Proteste gegen EU-Urheberrechtsrichtlinie bleiben wirkungslos
Droht Denkzettel für Copyright-Reform?

Straßburg / München — Die De­bat­te ver­lief breit und quer durch die Par­teien, zu­letzt fuh­ren Be­für­wor­ter wie Kri­ti­ker der EU-Ur­he­ber­rechts­richt­li­nie noch schwe­res Ge­schütz auf: Die Ge­gen­sät­ze lau­te­ten „Ei­gen­tums­schutz“ ver­sus „Fil­ter­net“, „Li­zen­zie­rung“ ge­gen „Save the In­ter­net“ und „Up­load-Fil­ter“ kon­tra „Zen­sur“. Die Ver­fech­ter der Rech­te von Kre­a­ti­ven in der di­gi­ta­len In­for­ma­tions­ge­sell­schaft wuss­ten rund 260 Ver­la­ge, Zei­tun­gen, Nach­rich­ten­agen­tu­ren, Rund­funk- und TV-An­bie­ter, Pro­duk­tions­fir­men und Medien­schaf­fen­de hin­ter sich – die Kri­ti­ker der Re­form wur­den wie­de­rum von Netz­ak­ti­vis­ten, Bür­ger­recht­lern, Di­gi­tal­po­li­ti­kern, dem welt­größ­ten On­line-Le­xi­kon Wi­ki­pe­dia so­wie von hun­dert­tau­sen­den De­mon­stran­ten eu­ro­pa­weit un­ter­stützt: Al­lein in Mün­chen de­mon­strier­ten am 23. März laut Po­li­zei rund 40.000 Men­schen. Die On­line-Pe­ti­tion „Stoppt die Zen­sur­ma­schi­ne – Ret­tet das In­ter­net!“ er­hielt über 5,15 Mil­lio­nen Un­ter­schrif­ten und ist da­mit die bis­lang größ­te Pe­ti­tion Eu­ro­pas und die größ­te Change.org-Kam­pag­ne der Welt. Den­noch stimm­te das Eu­ro­pä­ische Par­la­ment nach hit­zi­ger De­bat­te oh­ne Än­de­run­gen für die um­strit­te­ne Copy­right-Re­form. Die EU-Mit­glieds­staa­ten müs­sen die Ei­ni­gung noch be­stä­ti­gen, mög­li­cher­wei­se am 15. April. Doch die un­ter­le­ge­nen Kri­ti­ker fas­sen schon ei­nen an­de­ren Ter­min ins Au­ge: die Neu­wahl des EU-Par­la­ments am 26. Mai.

Die ⭱ „Richt­li­nie des Eu­ro­pä­ischen Par­la­ments und des Ra­tes über das Ur­he­ber­recht im di­gi­ta­len Bin­nen­markt“ ist be­schlos­sen – nach mo­na­te­lan­gen Be­ra­tun­gen im EU-Par­la­ment, im Mi­nis­ter­rat und schließ­lich im so­ge­nann­ten „Tri­log“, dem Ver­mitt­lungs­ver­fah­ren zwi­schen EU-Rat, EU-Par­la­ment und EU-Kom­mis­sion. Dem Er­geb­nis der Trilog-Ver­hand­lun­gen stimm­ten am 26. März 348 Ab­ge­ord­ne­te zu, 274 wa­ren da­ge­gen, 36 ent­hiel­ten sich. Die Richt­li­nie tritt in Kraft, so­bald auch der Mi­nis­ter­rat der Kom­pro­miss­fas­sung zu­ge­stimmt hat.

Hauptkonfliktpunkte waren die Neuregelungen für Online-Plattformen (vor­mals Ar­ti­kel 13, nun 17) und das neue Leis­tungs­schutz­recht für Pres­se­ver­la­ge (vor­mals Ar­ti­kel 11, nun 15). Die Hef­tig­keit des Streits da­rü­ber er­reich­te ein bis­lang nicht ge­kann­tes Aus­maß.

