Geschlechtergerechte Sprache
Fang ma o zu gendern!?

Die Öffentlichen Verwaltungen in Hannover und Augsburg sind seit An­fang Fe­bru­ar per „Ge­schäfts­an­wei­sung“ an­ge­hal­ten, in al­len Tex­ten pe­dan­tisch „ge­schlech­ter­ge­rech­te Spra­che“ zu ver­wen­den: „Ge­schlech­ter­sen­sib­ler Sprach­ge­brauch“ soll die Gleich­stel­lung der Ge­schlech­ter zum Aus­druck brin­gen. Da­zu wer­den Vo­ka­bu­lar, Or­tho­gra­phie oder Gram­ma­tik ver­än­dert. „Ar­beits­hil­fen“ zum Sprach­um­bau ge­ben den Ver­wal­tungs­an­ge­stell­ten Orien­tie­rung, wie das Mas­ku­li­ne in der Amts­spra­che ge­schleift wird. Las­sen sich Wör­ter nicht ins Neu­trum um­wan­deln, wird im SPD-re­gier­ten Han­no­ver or­tho­gra­fisch-ty­po­gra­fisch der „Gender-Stern“ ge­nutzt. Dar­auf ver­zich­tet al­ler­dings das CSU-re­gier­te Augsburg, denn der „As­te­risk“ ent­spre­che nicht den Re­geln der deut­schen Recht­schrei­bung. Rat gibt es auch für „Erika und Max Mustermann“.

„Architekt (m/w/d) gesucht“ – der ak­tu­el­le Stel­len­markt kennt seit der Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­rich­tes (BVerfG) zum drit­ten Ge­schlecht im Ok­to­ber 2017 ne­ben „männ­lich“ und „weib­lich“ auch „di­vers“. Das BVerfG hat­te ge­ur­teilt, das all­ge­mei­ne Per­sön­lich­keits­recht schüt­ze die ge­schlecht­li­che Iden­ti­tät auch der­je­ni­gen, die sich dauer­haft we­der dem männ­li­chen noch dem weib­li­chen Ge­schlecht zu­ord­nen las­sen. Die Bun­des­re­gie­rung trug der BVerfG-Ent­schei­dung im Au­gust 2018 Rech­nung und ver­ab­schie­de­te ei­nen Ent­wurf zur Än­de­rung des Per­so­nen­stands­ge­set­zes. Hier­nach kann im Ge­bur­ten­re­gis­ter ne­ben „männ­lich“ und „weib­lich“ ent­we­der auf ei­ne Ge­schlechts­an­ga­be ver­zich­tet oder die Be­zeich­nung „di­vers“ ein­ge­tra­gen wer­den, so­fern die Per­son kei­nem Ge­schlecht zu­ge­ord­net wer­den kann. Auf wei­ter­ge­hen­de sprach­li­che An­pas­sun­gen ver­zich­tet der Gesetzentwurf.

Die Einführung von Toiletten für das drit­te Ge­schlecht an ei­ni­gen Grund­schu­len war kein Wunsch be­trof­fe­ner El­tern und schon gar nicht der Kin­der, die sich in die­sem Al­ter die­ser Ge­schlech­ter­dif­fe­ren­zie­rung noch gar nicht be­wusst sind. Es war der Wil­le von Po­li­ti­kern. Sie wol­len ih­re po­li­ti­sche Agenda und Ideo­lo­gie auf die­sem Weg in die Schu­len tra­gen.
Heinz-Peter Meidinger, Prä­si­dent vom „Deut­schen Leh­rer­ver­band (DL)“, 7. Ju­ni 2019

Eine „gesellschaftliche Reaktion“ auf das Urteil besteht für Gar­chings Bür­ger­meis­ter Dietmar Gruchmann (SPD) da­rin, Unisex-Toi­let­ten in Grund- und Mit­tel­schu­len ein­zu­füh­ren: In Uni­sex-Toi­let­ten sind so­wohl WC-Schüs­seln als auch Uri­na­le vor­han­den. In Pul­lach und Tauf­kir­chen sol­len für di­vers ein­ge­schätz­te Kin­der di­rekt ei­ge­ne Schul-Toi­let­ten nach­ge­rüs­tet wer­den. Ne­ben die­ser bau­li­chen Au­gen­schein­lich­keit stei­gen bei Sprach­be­ra­tungs­in­sti­tu­tio­nen die Nach­fra­gen zur an­ge­mes­se­nen Um­set­zung von In­ter­se­xua­li­tät und Ge­schlech­ter­ge­rech­tig­keit im Sprachgebrauch.

Rat vom Rat

Der Rat für deutsche Rechtschreibung – „die zen­tra­le In­stanz in Fra­gen der Recht­schrei­bung“ – hat sich mit „ge­schlech­ter­ge­rech­ter Spra­che“ im No­vem­ber 2018 be­fasst und un­ter­schei­det bei der „ge­schlech­ter­ge­rech­ten Mar­kie­rung“ in Schrei­bung und Spra­che drei Va­rian­ten: die or­tho­gra­fisch-ty­po­gra­fi­sche, die sti­lis­ti­sche und die gram­ma­ti­ka­lisch-syn­tak­ti­sche Strategie.

