Volksbegehren „Artenvielfalt – Rettet die Bienen!“
Chance oder Risiko für Landwirte?

München — Rund 950.000 Unterschriften, mithin zehn Pro­zent der baye­ri­schen Wahl­be­rech­tig­ten, be­nö­tigt das Volks­be­geh­ren „Artenvielfalt – Rettet die Bienen!“, um in den Baye­ri­schen Land­tag ein­ge­bracht wer­den zu kön­nen. Die Ein­tra­gungs­frist für das von ÖDP Bayern, Bünd­nis 90/DIE GRÜ­NEN, „Lan­des­bund für Vo­gel­schutz e. V. (LBV)“, „BUND Na­tur­schutz in Bayern e. V. (BN)“ und 200 wei­te­ren Part­nern an­ge­streng­te Volks­be­geh­ren läuft seit dem 31. Ja­nu­ar. Über ei­ne hal­be Mil­lion Bayern ha­ben sich be­reits bis zur „Halb­zeit“ be­tei­ligt. Stimm­be­rech­tig­te kön­nen sich noch bis zum 13. Fe­bru­ar in ih­ren Rat­häu­sern und Ein­woh­ner­mel­de­äm­tern ein­tra­gen. Un­ter­des­sen nimmt die Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen Be­für­wor­tern und Kri­ti­kern an Schär­fe zu, gip­felnd in ge­gen­sei­ti­gen Vor­wür­fen, je­weils das Le­ben von Men­schen zu ge­fähr­den. Drei Kon­flikt­li­nien sind erkennbar.

Wegweiser

Slogan: „Rettet die Bienen!“

In manchen bayerischen Kommunen war das Quorum schon nach fünf Tagen erreicht, etwa in Freising und in Fürstenfeldbruck. In Rosenheim Stadt hat­ten sich bis da­hin von den 41.139 Stimm­be­rech­tig­ten 2.373 ein­ge­tra­gen, knapp 5,8 Pro­zent, in der Kreis­stadt Mühldorf a.Inn von 15.098 cir­ca 1.300 oder 8,6 Pro­zent und in Waldkraiburg von 16.223 rund 1.000 oder 6,2 Pro­zent. Al­ler­dings schei­den sich beim Volks­be­geh­ren „Ar­ten­viel­falt“, das auf den Slogan „Rettet die Bienen!“ zu­ge­spitzt de­bat­tiert wird, die Geister. Für die Ini­tia­to­ren ste­hen die Bienen stell­ver­tre­tend für tau­sen­de be­droh­te Arten: „In ei­ner Land­schaft, in der Wild­bie­nen zu Hau­se sind, füh­len sich auch Rebhuhn, Feld­hase und Amei­sen­bläu­ling wohl, Kamm­molch, Rin­gel­nat­ter und Bach­fo­rel­le pro­fi­tie­ren eben­falls von re­du­zier­tem Pes­ti­zid und Dün­ger­ein­satz und wert­vol­len Land­schafts­ele­men­ten.“ Kri­ti­ker se­hen hin­ge­gen Land­wir­te und Bauern in die Rolle des Sün­den­bocks gedrängt.

