Polizeiaufgabengesetz in der Kritik
Charmeoffensive für das PAG?

München — #noPAG vs. #proPAG: Die De­bat­te um schär­fe­re Ein­griffs­rech­te der Po­li­zei ebbt auch ei­ne Wo­che nach In­kraft­tre­ten des neuen baye­ri­schen Po­li­zei­auf­ga­ben­ge­set­zes (PAG) nicht ab. Die CSU hat­te mit ih­rer ab­so­lu­ten Mehr­heit im Land­tag das „PAG-Neu­ord­nungs­ge­setz“ durch­ge­setzt und Mi­nis­ter­prä­si­dent Dr. Markus Söder (CSU) aus­ge­ru­fen: „Es wird Le­ben ret­ten, es wird Men­schen hel­fen, nicht zu Op­fern zu wer­den.“ Die un­ter­le­ge­nen So­zial­de­mo­kra­ten und Bünd­nis­grü­nen wol­len das neue PAG nun auf ju­ris­ti­schem We­ge zu Fall brin­gen. „Wir ver­tei­di­gen den Frei­staat Bayern ge­gen das il­li­be­ra­le Ge­setz der CSU“, be­grün­det SPD-Lan­des­vor­sit­zen­de Na­ta­scha Koh­nen die Kla­gen so­wohl vor dem Baye­ri­schen Ver­fas­sungs­ge­richts­hof als auch vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt. CSU, Po­li­zei und Wei­ßer Ring hal­ten da­ge­gen und ei­ne Web­site der Baye­ri­schen Staats­re­gie­rung will auf­klä­ren.

Grund für die Neu­ord­nung des Po­li­zei­auf­ga­ben­ge­set­zes ist der An­pas­sungs­zwang an die ak­tu­el­le Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts (BVerfG), der Eu­ro­päi­schen Da­ten­schutz­grund­ver­ord­nung (EU-DSGVO) und der Neu­fas­sung des Baye­ri­schen Da­ten­schutz­ge­set­zes (BayDSG-E). Mo­tiv für den Wi­der­stand ge­gen die Er­mäch­ti­gungs­grund­la­ge sind haupt­säch­lich stark in das Ge­fah­ren­vor­feld hi­nein aus­ge­dehn­te Ein­griffs­be­fug­nis­se, wo­nach po­li­zei­li­che Maß­nah­men schon bei „dro­hen­der Ge­fahr“ und oh­ne kon­kre­ten Ver­dacht ein­ge­lei­tet wer­den kön­nen. Da­zu ge­hö­ren bei­spiels­wei­se Über­wa­chung, Be­spit­ze­lung, On­line-Durch­su­chung, Da­ten­ma­ni­pu­la­tion, DNA-Phä­no­ty­pi­sie­rung und Prä­ven­tiv­haft. Al­ler­dings muss die Po­li­zei die Maß­nah­men in der Re­gel bei ei­nem Rich­ter be­an­tra­gen. Nur in Ein­zel­fäl­len dür­fen hö­he­re Po­li­zei­be­am­te selbst ent­schei­den. Den­noch: „Es leuch­tet nicht ein, dass die Po­li­zei wei­te­re Ein­griffs­be­fug­nis­se prä­ven­tiv be­kommt“, kri­ti­siert Katharina Schulze, Frak­tions­vor­sit­zen­de von Bünd­nis 90/DIE GRÜ­NEN im Baye­ri­schen Land­tag. Ih­re Par­tei stün­de wie vie­le Men­schen in Bayern „für Frei­heit und Bür­ger­rech­te und da­für kämp­fen wir wei­ter­hin – im Par­la­ment, auf der Stra­ße und vor Ge­richt“, be­grün­det Schul­ze den Gang ih­rer Par­tei zum Ver­fas­sungs­ge­richts­hof.

