Rechtsvereinfachung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch
Müssen Alleinerziehende um Sozialleistungen bangen?

Berlin — Das Hick­hack um das Hartz IV-Sys­tem reißt nicht ab. Der­zeit be­fin­det sich ein Ent­wurf zur Rechts­ver­ein­fa­chung in der par­la­men­ta­ri­schen Dis­kus­sion. Ju­ris­ten war­nen, die vor­ge­se­he­ne Ent­bü­ro­kra­ti­sie­rung könn­te letzt­lich zur Un­ter­de­ckung des kind­li­chen Exis­tenz­mi­ni­mums füh­ren.

Sonn­tag ist Mut­ter­tag. Zu fra­gen, was sich ak­tuell Müt­ter für den Tag zu Eh­ren der Mut­ter und der Mut­ter­schaft wün­schen, tren­det der­zeit in den So­zia­len Netz­wer­ken. In­spi­riert von der al­lein­er­zie­hen­den Blog­ge­rin des Web­logs „Mut­ter­see­le­son­nig“ hat die eben­falls al­lein­er­zie­hen­de Christine Finke vom Blog „Ma­ma-ar­bei­tet“ ge­mein­sam mit dem In­ter­view­pro­jekt „family un­plugged“ und wei­te­ren Mit­strei­ter­in­nen am 1. Mai ei­ne On­line-Kam­pag­ne ge­star­tet, die auf Twit­ter unter dem Hash­tag #muttertagswunsch zu­sam­men­fasst, was Müt­ter wirk­lich wollen: Ers­ten Ant­wor­ten zu­fol­ge wün­schen sie sich statt Pra­li­nen, Ge­dich­te und Blu­men eher Frei­zeit, be­zahl­ba­ren Wohn­raum, fa­mi­lien­freund­li­che Chefs oder ei­ne an­de­re Steuer­klas­se. Christine Doering et­wa for­mu­liert un­ver­blümt: „Ich brau­che kein Mit­leid, ich brau­che ein fai­res, kon­se­quen­tes und kin­der­orien­tier­tes Fa­mi­lien­recht!“ Die „All­tags­pi­ra­tin“ twit­tert: „Ich brau­che kei­ne Blu­men. Ich brau­che ein Steuer­recht, das dort ent­las­tet, wo Kin­der sind. Nicht wo ein Trau­schein ist.“ Und Dr. Alexandra Widmer aka @starkundallein schreibt: „Ich wün­sche mir ei­ne of­fi­ziel­le Gleich­stel­lung al­ler #Familienmodelle.“ Bis zum 15. Mai bün­deln die Ini­tia­to­rin­nen al­le vor­ge­brach­ten Wün­sche, um sie dem­nächst als or­dent­li­chen For­de­rungs­ka­ta­log of­fi­ziell der Bun­des­re­gie­rung zu über­ge­ben. Und da­mit die On­line-Kam­pag­ne noch mehr Schlag­kraft er­hält, sind in­zwi­schen un­ter dem Hash­tag #vatertagswunsch auch Väter auf­ge­ru­fen, ih­re For­de­run­gen in den So­zia­len Netz­wer­ken mit­zu­tei­len. Da­mit gilt die Ini­tia­ti­ve nicht nur al­lein­er­zie­hen­den Müt­tern, selbst wenn die Idee von ih­nen stammt.

Die On­line-Kam­pag­ne kommt zu ei­nem Zeit­punkt, wo dem Bun­des­tag der „Ent­wurf ei­nes Neun­ten Ge­set­zes zur Än­de­rung des Zwei­ten Bu­ches So­zial­ge­setz­buch – Rechts­ver­ein­fa­chung“ zur Be­schluss­fas­sung vor­liegt. Der Ent­wurf zur Rechts­ver­ein­fa­chung sieht zahl­rei­che Än­de­run­gen bei den Leis­tun­gen und im Ver­wal­tungs­ver­fah­ren vor. Ziel sei es, „dass leis­tungs­be­rech­tig­te Per­so­nen künf­tig schnel­ler und ein­fa­cher Klar­heit über das Be­ste­hen und den Um­fang von Rechts­an­sprü­chen er­hal­ten und die von den Mit­ar­bei­ter­in­nen und Mit­ar­bei­tern in den Job­cen­tern an­zu­wen­den­den Ver­fah­rens­vor­schrif­ten ver­ein­facht wer­den“. In ar­men Fa­mi­lien könn­te das Ge­setz je­doch zu mehr Streit um Geld und Um­gangs­recht zwi­schen ge­trennt le­ben­den El­tern füh­ren. So soll Al­lein­er­zie­hen­den in der Grund­si­che­rung für je­den Tag, den das Kind beim an­de­ren El­tern­teil ver­bringt, das So­zial­geld fürs Kind ge­stri­chen wer­den: neun Eu­ro für Sechs- bis 14-Jäh­ri­ge und 10,20 Eu­ro für 14- bis 18-Jäh­ri­ge. Die­sen Be­trag soll dann der an­de­re El­tern­teil für sich re­kla­mie­ren kön­nen.

