Digitale Transformation
Journalismus in Zeiten Künstlicher Intelligenz
Salzburg — Im Zuge der Fusion der traditionellen massenmedialen Infrastruktur mit dem Internet sowie der zunehmenden Ökonomisierung und digitalen Transformation in der Verlags- und Medienbranche werden herkömmliche Workflows, Kommunikations-, Partizipations- und Ausdrucksformen fortlaufend neu definiert. Das beginnt bei Rationalisierung, Automatisierung und KI-basierten Softwaresystemen, geht über Entmonetarisierung journalistischer Erzeugnisse, Redaktionsfusionen und Beschäftigungsabbau, bringt Flexibilisierung, Arbeitsverdichtung, Beschleunigung und (fachfremde) Tätigkeitserweiterung, befördert mehrmediale, massenkompatible Produktausrichtung sowie reichweitentaugliche Boulevardisierung – und reicht bis zur publizistischen Hybridstrategie oder Ablösung von Druckerzeugnissen durch digitale Vertriebsformate. Die Digitalisierung verändert zudem die (Medien-)Umgebung, die Kommunikationsbedingungen und den journalistischen Alltag. Vollautomatisch generierte Beiträge mittels Roboterjournalismus, Hörfunk über Smart Speaker, Visualisierungen komplexer Zusammenhänge via Data-driven Journalism, bildgewaltiges Storytelling dank 360-Grad-Kameras und beeindruckende Immersion in der virtuellen Realität erfordern ein abermals höheres Verantwortungsbewusstsein der Medienschaffenden.
Infolge der Globalisierung, der Verbreitung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien sowie der Veränderung im Medienkonsum und Freizeitverhalten wandeln sich die Gewohnheiten, Einstellungen und Kompetenzen der Nutzer. Im allgegenwärtigen, überbordenden und kostenfreien Informationsangebot unterschiedlicher Güte versucht sich im Internet unter den multiplen neuen Akteuren und Datenlieferanten der kostenintensive Qualitätsjournalismus als professioneller Informationsfilter und Nachrichtenanbieter zu behaupten. Crossmediale Verwertungsketten, Hyperaktualität und 24/7-Präsenz sowie Organisation und Moderation der User-Kommunikation auf allen Kanälen sollen Nutzer an seine Angebote binden. Während sich aber Erlösmodelle für die Online-Ableger der Verlage bislang nicht als tragfähig erwiesen haben, weichen sogar neue Online-Werbeformen die Grenzen zwischen Redaktion und Marketing zusätzlich auf. Darüber hinaus erodieren online sendungsbewusste Laien, publikumssüchtige Selbstdarsteller, journalismusferne (Mikro-)Blogger und Vlogger, meinungsstarke Leserreporter, Podcaster, Lobbyisten und PR-Strategen sowie Webradios, User Generated Radios und algorithmisch operierende Informationsmediäre wie Suchmaschinen, News-Aggregatoren und Social Bots die Vormachtstellung und Deutungshoheit der klassischen Medien in der Informationsvermittlung. Obendrein leidet der Qualitätsjournalismus durch die Vorrangigkeit des Geschäftszwecks der Medien, des Sparzwangs.
Die neuen digitalen Kollegen – also neue Audio-Angebote wie Musikstreaming-Dienste, Podcasts und vor allem Smartspeaker – haben einen Audio-Boom ausgelöst.
Davon können und müssen auch die lokalen Anbieter profitieren.
Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), 2. Juli 2019
In der Verlags- und Medienbranche hat die Durchdringung des Marktes mit praktikablen Endgeräten die Voraussetzung für neue Formate und Geschäftsmodelle geschaffen. Lernfähige Dialogsysteme etwa erlauben das Chatten mit technischen Systemen: Maßgeschneiderte Chatbots ermöglichen sowohl Text- als auch Sprachdialoge, bieten sich als persönliche digitale Assistenten an und erleichtern im Marketing die Kommunikation mit Kunden. Künstliche Intelligenz (KI, englisch: Artificial Intelligence/AI) ist im Redaktionsalltag ein Katalysator für grundlegende Veränderungen: Algorithmen analysieren und selektieren Inhalte aus einer Vielzahl von Quellen, indexieren und verknüpfen sie, erstellen autark Metadaten und Content und posten automatisch. Grundbedingung für KI: eine adäquate Daten- und Informationsarchitektur (IA). Über Machine Learning (ML) wird das Erkennen von Mustern und Gesetzmäßigkeiten in der IA trainiert. Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) verbinden digitale Inhalte mit der analogen Welt und öffnen neue Horizonte in der Wahrnehmung.
Das Internet hat die jahrzehntelang robust funktionierenden Bezahlsysteme für journalistische Inhalte von den kostenintensiven Trägermedien entkoppelt. Da dies für sich genommen trotz der inhärenten Dramatik aber nicht den Journalismus als Profession, als Handwerk infrage stellt, sollte weniger der Überlebenskampf der ⭲ Printmedien und ihr logistisches System im Fokus der berufsständischen und unternehmerischen Diskussion stehen, als vielmehr die ernsthafte Befassung mit der Transformation, Finanzierung und Zukunft des Qualitätsjournalismus. Schließlich wirft die unmittelbare Vergleichbarkeit der Vielzahl an Medienprodukten im hoch kompetitiven Online-Markt mit aller Konsequenz die Frage nach den Alleinstellungsmerkmalen der Angebote und ihres (jeweiligen) Mehrwertes auf.
Journalist – Content Provider – Media Producer
Qualitativ geringwertige Medienprodukte und kostenfreie verdeckte Werbebotschaften finden sich online zuhauf. Für diese Beliebigkeit Bezahlsysteme einzurichten führt gewiss zu keiner befriedigenden Einnahme. Die Zahlungsbereitschaft für journalistische Inhalte im Internet steigt erst dann, wenn der Kunde davon überzeugt werden kann, dass er für einen marktgerechten Preis tatsächlich die versprochene Qualität erhält. Dazu müssen Medienproduzenten qualitativ hochwertige Medienprodukte generieren – und zwar unter zweckdienlichen Rahmenbedingungen. Hier haben Breitband, Tablets, Smartphones und Smart Speaker wie Türöffner gewirkt. Digitale Medienprodukte werden durch verbesserte Darstellungsformen (Apps) noch attraktiver und spezifische Geschäftsmodelle mit einfachen Bezahlsystemen kundenfreundlicher.
Der Journalismus hat dank der Digitalisierung alle Möglichkeiten,
besser zu werden als er in seiner analogen Form jemals war. Ich bin fest davon überzeugt,
dass das – nach ein paar Krisen – in ein paar Jahren auch so sein wird.
Dr. Mathias Döpfner, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), 14. Januar 2019
Auch in Zeiten Künstlicher Intelligenz brauchen sich Journalisten zunächst nur ihre klassische Kernkompetenzen, Funktion und Verantwortung zu vergegenwärtigen: unabhängige Auswahl und gründliche Aufbereitung von Information mit sorgfältiger Wahrheits-, Plausibilitäts- und Gegenprüfung, Gewichtung, Einordnung und Kommentierung, um der Öffentlichkeit vertieft, kundig, verständlich und fair Orientierung zu ermöglichen sowie ihre Urteilsfähigkeit zu stärken. Zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe haben Journalisten zudem Sonderrechte: bei der Informationssammlung die Auskunftspflicht von Behörden und der privilegierte Zutritt zu Ereignisorten mittels Presseausweis, beim Schutz von Informanten das Zeugnisverweigerungsrecht. Orientierung geben zudem die im deutschen Pressekodex formulierten ethischen Normen. Besonders im Netz erfordern die schiere Informationsmenge, Fake News und Deep Fakes eine professionelle und rezipientengerechte Trennung zwischen Wichtigem und Unwichtigem, Fakten und Desinformation sowie die bestmögliche Aufarbeitung des Relevanten durch kreatives Nutzen der Gestaltungsmöglichkeiten des Mediums unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte und Beachtung etwa der ⭲ EU-Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO). Hier können Journalisten ihre Glaubwürdigkeit stärken und zugleich jenen Mehrwert schaffen, den etwa eine vollautomatisierte Nachrichtenbündelung alleine nicht zu bieten vermag. Hier sind Algorithmen Hilfsmittel, um große Datenmengen auf Trends, Anomalien und Verbindungen auszuwerten und Inhalte automatisch zu generieren.