Im Vor­feld hat­ten bayern­weit be­reits zehn­tau­sen­de Men­schen un­ter dem Ban­ner #noPAG ge­gen das Ge­setz pro­tes­tiert, 30.000 al­lein an Chris­ti Him­mel­fahrt in Mün­chen. „Skur­ril“ nann­te al­ler­dings Robert Kopp, Prä­si­dent des Po­li­zei­prä­si­di­ums Ober­bayern Süd, die dritt­größ­te De­mon­stra­tion der letz­ten zehn Jah­re in der Lan­des­haupt­stadt. Hin­ter­grund: Im #noPAG-Bünd­nis pro­tes­tier­ten an der Sei­te von Groß- und Klein­par­teien wie SPD, FDP, Piraten­par­tei, ÖDP, Bünd­nis 90/DIE GRÜ­NEN und DIE LINKE so­wie Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen wie digital­cou­rage und attac Deutsch­land auch Split­ter­grup­pen wie die Deut­sche Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei, die „Or­ga­ni­sa­tion für den Auf­bau ei­ner kom­mu­nis­ti­schen Ar­bei­ter­par­tei Deutsch­lands“ und der „Re­fugee Struggle for Free­dom“, wel­cher für ein Blei­be­recht al­ler Ge­flüch­te­ten und de­ren vol­le Be­we­gungs­frei­heit ein­tritt. In­nen­mi­nis­ter Joachim Herrmann zeig­te sich ob solch bun­ten Wi­der­stan­des über­rascht und mut­maß­te, dass man­che durch „Lü­gen­pro­pa­gan­da“ in die Ir­re ge­führt wor­den wä­ren. „Wir müs­sen den Men­schen noch viel stär­ker er­klä­ren, was wirk­lich in dem Ge­setz steht und was blan­ker Un­fug ist“, schluss­fol­ger­te der CSU-Po­li­ti­ker.

Wir wol­len Miss­ver­ständ­nis­se aus­räu­men. Was mir wich­tig ist:
Es muss kla­rer er­sicht­lich sein, dass in vie­len Fäl­len ein Rich­ter­vor­be­halt greift
und in wel­chen Si­tua­tio­nen ein Rechts­an­walt bei­ge­ord­net wer­den muss.
Joachim Herrmann, MdL (CSU), Staats­mi­nis­ter des In­nern, für Sport und In­te­gra­tion, 23. Ja­nu­ar 2019

Al­ler­dings kommt Kri­tik eben­so von Ju­ris­ten, Jour­na­lis­ten, Årz­ten, In­for­ma­ti­kern und der AfD. Dr. Markus Löffelmann, Rich­ter am Land­ge­richt Mün­chen I, et­wa äu­ßert teils er­heb­li­che ju­ris­ti­sche Be­den­ken: Bei­spiels­wei­se wür­den die po­li­zei­li­chen Be­fug­nis­se zur Ab­wehr ter­ro­ris­ti­scher Ge­fah­ren auf die Be­fug­nis­se der Po­li­zei im All­ge­mei­nen aus­ge­wei­tet. Oder die vom BVerfG ge­for­der­ten Rich­ter­vor­be­hal­te seien nicht durch­ge­hend aus­rei­chend um­ge­setzt wor­den. Dem Po­li­zei­di­rek­tor a. D. und heu­ti­gen AfD-Po­li­ti­ker Rainer Swoboda wie­de­rum geht neue PAG „zu weit“ und die „Ver­dachts­aus­for­schung“ ver­än­de­re die Po­li­zei.

„Ver­sach­li­chung“ der De­bat­te

Mit In­kraft­tre­ten des PAG-Neu­ord­nungs­ge­set­zes ist ge­ra­de der Po­li­zei an ei­ner „Ver­sach­li­chung“ der De­bat­te ge­le­gen. „Wir sind im­mer noch rechts­staat­lich und kei­ne ‚Hau-Drauf’-Po­li­zei“, ver­si­chert Kopp. „Es wird kei­nen Po­li­zei- oder Über­wa­chungs­staat ge­ben“, in­sis­tiert der Po­li­zei­prä­si­dent und ist da­mit auf ei­ner Li­nie mit Lan­des­po­li­zei­prä­si­dent Prof. Dr. Wilhelm Schmidbauer. Auch die „Ge­werk­schaft der Po­li­zei (GdP)“, Be­zirks­grup­pe Ober­bayern Süd, po­si­tio­niert sich „of­fen und ent­schie­den“ für das neue PAG. Ihr zu­fol­ge wird die Un­si­cher­heit be­feuert durch Un­wahr­hei­ten, Ver­zer­run­gen und ge­fähr­li­che Halb­wahr­hei­ten. „Mit Kopf­schüt­teln“ re­gis­trie­re die GdP et­wa das Ver­hal­ten des #noPAG-Bünd­nis­ses, wel­ches „of­fen­sicht­lich ge­zielt die Sor­gen und Ängs­te der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger im Frei­staat schü­ren“ wür­de: „So wird der Be­völ­ke­rung al­len Erns­tes ver­kauft, dass uni­for­mier­te Po­li­zei­be­am­te nun mit Hand­gra­na­ten auf Strei­fe ge­hen, sich Le­gio­nen von Er­mitt­lern auf die Kurz­mit­tei­lun­gen wie WhatsApp oder SMS stür­zen und der neue Be­griff der ‚dro­hen­den Ge­fahr’ scheint ein An­wär­ter für das Un­wort des Jah­res zu sein.“