Urheberrechtsverstöße im Internet

Ausgangspunkt für die Reform und Harmonisierung sind aus Sicht der Be­für­wor­ter neue Mög­lich­kei­ten des Zu­gangs zu ur­he­ber­recht­lich ge­schütz­ten In­hal­ten, neue grenz­über­grei­fen­de Nut­zungs­for­men, neue Ak­teu­re und Ge­schäfts­mo­del­le im di­gi­ta­len Um­feld, aber auch zahl­rei­che Ur­he­ber­rechts­ver­stö­ße im In­ter­net: Auf im­mer mehr Platt­for­men wür­den ur­he­ber­recht­lich ge­schütz­te Wer­ke oh­ne Ein­wil­li­gung der Rech­te­in­ha­ber hoch­ge­la­den, was zu­las­ten der Kul­tur- und Krea­tiv­wirt­schaft ge­he. Dem ent­ge­gen­wir­ken kön­ne nur ein eu­ro­pa­wei­ter ge­setz­li­cher An­spruch auf fai­re und an­ge­mes­se­ne Ver­gü­tung für die Ver­wer­tung der Wer­ke und sons­ti­gen Schutz­ge­gen­stän­de.

Das In­ter­net ist kein rechts­freier Raum,
die Prin­zi­pien des Rechts­staats gel­ten auch im Netz.
Axel Voss, MdEP (CDU), 26. März 2019

Bislang musste jeder Nutzer, der ohne Ein­ver­ständ­nis des Rech­te­in­ha­bers des­sen Werk hoch­lud, ein­zeln iden­ti­fi­ziert und ver­klagt wer­den. Mit der Re­form haf­ten die Diens­te­an­bie­ter selbst für die Ur­he­ber­rechts­ver­let­zung, wenn sie mit Wer­be­ein­nah­men oder Da­ten Kas­se ma­chen. Wird von den kom­mer­ziel­len Platt­for­men we­der ei­ne Li­zenz er­wor­ben noch si­cher­ge­stellt, dass kei­ne ur­he­ber­recht­lich ge­schütz­ten In­hal­te hoch­ge­la­den wer­den, kann der Rech­te­in­ha­ber sie ver­kla­gen, an­statt ge­gen ein­zel­ne Nut­zer vor­zu­ge­hen. Aus­ge­nom­men sind nicht-kom­mer­ziel­le Platt­for­men, Wis­sens­platt­for­men wie Wi­ki­pe­dia, Open Source-Platt­for­men und je­ne, bei de­nen nur die Rech­te­in­ha­ber selbst hoch­la­den, so­wie Platt­for­men wie Drop­box, eBay und Da­ting-Por­ta­le. Start-ups und klei­ne Un­ter­neh­men sol­len von ei­ner Haf­tungs­er­leich­te­rung pro­fi­tie­ren, die sie ver­pflich­tet, ei­ne Au­to­ri­sie­rung zu er­lan­gen und be­reits pub­li­zier­te Wer­ke auf Mit­tei­lung des Rech­te­in­ha­bers hin zu entfernen.

Die adressierten Plattformen müssen entsprechend größt­mög­li­che An­stren­gun­gen nach in­dus­trie­üb­li­chen Stan­dards un­ter­neh­men, um nicht au­to­ri­sier­te Wer­ke aus­fin­dig zu ma­chen. Dies kann mit­tels Up­load-Fil­ter er­fol­gen, wel­che die In­hal­te be­reits beim Hoch­la­den auf Ur­he­ber­rechts­ver­stö­ße hin prü­fen und ge­ge­be­nen­falls blo­ckie­ren. Die ver­lang­ten An­stren­gun­gen sol­len im Ver­hält­nis zur Platt­form­grö­ße, Be­su­cher­zahl und Men­ge der Wer­ke ste­hen. Kein Ur­he­ber­rechts­ver­stoß liegt hin­ge­gen vor, wenn das ge­schütz­te Werk im Rah­men ei­nes Re­views, Zi­tats, ei­ner Kri­tik oder Pa­ro­die hoch­ge­la­den wird. Mit „Con­tent ID“ sei auf You­Tube be­reits ein da­rauf aus­ge­leg­ter Fil­ter im Einsatz.

