund­ge­sund­heit der baye­ri­schen Be­völ­ke­rung auf­grund der Pandemie dauer­haft verschlechtert.“

Ruf nach „Öffnungsstrategie“

Mittlerweile werden die Rufe nach einem Ende der Beschränkungen lau­ter, nach ei­ner Öff­nungs­stra­te­gie, nach Pla­nungs­si­cher­heit, nach ⭲ wei­te­ren Fi­nanz­hil­fen. Be­son­ders be­trof­fen: Ho­tel­le­rie und Gas­tro­no­mie, Tou­ris­mus und Kul­tur, ⭲ Frei­zeit und Sport, Event- und Ca­te­ring­ser­vice, Messe- und Ver­an­stal­tungs­wirt­schaft, Py­ro­tech­nik­in­dus­trie so­wie das Fri­seur­hand­werk. Über­brü­ckungs­gel­der und Ei­gen­ka­pi­tal­hil­fen sind ter­mi­niert, Digi­ta­li­sie­rungs­po­ten­zia­le be­grenzt. Jörg Müller, Haupt­ge­schäfts­füh­rer des Zen­tral­ver­bands des Deut­schen Fri­seur­hand­werks (ZV), mut­maßt gar, Schwarz­ar­beit sei „in un­se­rem Hand­werk zwi­schen­zeit­lich zu ei­nem wohl ech­ten Pro­blem geworden“.

Unterm Strich fordert Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deut­schen Hotel- und Gast­stät­ten­ver­ban­des e. V. (DEHOGA Bun­des­ver­band), „kla­re Kri­te­rien, wann und un­ter wel­chen Voraus­set­zun­gen un­se­re Be­trie­be wie­der ge­öff­net wer­den“. Auch der Prä­si­dent des Bun­des­ver­ban­des der Freien Be­ru­fe e. V. (BFB), RA Prof. Dr. Wolfgang Ewer, plä­diert für ei­ne „Öff­nungs­stra­te­gie“. Li­qui­de müs­sen auch So­lo-Selbst­stän­di­ge, Klein­be­trie­be und Mit­tel­stand blei­ben. Des­halb warnt Andreas Bensegger, Vor­sit­zen­der des IHK-Re­gio­nal­aus­schus­ses Rosenheim, die Re­ser­ven seien auf­ge­braucht: „Die Wirt­schaft be­nö­tigt schnellst­mög­lich ei­ne Öff­nungs­per­spek­ti­ve.“ Und selbst der Prä­si­dent des Be­rufs­ver­ban­des der Kinder- und Ju­gend­ärz­te e. V. (BVKJ), Dr. Thomas Fischbach, warnt, vie­len Pra­xen „steht das Was­ser bis zum Hals“. Grund seien aku­te Ein­nah­me­aus­fäl­le von bis zu 40 Pro­zent, da we­gen der Schutz­maß­nah­men we­ni­ger Arzt­kon­tak­te stattfänden.

Zusätzliche „Corona-Hilfen“

Bislang sind elf „Förderinstrumente“ als „Corona-Hilfen“ für Un­ter­neh­men, Mit­tel­ständ­ler, Start-ups, So­lo-Selbst­stän­di­ge, Ar­beits­su­chen­de, Ver­ei­ne so­wie Ein­rich­tun­gen, die von der tem­po­rä­ren Schlie­ßung be­trof­fen sind, be­fris­tet bud­ge­tiert wor­den: 1. Zwei-Mil­liar­den-Eu­ro-Pa­ket, 2. Wirt­schafts­sta­bi­li­sie­rungs­fonds der EU, 3. KfW-Schnell­kre­dit, 4. KfW-Son­der­pro­gramm, 5. Wa­ren­kre­dit­ver­si­che­run­gen und Ex­port­kre­dit­ga­ran­tien, 6. Bürg­schaf­ten, 7. Kurz­ar­bei­ter­geld, 8. Steuer­li­che Maß­nah­men, 9. Über­brü­ckungs­hil­fe, 10. Ver­ein­fach­ter Zu­gang zur Grund­si­che­rung so­wie 11. No­vem­ber- und De­zem­ber­hil­fe. De­tails sind on­line ab­ruf­bar un­ter www.bundesregierung.de, www.bundesfinanzministerium.de und www.bmwi.de. Al­lein die Not­hil­fen für ge­werb­li­che und frei­be­ruf­li­che Un­ter­neh­men mit Kre­di­ten, Re­ka­pi­ta­li­sie­run­gen, Bürg­schaf­ten, Ga­ran­tien und Zu­schüs­sen sind laut Bun­des­mi­nis­te­rium für Wirt­schaft und Ener­gie (BMWi) „das größ­te Hilfs­pa­ket in der Ge­schich­te der Bun­des­re­pu­blik“: Von An­be­ginn der Corona-Krise bis An­fang Fe­bru­ar wur­den hier­über 80,3 Mil­liar­den Eu­ro ausgezahlt.