Mehrmedialität ist integrale Fachkompetenz des zeitgemäßen Qualitätsjournalismus. Da in Branchen mit hoher Änderungsdynamik die Reichweite der Erstausbildung der zeitlichen Distanz entsprechend abnimmt, erzwingen Innovationen, interdisziplinäre Forschung und Kooperation sowie Wissensintensivierung die kontinuierliche Aktualisierung eigener Kompetenzen. Deswegen müssen nicht alle Journalisten mehrmedial (nach-)qualifiziert sein; auch künftig dürften profilierte Autoren ohne crossmediale Fachkenntnisse ihren Platz im Journalismus haben. Doch mit der Medienfusion werden originär informatische Kompetenzfelder (vernetzte multimediale journalistische Arbeitsweise mit neuen Darstellungsformen gekoppelt mit potenziell globaler User-Kommunikation und Redaktionsmanagement) zur Grundvoraussetzung für die Employability (auch des Führungspersonals), denn Journalisten arbeiten zunehmend konvergent als Media Producer und mittels Mobile Reporting.
Arbeitswelt und Arbeitsplatz von Journalisten im Wandel
Journalisten arbeiten tagtäglich hocheffizient, oft an der Grenze ihrer physischen und psychischen Belastbarkeit und gegenüber harter, auch ökonomischer Konkurrenz in globalen Medienmärkten. Unter scharfem Wettbewerb und permanentem Kostendruck tragen Journalisten nicht nur die Verantwortung für ihren Content, sie müssen fallweise zusätzlich und kontinuierlich Kompetenz beweisen in diversen Bereichen: Medientheorie, Medienökonomie, Betriebswirtschaft, Kostenmanagement, Marketing, Redaktionstechnik und Mitarbeiterführung. Teilweise mutieren sie sogar zu Verkäufern von Programminhalten und zu Selbstvermarktern. Obendrein wird selbstredend in Unternehmen und Wissenschaft von mit Führungsaufgaben betrauten Journalisten, besonders bei vorhandenem qualifizierten Hochschulabschluss, ein weit überdurchschnittlicher und nachweislich erfolgreicher Einsatz erwartet, um Teil des Führungskreises zu bleiben.
In Deutschland ist der Arbeitsmarkt für Journalisten lange vor der Finanzkrise 2008/2009 kollabiert. Tatsächlich brach die Nachfrage bereits 2002 zusammen. Selbst Absolventen von renommierten Journalistenschulen gingen nach Abschluss ihres Studiums in die Arbeitslosigkeit. Obschon vor der Zeitungskrise freie Stellen nur selten bei den Arbeitsagenturen gemeldet wurden, versprachen nun auch persönliche Beziehungen zu Redaktionsmitgliedern kaum noch Erfolg auf eine Einstellung. Und das in einem Beruf, in dem Netzwerke das A und O sind.
Die Gründe für den Kollaps im Stellenmarkt sind vielfältig:
- die jahrelange Konjunkturflaute, die eher zu Personalabbau denn zur Einstellung weiterer (gleich oder besser qualifizierter) Mitarbeiter führte,
- das Überangebot an qualifizierten Bewerbern,
- die weitreichende Veränderung der Medienmärkte und der Mediennutzung,
- die Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen,
- der ständige Toolwechsel im Arbeitsalltag des Journalisten,
- der strukturelle Wandel im Recruiting, dass viele Firmen Personal ausschließlich über ihre Websites/Job-Portale suchen und allein Online-Bewerbungen akzeptieren.