Die Reform vereinheitlicht zudem EU-weit die Nutzung von Memes – klei­ne Fo­tos oder Vi­deos mit neuem Kon­text, die on­line kur­sie­ren und Teil der In­ter­net-Pop­kul­tur sind – und Pres­se­ver­le­ger kön­nen von Platt­for­men/Such­ma­schi­nen ei­ne Ver­gü­tung ver­lan­gen, wenn die­se ih­re Pres­se­er­zeug­nis­se über die Ver­lin­kung hi­naus nut­zen. Die­ses Leis­tungs­schutz­recht für Pres­se­ver­la­ge er­for­dert, dass Li­zenz­ver­trä­ge mit den Ur­he­bern ge­schlos­sen wer­den, wenn zu­sätz­lich zum Link ei­ne Vor­schau des Pres­se­ar­ti­kels an­ge­zeigt wer­den soll. Pri­vat­per­so­nen sind da­von nicht be­trof­fen, sie kön­nen je­der­zeit für die pri­vat­recht­li­che Nut­zung Pres­se­ver­öf­fent­li­chun­gen tei­len. Die Mei­nungs­frei­heit blei­be eben­falls un­an­ge­tas­tet, denn sie schüt­ze ohne­hin kei­ne Ur­he­ber­rechts­ver­stö­ße. Mit Mu­sik un­ter­mal­te Vi­deos, et­wa von Hoch­zeits­feiern, Ge­burts­ta­gen oder an­de­ren Feier­lich­kei­ten, dür­fen nur dann hoch­ge­la­den wer­den, wenn der Rech­te­in­ha­ber des mu­si­ka­li­schen Wer­kes ei­ne Ver­wer­tung ge­stat­tet hat, was im Ana­lo­gen der Ein­ver­ständ­nis­er­tei­lung über die Ver­wer­tungs­ge­sell­schaft „Ge­sell­schaft für mu­si­ka­li­sche Auf­füh­rungs- und me­cha­ni­sche Ver­viel­fäl­ti­gungs­rech­te (GEMA)“ für öf­fent­li­che Ver­an­stal­tun­gen entspricht.

Es wird höchste Zeit, dass die Werke von Kreativen auch im Internet geschützt sind.
Nur so kön­nen wir die Exis­tenz von Künst­ler­in­nen und Künst­lern
auch im di­gi­ta­len Zeit­al­ter gewährleisten.
Angelika Niebler, MdEP (CSU), Vor­sit­zen­de der CSU-Eu­ro­pa­grup­pe, 26. März 2019

Für Prof. Monika Grütters (CDU), Beauftragte der Bun­des­re­gie­rung für Kul­tur und Me­dien, sorgt die Re­form „für ei­nen bes­se­ren di­gi­ta­len Zu­gang zur Kul­tur und da­für, dass pro­fes­sio­nel­les krea­ti­ves Schaf­fen auch be­zahlt wird“. Dr. Florian Drücke, Vor­stands­vor­sit­zen­der des Bun­des­ver­ban­des Mu­sik­in­dus­trie e. V. (BVMI) hält die Ver­ab­schie­dung für ei­nen gro­ßen Schritt zu ei­ner eu­ro­pä­ischen Kul­tur- und Krea­tiv­wirt­schaft und Prof. Dr. Gerhard Pfennig, Spre­cher der Ini­tia­ti­ve Ur­he­ber­recht, be­zeich­net sie als „bahn­bre­chend“. Nach An­sicht des Bun­des­ver­ban­des Deut­scher Zei­tungs­ver­le­ger e. V. (BDZV) und des Ver­ban­des Deut­scher Zeit­schrif­ten­ver­le­ger e. V. (VDZ) bil­det das sol­cher­wei­se re­for­mier­te Ur­he­ber­recht ei­ne wich­ti­ge Vor­aus­set­zung für die Zu­kunft des freien und un­ab­hän­gi­gen Jour­na­lis­mus in der di­gi­ta­len Ära.

Upload-Filter und Leistungsschutzrecht

Die Kritiker der EU-Urheberrechtsrichtlinie halten das Ur­he­ber­recht zwar eben­falls für drin­gend re­form­be­dürf­tig, be­zwei­feln je­doch die in Aus­sicht ge­stell­te Ver­bes­se­rung für die Ur­he­ber. Da­bei kon­zen­trie­ren sich ih­re Ein­wän­de auf die Upload-Filter und das Leistungsschutzrecht.