Konkretes ⭱ Ziel des Volksbegehrens ist die Än­de­rung des „Ge­set­zes über den Schutz der Na­tur, die Pfle­ge der Land­schaft und die Er­ho­lung in der freien Natur“ – kurz: Baye­ri­sches Na­tur­schutz­ge­setz (⭱ BayNatSchG) – „zu­guns­ten der Ar­ten­viel­falt und Na­tur­schön­heit in Bayern“. Da­nach soll der Frei­staat Bayern zur dauer­haf­ten Si­che­rung und Ent­wick­lung der Ar­ten­viel­falt in Flora und Fauna da­rauf hin­wir­ken, de­ren Le­bens­räu­me zu er­hal­ten und zu ver­bes­sern, um den Ver­lust von Bio­di­ver­si­tät zu ver­hin­dern. Bis zum Jahr 2025 sol­len min­des­tens 20 Pro­zent der land­wirt­schaft­lich ge­nutz­ten Flä­chen in Bayern nach den Grund­sät­zen öko­lo­gi­schen Land­baus be­wirt­schaf­tet wer­den, bis 2030 min­des­tens 30 Pro­zent. Ak­tuell sind es zehn Pro­zent. Die Auf­ga­ben des Na­tur­schut­zes und der Land­schafts­pfle­ge sol­len bei der pä­da­go­gi­schen Aus- und Fort­bil­dung, in den Lehr- und Bil­dungs­plä­nen so­wie bei den Lehr- und Lern­mit­teln be­rück­sich­tigt wer­den. Für Land- und Forst­wirt­schaft wer­den de­tail­lier­te Ge­bo­te und Ver­bo­te for­mu­liert. Bei­spiels­wei­se darf kein Dauer­grün­land mehr in Dauer­grün­land­bra­che um­ge­wan­delt wer­den und beim Auf­stel­len von Be­leuch­tungs­an­la­gen im Au­ßen­be­reich muss ih­re Schäd­lich­keit für die In­sek­ten­fau­na über­prüft werden.

Wir Bauern haben ein großes Interesse daran, die Ar­ten­viel­falt in Bayern zu schüt­zen und die wich­ti­gen na­tür­li­chen Kreis­läu­fe zu er­hal­ten. Doch das Volks­be­geh­ren zur Ar­ten­viel­falt weist den fal­schen Weg. Statt das bäuer­li­che En­ga­ge­ment für den Um­welt- und Na­tur­schutz an­zu­er­ken­nen und wei­ter zu stär­ken, wird Stim­mung ge­macht und nach neuer Re­gle­men­tie­rung ge­ru­fen.
Walter Heidl, Präsident des Bayerischen Bauernverbandes (BBV)

Befürwortet wird das Volksbegehren beispielsweise von den Ver­bän­den „Na­tur­land – Ver­band für öko­lo­gi­schen Land­bau e. V.“, „Bio­land e. V.“, „De­me­ter e. V.“, „Biokreis e. V., Ver­band für öko­lo­gi­schen Land­bau und ge­sun­de Er­näh­rung“, von der „Lan­des­ver­ei­ni­gung für den öko­lo­gi­schen Land­bau in Bayern e. V. (LVÖ)“, der „Ar­beits­ge­mein­schaft Bäuer­li­che Land­wirt­schaft e. V. (AbL)“ und dem „Lan­des­ver­band Baye­ri­scher Im­ker e. V. (LVBI)“, ab­ge­lehnt da­ge­gen vom Baye­ri­schen Bauern­ver­band (BBV).

LBV: „Einmalige historische Chance“

Der Landesbund für Vogelschutz e. V. etwa be­grün­det sei­ne Un­ter­stüt­zung mit dem „größ­ten Ar­ten­ster­ben seit dem Ver­schwin­den der Di­no­sau­rier“. Die­se Ent­wick­lung müs­se ge­stoppt wer­den. Letzt­lich gin­ge es um nicht we­ni­ger als „das Über­le­ben der Mensch­heit“: „Wenn es kei­ne Bie­nen und Hum­meln mehr gibt, wer be­stäubt dann un­ser Obst und Ge­mü­se?“ Wis­sen­schaft­lich be­legt sieht der LBV, dass 54 Pro­zent al­ler Bie­nen be­droht oder be­reits aus­ge­stor­ben so­wie 73 Pro­zent al­ler Tag­fal­ter und über 75 Pro­zent al­ler Flug­in­sek­ten ver­schwun­den seien. Über­dies leb­ten in Bayern nur noch halb so vie­le Vö­gel wie vor 30 Jah­ren. In­dem das Volks­be­geh­ren un­ter­stützt wer­de, be­stün­de die Chan­ce, neue Re­ge­lun­gen für den Ar­ten­schutz im baye­ri­schen Na­tur­schutz­ge­setz zu verankern.