Bis­lang muss­ten Al­lein­er­zie­hen­de, die So­zial­leis­tun­gen be­zie­hen, schon mit fi­nan­ziel­len Ein­bu­ßen rech­nen, wenn das ge­mein­sa­me Kind mit dem an­de­ren El­tern­teil Zeit ver­bringt. Denn in die­ser Zeit­span­ne bil­det je­ner El­tern­teil mit dem Kind ei­ne „tem­po­rä­re Be­darfs­ge­mein­schaft“, hat folg­lich An­spruch auf das an­tei­li­ge So­zial­geld des Kin­des. Die­se Ver­wal­tungs­pra­xis wur­de al­ler­dings je nach Kom­mu­ne un­ter­schied­lich ge­hand­habt. Tritt das Ge­setz in Kraft, soll auch dann ge­kürzt wer­den, wenn der an­de­re El­tern­teil selbst nicht auf So­zial­leis­tun­gen an­ge­wie­sen ist. Das wür­de da­zu füh­ren, dass Al­lein­er­zie­hen­de, zu­meist Frauen, bei wei­ter lau­fen­den Fix­kos­ten wie Strom und Ver­si­che­rung mit ei­nem ge­rin­ge­ren Haus­halts­bud­get klar­kom­men müss­ten. Un­ter Be­rück­sich­ti­gung, dass fast 40 Pro­zent der Al­lein­er­zie­hen­den voll oder er­gän­zend auf So­zial­hil­fe an­ge­wie­sen sind, wä­ren rund 628.000 Haus­hal­te be­trof­fen, da­run­ter auch 21.000, die trotz Voll­zeit­er­werbs­tä­tig­keit auf­sto­cken müs­sen.

Der In­ter­es­sen­ver­band „Deut­scher Ju­ris­tin­nen­bund e. V. (djb)“ hat den Ent­wurf zur Rechts­ver­ein­fa­chung ana­ly­siert und sieht in ihm kei­ne sach­ge­rech­te und sys­te­ma­tisch durch­dach­te Lö­sung für die Pro­ble­me von Kin­dern ge­trennt le­ben­der El­tern und von Al­lein­er­zie­hen­den im Grund­si­che­rungs­recht. Da­her lehnt der djb ei­ne Kür­zung der Leis­tun­gen in der Be­darfs­ge­mein­schaft des haupt­ver­ant­wort­li­chen El­tern­teils, in der Re­gel die Mut­ter, ab, da die­se Kür­zung zu ei­ner Un­ter­de­ckung des kind­li­chen Exis­tenz­mi­ni­mums füh­re. Viel­mehr for­dert der djb, „den zu­sätz­li­chen Be­darf in­fol­ge Um­gangs an­zu­er­ken­nen und ei­nen ent­spre­chen­den An­spruch auf Mehr­be­darf ge­setz­lich zu ver­an­kern, und zwar oh­ne Kür­zung des So­zial­geld­an­spruchs im Haus­halt des al­lein­er­zie­hen­den El­tern­teils“, zu­meist al­so der Mut­ter. Span­nend wird sein, in­wie­weit die ak­tu­el­le On­line-Kam­pag­ne die­se Pro­ble­ma­tik ein­zu­be­zie­hen ver­mag. 


Erstveröffentlichung

Print: Ro­sen­hei­mer blick, Inn­ta­ler blick, Mang­fall­ta­ler blick, Was­ser­bur­ger blick, 29. Jg., Nr. 18/2016, Sams­tag, 7. Mai 2016, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“, [146/3/1/7].
Online: ⭱ blick-punkt.com, Mitt­woch, 4. Mai 2016; ⭱ E-Paper Ro­sen­hei­mer blick, ⭱ E-Paper Inn­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Mang­fall­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Was­ser­bur­ger blick, Sams­tag, 7. Mai 2016. Stand: Neu­jahr, 1. Ja­nu­ar 2020.
 

Dr. Olaf Konstantin Krueger M.A.

Digitaljournalist – Digitalpolitiker