Ihnen zufolge seien algorithmenbasierte Upload-Filter we­der in der La­ge, den Kon­text der In­hal­te ein­zu­schät­zen und le­ga­le In­hal­te wie bei­spiels­wei­se Pa­ro­dien zu er­ken­nen, noch zwi­schen Ur­he­ber­rechts­ver­let­zun­gen und schöp­fe­ri­schen Adap­tio­nen oder Ter­ror­pro­pa­gan­da und Ter­ro­ris­mus-Be­richt­er­stat­tung zu un­ter­schei­den. Sol­cher­wei­se feh­ler­an­fäl­lig, le­ge die au­to­ma­ti­sier­te In­halts­prü­fung den tech­ni­schen Grund­stein für ei­ne mög­li­che Zen­sur- und Kon­troll­in­fra­struk­tur, even­tu­ell so­gar für die Un­ter­drü­ckung miss­lie­bi­ger In­for­ma­tion und po­li­ti­scher Mei­nun­gen. Da klei­ne Platt­for­men das Up­load Moni­to­ring kaum leis­ten könn­ten, seien sie ge­zwun­gen, ex­ter­ne Dienst­leis­ter mit der Fil­te­rung in­kri­mi­nier­ter In­hal­te zu be­trauen, wo­durch de­ren Markt­macht ge­stärkt werde.

Mit dem Leistungsschutzrecht für Presseverlage müs­sen Nach­rich­ten-Such­ma­schi­nen wie Google News für das An­zei­gen von Snip­pets, kur­zen Text­aus­zü­gen, künf­tig Geld an die Ver­la­ge zah­len. Zum ei­nen ber­ge dies Nach­tei­le für klei­ne Ver­la­ge, die ge­gen­über Google ei­ne schwa­che Ver­hand­lungs­po­si­tion hät­ten, wie das in Deutsch­land seit 2013 gel­ten­de Leis­tungs­schutz­recht zei­ge, das zu kei­nen nen­nens­wer­ten Geld­zah­lun­gen an die Ver­la­ge führ­te. Zum an­de­ren wür­den so deut­lich we­ni­ger Ver­wei­se auf Pres­se­ar­ti­kel ge­setzt, was in der Fol­ge aber­mals die Markt­macht gro­ßer In­ter­net­kon­zer­ne und Ver­la­ge stär­ke. Die Ur­he­ber aber blie­ben auf der Strecke.

Oliver Süme, Vorstandsvorsitzender des eco – Ver­band der In­ter­net­wirt­schaft e. V. be­män­gelt, dass sämt­li­che Kri­tik­punk­te ig­no­riert wor­den seien und er­war­tet jetzt ei­ne Markt­ver­dich­tung und „Über­fil­te­rung“ des In­ter­nets. Im Gleich­klang da­zu warnt der Bun­des­be­auf­trag­te für den Da­ten­schutz und In­for­ma­tions­frei­heit, Ulrich Kelber, vor ei­nem „Oli­go­pol we­ni­ger An­bie­ter von Fil­ter­tech­ni­ken, über die dann mehr oder we­ni­ger der ge­sam­te In­ter­net­ver­kehr re­le­van­ter Platt­for­men und Diens­te läuft“. Dies könn­te zu er­heb­li­chen da­ten­schutz­recht­li­chen Pro­ble­men füh­ren. Die EU-Ab­ge­ord­ne­te Nadja Hirsch (FDP) wirft zu­dem der Bun­des­re­gie­rung vor, die In­ter­es­sen der Start-ups ver­kauft zu ha­ben: „Die gro­ßen Kon­zer­ne wie Google, Face­book und You­Tube wer­den sich tech­ni­sche Re­ge­lun­gen ein­fal­len las­sen und leis­ten kön­nen. Für klei­ne In­ter­net­un­ter­neh­men wird das viel schwie­ri­ger“, mo­niert Hirsch. Dorothee Bär (CSU), Staats­mi­nis­te­rin für Di­gi­ta­li­sie­rung bei der Bun­des­kanz­le­rin, ist der Auf­fas­sung, dass die Re­ge­lun­gen nicht „zu Rechts­si­cher­heit und Klar­heit füh­ren, son­dern zu ei­ner ma­xi­ma­len Ver­wir­rung“. Prof. Dr. Ansgar Ohly, LL.M. (Cambridge), von der Ludwig-Maximilians-Uni­ver­si­tät München (LMU Mün­chen), be­zwei­felt über­dies mit Ver­weis auf Er­fah­run­gen mit dem welt­weit größ­ten Mu­sik­strea­ming-Dienst Spo­ti­fy, dass die Rech­te­in­ha­ber wirk­lich nutz­nie­ßen werden.