Für Redaktion und Public Relations bedeutet die automatisierte, teils autarke algorithmische Texterstellung aus strukturierten Daten einerseits eine Entlastung von Routinearbeiten und die Beschleunigung der Nachrichtenerzeugung, andererseits mehr Druck auf die Gehälter und ein erhöhtes Jobverlustrisiko für geringqualifizierte Mitarbeiter. Allerdings werden Journalisten weiterhin überall dort benötigt, wo eine kritische Vor-Ort-Recherche, eine breite Wahrnehmung komplexen menschlichen Verhaltens in unstrukturierten Umgebungen, hohe Sozialkompetenz und emotionale Intelligenz, medienkompetente Faktenprüfung sowie Kreativität erforderlich sind. Selbst für das Nebenbei-Medium Radio bleiben daher wichtig: Emotionalität, Nähe und Service. Aufwändiger 360-Grad-Journalismus und Augmented Reality versprechen zwar im Vergleich zu herkömmlichen journalistischen Vermittlungswegen eine noch größere Nähe zwischen Gegenstand und Publikum, können in ihrer Intensität aber auch Nutzer überfordern. Computergenerierte Virtual Realtity ist wiederum besser geeignet für In-depth-Dokumentation denn für das Tagesgeschäft, ergänzt also eher das Portfolio journalistischer Erzählformen.
Der Journalismus der Zukunft ist der beste, den es jemals gegeben hat.
Multimedial aus dem Besten aller Darstellungsformen – also Text, Bild, Ton – schöpfend. Interaktiv das Wissen des Lesers einbeziehend. So ausführlich und profund wie nötig und so aktuell wie möglich. Ich glaube, eine neue Generation
von Digital-Native-Journalisten steht auch für ein neues Denken.
Was es nicht mehr braucht, ist Blasen-Journalismus für die Peer-Group.
Dr. Mathias Döpfner, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), 9. Februar 2019
Die Anforderungen an Journalisten, insbesondere an jene mit Führungsverantwortung, steigen indes. Oft finden sich qualifizierte Journalisten in der mittleren Führungsebene. Diese ist zuständig sowohl für die Umsetzung der Visionen und Strategien des Topmanagements als auch für die Leistungsbereitschaft und Motivation der Mitarbeiter. Im Rahmen der Unternehmensführung sind sie als Kommunikationsexperten verantwortlich für das Kommunikations-Controlling, welches das Kommunikationsmanagement (Planung, Organisation und Kontrolle aller Kommunikationsaktivitäten) steuert, das seinerseits die Unternehmenskommunikation plant, organisiert und kontrolliert. Allerdings zeigt der Managementalltag auch, dass selbst umfangreiche Datenanalysen bisheriger Ereignisse nicht zwangsläufig zu richtigen Unternehmensentscheidungen führen müssen, denn die reale Welt ist mehr als das Ergebnis unvermeidlicher Gesetzmäßigkeiten und das Unvorhergesehene keine Anomalie. Innovativ denkende Journalisten werden diese Diskrepanz in Zeiten Künstlicher Intelligenz und Big Data-Analysen noch stärker aushalten müssen. ‡
PressekontaktErstveröffentlichung
Dieser Beitrag ist die fachliche Grundlage für die von mir betreute Session über „Künstliche Intelligenz, Chatbots und Roboterjournalismus“ der ⭱ Premierenausgabe des ⭱ Salzburger Medienbarcamps #mediaSBG, das vom Kuratorium für Journalistenausbildung (KfJ) am Freitag, 14. Juni 2019, ausgerichtet wurde.