Zur orthografisch-typografischen Strategie gehören Ver­kür­zun­gen mit­tels Schräg­strich („Leh­rer/in“), Bin­de­strich („Leh­rer/-in“), Bin­nen-I („Leh­rerIn“), Klam­mer („Leh­rer(in)“), „Gen­der-Gap“ mit sta­ti­schem Un­ter­strich („je­de_r Leh­rer_in“) oder dy­na­mi­schem Un­ter­strich („Sie_r“), As­te­risk („Leh­rer*in­nen“), x-Form („dix Lehrx“) so­wie Kurz­wör­ter (Azu­bi). Die sti­lis­ti­sche Stra­te­gie kennt Dop­pel­nen­nun­gen („Leh­re­rin­nen und Leh­rer“), Er­satz­for­men („Lehr­kräf­te“) und das Ver­mei­den des ge­ne­ri­schen Mas­ku­li­nums/genus commune („Sie ist Leh­rer“ wird zu: „Sie ist Leh­re­rin“). Die gram­ma­ti­ka­lisch-syn­tak­ti­sche Stra­te­gie schließ­lich ver­mei­det männ­li­che Be­zeich­nun­gen („Alle, die leh­ren“), Kli­schees, Stereo­ty­pen so­wie „sexis­ti­sche“ Aus­drucks­for­men („das schwa­che Ge­schlecht“) und nutzt Pas­siv-/In­fi­ni­tiv­for­mu­lie­run­gen („Der Leh­rer ana­ly­siert“: „Es wird ana­ly­siert“), Pas­siv­sät­ze an­statt „man“, Ad­jek­ti­ve an­stel­le ei­nes No­mens („Rat des Arz­tes“: „ärzt­li­cher Rat“), Plu­ral statt Sin­gu­lar („Je­der, der“: „Al­le, die“), Über­ein­stim­mun­gen bei gleich­ge­schlecht­li­chen Grup­pen („Lea und Ma­ren sind Leh­re­rin­nen“) so­wie weib­li­che Be­zeich­nun­gen bei An­re­den und Titeln.

Ich bin nach wie vor für das Binnen-I, das der von mir bevorzugten Lösung,
dem generischen Femininum, noch am nächs­ten kommt.
Prof. Dr. Luise F. Pusch, feministische Sprachwissenschaftlerin,
ei­ne der Be­grün­de­rin­nen der fe­mi­nis­ti­schen Lin­guis­tik in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land

Wenngleich ohne normgebende Kompetenz, empfiehlt der Rat für ei­ne „ge­schlech­ter­ge­rech­te Schrei­bung“ sechs „Kri­te­rien“: Sie sol­le sach­lich kor­rekt, ver­ständ­lich, les- und vor­les­bar sein, die Rechts­si­cher­heit und Ein­deu­tig­keit ge­währ­leis­ten, auf deutsch­spra­chi­ge Län­der mit meh­re­ren Amts- und Min­der­hei­ten­spra­chen über­trag­bar sein so­wie den „Le­sen­den“ und „Hö­ren­den“ die Mög­lich­keit zur Kon­zen­tra­tion auf die we­sent­li­chen Sach­ver­hal­te und Kern­in­for­ma­tio­nen er­mög­li­chen. Aus­ge­hend vom ak­tu­el­len amt­li­chen Re­gel­werk sind da­mit be­stimm­te Schreib­wei­sen nicht norm­ge­recht, so die Klam­mer-Va­rian­te und das Bin­nen-I. Die x-Form und bei­de For­men des „Gen­der-Gap“ ver­schlech­ter­ten die Ver­ständ­lich­keit von Tex­ten. Im Hoch­schul­be­reich und in öf­fent­li­chen Ver­wal­tun­gen wie­de­rum ver­brei­te sich der As­te­risk und ver­drän­ge die „ge­schlech­ter­ge­rech­te Schrei­bung mit Paarformen“.

„Aufhebung binärer Geschlechtsvorstellungen“

„Genderneutrale“ Sprachregeln gehen un­ter­des­sen in ih­rer „Auf­he­bung bi­nä­rer Ge­schlechts­vor­stel­lun­gen“ über text­li­che An­pas­sun­gen hi­naus und grei­fen in den all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauch ein. So wird et­wa aus dem Ar­chi­tek­ten der „Ar­chi­tek­tur­schaf­fen­de“, aus dem Ehe­part­ner die „ge­ehe­lich­te Per­son“, aus dem Film­star die „Film­be­rühmt­heit“, aus dem „Mäd­chen für al­les“ ein „Mensch für al­les“. Ei­nen Über­blick gibt www.geschicktgendern.de. Auch der Dis­put um ei­ne „gen­der­ge­rech­te“ Na­tio­nal­hym­ne im März 2018 ver­deut­licht dies: Die Gleich­stel­lungs­be­auf­trag­te im Bun­des­fa­mi­lien­mi­nis­te­rium, Kristin Rose-Möhring, for­der­te, „Ei­nig­keit und Recht und Frei­heit, für das deut­sche Vater­land“ um­zu­schrei­ben in „für das deut­sche Hei­mat­land“ so­wie „brü­der­lich mit Herz und Hand“ in „cou­ra­giert mit Herz und Hand“.