Wir müssen von der digitalen Vernetzung als ei­ner ma­the­ma­ti­schen Na­tur­ge­walt spre­chen. Sie ent­steht durch die be­lie­big oft ver­lust­frei re­pro­du­zier­ba­re Di­gi­tal­ko­pie und durch den de­zen­tra­len In­for­ma­tions­fluss im Netz, der sich ex­po­nen­tiell ver­brei­ten kann. Das soll ex­pli­zit nicht be­deu­ten, dass al­les egal ist, im Ge­gen­teil. Es soll ex­pli­zit be­deu­ten, dass wir Ge­set­ze, Re­gu­lie­run­gen, Richt­li­nien un­be­dingt brau­chen, aber sie müs­sen für die­se mathematische Na­tur­ge­walt wirk­sam sein und nicht für ei­ne nos­tal­gi­sche Wunsch­rea­li­tät.
Sascha Lobo, 27. März 2019

Bereits im Juni 2018 hatten Jimmy Wales, Mitbegründer von Wikipedia, und Tim Berners-Lee, Er­fin­der der Hy­per­Text Mark­up Lan­guage (HTML) so­wie Be­grün­der des World Wide Web, vor ei­ner „un­mit­tel­ba­ren Ge­fahr für die Zu­kunft des glo­ba­len Netz­werks“ ge­spro­chen: Die aus der EU-Ur­he­ber­rechts­richt­li­nie er­wach­se­nen Up­load-Fil­ter könn­ten aus dem of­fe­nen In­ter­net „ein Werk­zeug für die au­to­ma­ti­sier­te Über­wa­chung und Kon­trol­le der Nut­zer ma­chen“. Die­ser Sicht­wei­se ent­spre­chend hat die EU für Bitkom-Haupt­ge­schäfts­füh­rer Dr. Bernhard Rohleder ih­ren Sta­tus als Vor­rei­te­rin der Mei­nungs­frei­heit mit der Ver­ab­schie­dung der Copy­right-Re­form ver­lo­ren: „Wer im ei­ge­nen Land je­den In­halt vor dem Hoch­la­den ins In­ter­net prü­fen und im Zwei­fels­fall blo­ckie­ren lässt, der macht sich im welt­wei­ten Kampf für die Frei­heit der Mei­nung und auch der Kunst un­glaub­wür­dig“, meint Roh­le­der und fügt an: „Die in schar­fem Ton ge­führ­ten Dis­kus­sio­nen rund um Up­load-Fil­ter ha­ben ei­ne ge­sell­schaft­li­che Spal­tung zwi­schen vor­nehm­lich jün­ge­ren und in­ter­net­af­fi­nen Men­schen und gro­ßen Tei­len des po­li­ti­schen Es­tab­lish­ments of­fen­bart.“ So er­klärt Bür­ger­recht­ler Dr. Patrick Breyer, Spit­zen­kan­di­dat der Piraten­par­tei zur Eu­ro­pa­wahl, mit der Ver­ab­schie­dung wur­de „ein Stück un­se­rer di­gi­ta­len Mei­nungs­frei­heit zum Pro­fit der Con­tent­in­dus­trie ver­kauft. Die­se Ab­stim­mung zeigt: Vom Lobby­is­mus und dem Ein­fluss des Gel­des auf die Po­li­tik geht heu­te die größ­te Ge­fahr für un­se­re De­mo­kra­tie aus.“