Gleichwohl verweist Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer vom Han­dels­ver­band Deutsch­land – HDE e. V., auf die Ver­zweif­lung vie­ler Ein­zel­händ­ler: „Nach wie vor kommt das Geld aus den staat­li­chen Hilfs­pro­gram­men nicht aus­rei­chend an“. Und selbst Armin Laschet (CDU), Mi­nis­ter­prä­si­dent des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len, kri­ti­siert die Bun­des­re­gie­rung: „Seit No­vem­ber bis En­de Fe­bru­ar gar nichts auf die Ket­te ge­kriegt.“ Vie­le An­trag­stel­ler hät­ten kei­nen Cent ge­se­hen. „Bazooka an­ge­kün­digt – nichts ge­kom­men.“ Peter Altmaier (CDU), Bun­des­mi­nis­ter für Wirt­schaft und Ener­gie im Ka­bi­nett Merkel IV, führt dies auf ad­mi­nis­tra­ti­ve Schwie­rig­kei­ten zu­rück und bit­tet um Ent­schul­di­gung: Hät­te er ir­gend­ei­ne Mög­lich­keit ge­se­hen, die Aus­zah­lung der Not­hil­fen zu be­schleu­ni­gen, „ich hät­te es gemacht“.

Alle Gruppen, die im Lockdown Nachteile erleiden,
fordern immer mehr und bessere Leistungen,
ohne dass die Leistungsfähigkeit des Staates und
der spätere Ausgleich auch nur erwähnt werden.
Dr. Gerd Landsberg, Haupt­ge­schäfts­füh­rer des Deut­schen Städte- und Ge­mein­de­bun­des (DStGB),
9. Fe­bru­ar 2021

Demgegenüber wurde in der neuerlichen Videoschalte zwischen der Bun­des­kanz­le­rin und den Mi­nis­ter­prä­si­den­ten er­klärt, die An­trag­stel­lung für die Über­brü­ckungs­hil­fe III sei nun­mehr mög­lich. Da­mit be­gin­ne die Aus­zah­lung „mit groß­zü­gi­gen Ab­schlags­zah­lun­gen“ von bis zu 100.000 Eu­ro je Mo­nat, ma­xi­mal 400.000 Eu­ro im au­to­ma­ti­sier­ten Ver­fah­ren für vier Mo­na­te. Der Bun­des­re­gie­rung sei au­ßer­dem „ge­lun­gen, mehr als ei­ne Ver­dopp­lung des EU-Bei­hil­fe­rah­mens für Corona-be­ding­te Schä­den zu er­rei­chen“. Für Kul­tur­schaf­fen­de wür­de das Ret­tungs- und Zu­kunfts­pro­gramm „Neu­start Kul­tur“ mit ei­ner wei­te­ren Mil­liar­de Eu­ro aus­ge­stat­tet, die auch zü­gig zur Aus­zah­lung ge­bracht wer­den soll.

Doch Vorsicht bei nichtrückzahlbaren Transferleistungen: Erfolgt die Be­wil­li­gung grund­los oder un­ter fal­schen Voraus­set­zun­gen, be­steht (Teil-)Rück­zah­lungs­pflicht. Die Kre­di­te sind zweck­ge­bun­den, ein Ver­stoß be­deu­tet Ver­trags­bruch. Und ob­schon die Ver­ga­be­kri­te­rien für staat­li­che Kre­di­te ge­lo­ckert wur­den, könn­ten Un­ter­neh­men bei der Rück­zah­lung Schwie­rig­kei­ten ha­ben, wenn nach En­de des Lock­downs so­wohl der Um­satz­ein­bruch kom­pen­siert als auch die Dar­le­hen be­dient wer­den müs­sen. Oben­drein gilt die Aus­set­zung der In­sol­venz­an­trags­pflicht nur, wenn das Un­ter­neh­men ei­ne be­grün­de­te Aus­sicht auf Sanierung hat.