Fragen nach Hierarchie, Differenz, Rollen und Stereotypen von, zwischen und über Ge­schlech­ter wid­men sich wie­de­rum in­ter- und trans­dis­zi­pli­nä­re „Gen­der Stu­dies“. Da­zu gab es En­de No­vem­ber 2017 nach ei­ner Er­he­bung der Freien Uni­ver­si­tät Ber­lin in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land 185 „Gen­der­pro­fes­su­ren“, da­von 141 an Uni­ver­si­tä­ten und 44 an Fach­hoch­schu­len – die meis­ten in Nord­rhein-West­fa­len (63) und Ber­lin (36), kei­ne in den Bun­des­län­dern Saar­land und Sach­sen. Man­che For­schungs­er­geb­nis­se wer­den in der Öf­fent­lich­keit teils kon­tro­vers, teils po­le­misch diskutiert.

„Geschlechtsumfassende Formulierungen“

Die Hannoveraner und Augsburger Ver­wal­tungs­an­ge­stell­ten sind nun an­ge­wie­sen, durch „ge­schlechts­um­fas­sen­de For­mu­lie­run­gen“ al­le Men­schen zu ad­res­sie­ren: Frauen und Män­ner und je­ne, die sich selbst nicht als Frau oder Mann be­schrei­ben. Die Sprach­re­ge­lung sieht un­ter an­de­rem fol­gen­de Neu­schöp­fun­gen vor: Red­ner­lis­te wird zu Re­de­lis­te, Teil­neh­mer­lis­te/Teil­nah­me­lis­te, Wäh­ler­ver­zeich­nis/Wäh­len­den­ver­zeich­nis, Er­zie­hungs­be­rech­tig­ter/er­zie­hungs­be­rech­tig­te Per­son, Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter/Mit­ar­bei­ten­de, Herr und Frau Schulz/Ani­ta und Kon­rad Schulz, Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen/Kol­leg*in­nen, der In­ge­nieur – die In­ge­nieu­rin/der*die In­ge­nieur*in, An­trag­stel­ler/an­trag­stel­len­de Person.

Sprache ist mein Handwerk.
Niemand schreibt mir vor, wie ich zu sprechen und zu denken habe.
Das erlaube ich nicht.
Heinz Rudolf Erich Arthur Kunze, deutscher Rocksänger, Schriftsteller,
Liedermacher, Musicaltexter/-übersetzer, 10. Oktober 2021 (BamS/S. 47)

Tessa Ganserer, queerpolitische Sprecherin der baye­ri­schen Land­tags­frak­tion von Bünd­nis 90/DIE GRÜ­NEN, ist von der Rich­tig­keit des ein­ge­schla­ge­nen We­ges über­zeugt: „Ich glaube fest da­ran, dass die An­er­ken­nung der neuen Le­bens­rea­li­tät ei­nen neuen sprach­li­chen Um­gang nach sich zie­hen wird, auch, wenn wir heu­te noch nicht ab­se­hen kön­nen, wel­che For­mu­lie­run­gen sich durch­set­zen wer­den.“ Dem­ge­gen­über hält der Han­no­ve­ra­ner FDP-Vor­sit­zen­de Patrick Döring we­nig von der An­wei­sung und ruft kur­zer­hand zum Boy­kott auf: „Ich emp­feh­le, das zu ig­no­rie­ren.“ Stephan Weil (SPD), Mi­nis­ter­prä­si­dent von Nie­der­sach­sen, gibt zu be­den­ken: „Po­li­tik und Ver­wal­tung müs­sen auf­pas­sen, sich nicht zu sehr von der All­tags­spra­che der Men­schen zu entfernen.“ 


Erstveröffentlichung

Print: Ro­sen­hei­mer blick, Inn­ta­ler blick, Mang­fall­ta­ler blick, Was­ser­bur­ger blick, 32. Jg., Nr. 5/2019, Sams­tag, 2. Fe­bru­ar 2019, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“; Inn-Salz­ach blick, 10. Jg., Nr. 5/2019, Sams­tag, 2. Fe­bru­ar 2019, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ [197/3/1/8].
Online: ⭱ blick-punkt.com, Diens­tag, 29. Ja­nu­ar 2019; ⭱ E-Paper Ro­sen­hei­mer blick, ⭱ E-Paper Inn­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Mang­fall­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Was­ser­bur­ger blick, ⭱ E-Paper Inn-Salz­ach blick, Sams­tag, 2. Fe­bru­ar 2019. Stand: Neu­jahr, 1. Ja­nu­ar 2024.
 

Dr. Olaf Konstantin Krueger M.A.

Digitaljournalist – Digitalpolitiker