Dem­ge­gen­über ver­deut­licht die GdP, nicht „Ot­to Nor­mal­ver­brau­cher“ sei im Fo­kus des Ge­set­zes, son­dern „pri­mär die Schwer- und Schwerst­kri­mi­na­li­tät“. Den Er­mitt­lungs­be­hör­den wür­den die not­wen­di­gen Be­fug­nis­se er­teilt, die zur Be­kämp­fung die­ser Kri­mi­na­li­täts­for­men er­for­der­lich seien. Un­ter Ver­weis auf den so­ge­nann­ten Rich­ter­vor­be­halt wür­de laut GdP die Frei­heit des „nor­ma­len“ Bür­gers „in kei­ner Art und Wei­se ein­ge­schränkt“. Der neue Rechts­be­griff der dro­hen­den Ge­fahr sei et­wa zur Be­kämp­fung von Kri­mi­na­li­täts­phä­no­me­nen im Dark­net „not­wen­dig“. Nach al­tem PAG hät­te die Po­li­zei mit Rück­sicht auf die Frei­heits­rech­te der Ge­samt­be­völ­ke­rung „un­tä­tig ab­war­ten“ müs­sen, wenn bei­spiels­wei­se ein ra­di­ka­ler re­li­giö­ser Mensch in ei­nem so­zia­len Netz­werk an­kün­di­ge, in ei­ner deut­schen Groß­stadt ei­nen An­schlag zu ver­üben. Die Po­li­zei aber wol­le die Be­völ­ke­rung „schüt­zen – und nicht über­wa­chen“, so die GdP. „‚Kö­nigs­auf­ga­be’ der Po­li­zei ist im­mer noch die Prä­ven­tion“.

„Wei­ßer Ring“ ver­tei­digt PAG

An den Aus­bil­dungs­grund­satz an­ge­hen­der Po­li­zei­be­am­ter, wo­nach die Ver­hü­tung von Straf­ta­ten die vor­nehms­te Auf­ga­be der Po­li­zei sei, er­in­nert auch der Vor­sit­zen­de vom Wei­ßen Ring Bayern-Nord, Josef Wittmann. Der ge­mein­nüt­zi­ge Op­fer­hil­fe­ver­ein hilft Men­schen, die Op­fer von Kri­mi­na­li­tät und Ge­walt ge­wor­den sind. Wittmann, der selbst Po­li­zei­be­am­ter war, teilt die Aus­sa­ge von Mi­nis­ter­prä­si­dent Dr. Markus Söder, wo­nach das neue PAG Le­ben ret­ten und Men­schen hel­fen wer­de, selbst kei­ne Op­fer zu wer­den. Fra­gen zum PAG will in­des­sen die vom Baye­ri­schen Staats­mi­nis­te­rium des In­nern und für I­nte­gra­tion ein­ge­rich­te­te Web­site www.polizeiaufgabengesetz.bayern.de be­ant­wor­ten und „auf im­mer wie­der ge­äu­ßer­te Ångs­te und Sor­gen“ ein­ge­hen. Wer in den Dia­log ein­tre­ten will, kann über die Platt­form auch die Ser­vice­stel­le der Baye­ri­schen Staats­re­gie­rung te­le­fo­nisch und elek­tro­nisch er­rei­chen. 


Erstveröffentlichung

Print: Ro­sen­hei­mer blick, Inn­ta­ler blick, Mang­fall­ta­ler blick, Was­ser­bur­ger blick, 31. Jg., Nr. 22/2018, Sams­tag, 2. Ju­ni 2018, S. 1/3, Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ [137/3/–/9]; Inn-Salz­ach blick, 10. Jg., Nr. 22/2018, Sams­tag, 2. Ju­ni 2018, S. 1/3, Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ [136/3/–/9].
Online: ⭱ blick-punkt.com, Diens­tag, 29. Mai 2018; ⭱ E-Paper Ro­sen­hei­mer blick, ⭱ E-Paper Inn­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Mang­fall­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Was­ser­bur­ger blick, ⭱ E-Paper Inn-Salz­ach blick, Sams­tag, 2. Ju­ni 2018. Stand: Neu­jahr, 1. Ja­nu­ar 2020.
 

Dr. Olaf Konstantin Krueger M.A.

Digitaljournalist – Digitalpolitiker