Damit das Naturschutzgesetz zur „Le­bens­ver­si­che­rung für die Ar­ten­viel­falt“ wer­de, müss­ten ers­tens Le­bens­räu­me für Tie­re ver­netzt, zwei­tens He­cken, Bäu­me und klei­ne Ge­wäs­ser in der Land­wirt­schaft er­hal­ten, drit­tens blü­hen­de Rand­strei­fen an Bä­chen und Grä­ben aus­ge­wei­tet, vier­tens öko­lo­gi­sche Land­wirt­schaft mas­siv aus­ge­baut wer­den, fünf­tens zehn Pro­zent al­ler Wie­sen in Blüh­wie­sen um­ge­wan­delt, sechs­tens al­le staat­li­chen Flä­chen pes­ti­zid­frei be­wirt­schaft so­wie sieb­tens der Na­tur­schutz als Teil der Aus­bil­dung von Land- und Forst­wir­ten durch­ge­setzt wer­den.

BBV: „Landwirtschaft verliert an Wert“

Aus den Forderungen ergeben sich drei we­sent­li­che Kon­flikt­li­nien, wel­che die Land­wir­te als Adres­sa­ten in den Fo­kus rü­cken: Bio-Pro­duk­te, Öko­land­bau und För­der­gel­der. So kri­ti­sier­te jüngst der BBV-Um­welt­prä­si­dent, Stefan Köhler, auf dem Kreis­bauern­tag in Ro­sen­heim ei­ne „mehr oder we­ni­ger Ent­eig­nung auf po­li­ti­schem We­ge“, et­wa durch Aus­wei­sung zu­sätz­li­cher Bio­to­pe. Köh­ler ap­pel­lier­te: „Wenn die Land­wirt­schaft nicht mehr der Er­näh­rung dient, son­dern den In­ter­es­sen der Po­li­tik und der Um­welt­ver­bän­de, dann ist die nächs­te Hun­gers­not nicht mehr weit.“

Disput: Befürworter und Kritiker

Stichwort: Bio-Produkte. Das Volksbegehren for­dert ⭲ mehr öko­lo­gisch be­wirt­schaf­te­te Flä­chen. Die Be­für­wor­ter ver­wei­sen da­rauf, dass die Nach­fra­ge nach Bio-Pro­duk­ten das baye­ri­sche An­ge­bot über­stei­ge. Pro­du­zier­ten die Land­wir­te im öko­lo­gi­schen Land­bau mehr pes­ti­zid­freie Bio-Pro­duk­te, er­hiel­ten sie für we­ni­ger Wa­re mehr Geld und wirk­ten oben­drein dem Ar­ten­ster­ben ent­ge­gen. Die Kri­ti­ker ent­geg­nen, der Bio-Markt sei aus­ge­las­tet. Per Volks­be­geh­ren ei­nen hö­he­ren Bio-An­teil zu for­dern, der am Ende nicht ab­ge­setzt wer­de, ge­he ins Lee­re. Mol­ke­reien wie­sen schon Bio­milch-Pro­du­zen­ten ab, da der Be­darf ge­deckt sei. BBV-Prä­si­dent Walter Heidl warnt so­gar vor ei­nem „De­sas­ter für den Markt für re­gio­na­le Bio-Er­zeug­nis­se“.

Stichwort: Ökolandbau. Für die Mahd for­mu­liert das Volks­be­geh­ren Ver­bo­te: ab 2020 auf zehn Pro­zent der Grün­flä­chen kei­ne ers­te Mahd vor dem 15. Ju­ni, kein Wal­zen – ober­fläch­li­ches Ver­dich­ten – nach dem 15. März, ab 1. Ja­nu­ar 2022 kein flä­chen­haf­ter Ein­satz von Pflan­zen­schutz­mit­teln auf Dauer­grün­flä­chen. Da­mit ist nicht je­der Hof ge­meint. Die Be­für­wor­ter er­hof­fen sich da­durch mehr blü­hen­de Wie­sen und we­ni­ger Ein­grif­fe in ih­re na­tür­li­chen Le­bens­räu­me. Die Kri­ti­ker wen­den ein, Bio­di­ver­si­tät wer­de nicht nur durch in­ten­si­ve Land­wirt­schaft be­droht, son­dern auch durch Flä­chen­ver­sie­ge­lung, Luft- und Licht­ver­schmut­zung, Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten in sen­sib­len Be­rei­chen so­wie ein­sei­tig be­pflanz­te kom­mu­na­le Flä­chen und Hausgärten.