Diese Pandemie ist offenkundig Ende März noch nicht vorbei.
Jens Spahn, MdB (CDU), Bun­des­mi­nis­ter für Ge­sund­heit im Ka­bi­nett Merkel IV, 8. Fe­bru­ar 2021

Aufgepasst bei der nächsten Steuererklärung: Das Kurzarbeitergeld ist ei­ne Lohn­er­satz­leis­tung. Ob­wohl grund­sätz­lich steuer­frei, wer­den Lohn­er­satz­leis­tun­gen den­noch bei der Steuer­er­klä­rung be­rück­sich­tigt und nach­träg­lich zum re­gu­lä­ren Ar­beits­lohn hin­zu­ge­rech­net, wo­durch der per­sön­li­che Steuer­satz steigt und auf das re­gu­lä­re Ge­halt so­wie al­le an­de­ren steuer­pflich­ti­gen Ein­künf­te an­ge­wen­det wird. Weg­wei­ser er­hal­ten Ver­brau­cher on­line unter www.verbraucherzentrale.de, Ge­wer­be­trei­ben­de via www.bmjv.de. Bei Un­klar­hei­ten be­züg­lich An­spruchs­voraus­set­zun­gen, Fi­nan­zie­rungs­be­darf und Rück­zah­lungs­ver­pflich­tung sind Steuer­be­ra­ter zu­ra­te zu zie­hen. Laut ei­ner Um­fra­ge von „Gel­be Sei­ten“ in Zu­sam­men­ar­beit mit dem Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tut Mente>Factum tun dies 45 Pro­zent der Be­frag­ten, die ei­ne Steuer­er­klä­rung er­stel­len. Gleich­wohl ap­pel­liert der Baye­ri­sche Staats­mi­nis­ter für Wirt­schaft, Lan­des­ent­wick­lung und Ener­gie im Ka­bi­nett Söder II, Hubert Aiwanger (Freie Wähler): „Die Sub­ven­tion aus der Staats­kas­se ist kein Dauer­zu­stand und für die Un­ter­neh­mer demotivierend.“ 

Hinweis. Diese Ausführungen dienen lediglich der Orientierung und er­set­zen aus­drück­lich kei­ne recht­li­che so­wie steuer­recht­li­che Beratung.


Erstveröffentlichung

Print: Ro­sen­hei­mer blick, Inn­ta­ler blick, Mang­fall­ta­ler blick, Was­ser­bur­ger blick, 35. Jg., Nr. 6/2021, Sams­tag, 13. Fe­bru­ar 2021, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ (Kurz­fas­sung) [186/3/1/9]; Inn-Salz­ach blick, 12. Jg., Nr. 6/2021, Sams­tag, 13. Fe­bru­ar 2021, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ (Kurz­fas­sung) [201/3/1/9].
Online: ⭱ blick-punkt.com (Kurz­fas­sung), Mitt­woch, 10. Fe­bru­ar 2021; ⭱ E-Paper Ro­sen­hei­mer blick, ⭱ E-Paper Inn­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Mang­fall­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Was­ser­bur­ger blick, ⭱ E-Paper Inn-Salz­ach blick, Sams­tag, 13. Fe­bru­ar 2021. Stand: Neu­jahr, 1. Ja­nu­ar 2024.
Publikationsverzeichnis: ⭲ Index 2021.


 

Dr. Olaf Konstantin Krueger M.A.

Digitaljournalist – Digitalpolitiker

1 thoughts on “Corona-Krise: Öffnungsperspektive gegen Verzweiflung
Sasse: „Die Lage ist bitterernst“

  • Montag, 27. September 2021 um 19:11 Uhr
    Permalink

    Herzlichen Dank für den wertvollen Artikel! Sehr cooler Blog.

    Antwort

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