Stichwort: Fördergelder. Mit dem neuen Baye­ri­schen Na­tur­schutz­ge­setz sol­len För­der­mit­tel für Land­wir­te ver­pflich­tend sein. Die Be­für­wor­ter hal­ten un­ter Ver­weis auf das Ar­ten­ster­ben die bis­he­ri­gen Maß­nah­men der Land­wir­te für un­zu­rei­chend. Zur Ein­hal­tung ge­setz­li­cher Vor­schrif­ten seien För­der­gel­der Voraus­set­zung. Die Kri­ti­ker be­fürch­ten, ein sol­cher­wei­se no­vel­lier­tes BayNatSchG heb­le die bis­he­ri­gen För­der­maß­nah­men aus, denn was ge­setz­lich ver­pflich­tend sei, da­für könn­ten Land­wir­te kei­ne Un­ter­stüt­zung mehr er­hal­ten. Laut BBV seien vie­le Land­wir­te auf Sub­ven­tio­nen an­ge­wie­sen und je­der zwei­te Land­wirt neh­me be­reits an Um­welt­pro­gram­men oder am Ver­trags­na­tur­schutz teil.

Die Expert*innen sind sich einig: Das Volksbegehren hat beispielsweise durch die Ausweitung des Vertragsnaturschutzprogramms oder die Ausweisung von zusätzlichen Naturwäldern bereits zu positiven Auswirkungen auf Bayerns Natur geführt.
Dennoch ist die Situation vieler Arten nach wie vor besorgniserregend.
Dr. Norbert Schäffer, Vorsitzender des LBV – Landesbund für Vogel- und Naturschutz in Bayern e. V.
(⭱ PM/17.03.2024)

Die Unterstützer des Volksbegehrens wehren sich mit­tler­wei­le ge­gen den Vor­wurf, Land­wir­te pau­schal zu stig­ma­ti­sie­ren und „Bauern-Ba­shing“ zu be­trei­ben. Auf der Web­site ⭱ volksbegehren-artenvielfalt.de tre­ten sie wei­te­ren Ein­wän­den ent­ge­gen. Hält un­ter­des­sen der Run auf die Rat­häu­ser an, wird sich der Land­tag in Kür­ze mit dem Ge­setz­ent­wurf po­li­tisch be­fas­sen müs­sen. Lehnt er ihn ab, kön­nen die baye­ri­schen Stimm­be­rech­tig­ten im Rah­men ei­nes Volks­ent­schei­des mit Ja oder Nein über den Ge­setz­ent­wurf ab­stim­men. Der Land­tag könn­te aber auch über ei­nen al­ter­na­ti­ven Ge­setz­ent­wurf ab­stim­men lassen. 


Erstveröffentlichung

Print: Ro­sen­hei­mer blick, Inn­ta­ler blick, Mang­fall­ta­ler blick, Was­ser­bur­ger blick, 32. Jg., Nr. 6/2019, Sams­tag, 9. Fe­bru­ar 2019, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“; Inn-Salz­ach blick, 10. Jg., Nr. 6/2019, Sams­tag, 9. Fe­bru­ar 2019, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ [201/3/1/8].
Online: ⭱ blick-punkt.com, Mitt­woch, 6.  Fe­bru­ar 2019; ⭱ E-Paper Ro­sen­hei­mer blick, ⭱ E-Paper Inn­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Mang­fall­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Was­ser­bur­ger blick, ⭱ E-Paper Inn-Salz­ach blick, Sams­tag, 9. Fe­bru­ar 2019. Stand: Neu­jahr, 1. Ja­nu­ar 2024.
 

Dr. Olaf Konstantin Krueger M.A.

Digitaljournalist – Digitalpolitiker