Emotional aufgeladene Kontroverse

Die Kontroverse hat die Positionen der Kon­tra­hen­ten ver­här­tet. „Noch nie hat es ei­nen der­art brei­ten Pro­test ge­gen ei­ne EU-Richt­li­nie ge­ge­ben“, kon­sta­tiert et­wa die EU-Ab­ge­ord­ne­te Julia Reda (PIRATEN). Der Vor­sit­zen­de des Deut­schen Jour­na­lis­ten-Ver­ban­des e. V. – Ge­werk­schaft der Jour­na­lis­tin­nen und Jour­na­lis­ten, Prof. Dr. Frank Überall, qua­li­fi­ziert die in Tei­len über­hitz­te Aus­ein­an­der­set­zung gar als „völ­lig über­zo­gen“. So hat­te bei­spiels­wei­se der EU-Ab­ge­ord­ne­te Elmar Brok (CDU) ei­ne „mas­si­ve und von Al­go­rith­men ge­steuer­te Kam­pag­ne der gro­ßen In­ter­net­kon­zer­ne“ be­klagt, was man­che auf den Groß­de­mon­stra­tio­nen ge­gen die Copy­right-Re­form be­wog, klar­zu­stel­len, sie seien eben kei­ne „Bots“. Em­pö­rung lös­te vor al­lem der Vor­sit­zen­de der CDU/CSU-Grup­pe im EU-Par­la­ment, Daniel Caspary, mit dem Ver­dacht aus, US-In­ter­net­kon­zer­ne woll­ten die Re­form mit „ge­kauf­ten De­mon­stran­ten“ ver­hin­dern. Da­ge­gen twit­ter­te CDU-Di­gi­tal­ex­per­te Thomas Jarzombek um­ge­hend: „Ich fin­de für die­sen Irr­sinn kei­ne Wor­te mehr. Egal wel­cher Mei­nung man ist, man muss im­mer Res­pekt vor der Mei­nung An­ders­den­ken­der haben.“

Der EU-Abgeordnete Axel Voss (CDU), der die Reform für das EU-Par­la­ment mit den EU-Mit­glieds­staa­ten aus­ge­han­delt hat, spricht der­weil von ei­ner enor­men Ver­ro­hung der po­li­ti­schen Kul­tur: „An die Stel­le der sach­li­chen De­bat­te über das Ur­he­ber­recht ist der Ver­such ge­tre­ten, mich im Schut­ze der Ano­ny­mi­tät als Per­son an­zu­grei­fen, zu dis­kre­di­tie­ren und mit Ge­walt­dro­hun­gen po­li­tisch ein­zu­schüch­tern.“ Nach sei­nen An­ga­ben er­hielt er seit Som­mer 2018 im­mer wie­der Mord­dro­hun­gen ge­gen sich und sei­ne Fa­mi­lie. Voss macht sich zu­dem Sor­gen, wie er un­ter die­sen Um­stän­den den Wahl­kampf für die Eu­ro­pa­wahl be­strei­ten kann, be­steht aber da­rauf: „Das In­ter­net wird nicht ka­putt­ge­macht.“ In­halt­lich hält dem der Au­tor und Stra­te­gie­be­ra­ter Sascha Lobo ent­ge­gen, Voss be­trei­be „prä­fak­ti­sche Po­li­tik“, wel­che ver­su­che, „ei­ne nos­tal­gi­sche Wunsch­rea­li­tät zu er­zwin­gen“. Für Lo­bo ist die­se Copy­right-Re­form „der Ver­such, die Re­geln des ana­lo­gen 20. Jahr­hun­derts dem di­gi­ta­len 21. Jahr­hun­dert über­zu­stül­pen, das muss zwin­gend schei­tern“. Sei­ne War­nung: „Der Preis für die­sen Un­fug ist ein be­stür­zen­der Ver­trauens­ver­lust ei­ner di­gi­tal ge­präg­ten Ge­ne­ra­tion in die Wirk­sam­keit ih­res En­ga­ge­ments, in de­mo­kra­ti­sche Po­li­tik und in die EU.“

Die Zivilgesellschaft hat schlicht nicht die Mit­tel für das klas­si­sche Lob­bying.
Ihr bleibt nur, Öf­fent­lich­keit zu schaf­fen. Und das ist im­mer schwie­rig,
wenn es bis zur ent­schei­den­den Ab­stim­mung noch Mo­na­te dauert.
Julia Reda, MdEP (PIRATEN), 22. März 2019

Der Streit um die EU-Urheberrechtsrichtlinie dürf­te nach­hal­len: Die EU-Mit­glieds­staa­ten müs­sen dem Kom­pro­miss noch ein­mal zu­stim­men. Tritt dies ein, ha­ben sie zwei Jah­re Zeit, die Re­geln in na­tio­na­les Recht um­zu­set­zen. Der EU-Ab­ge­ord­ne­te Tiemo Wölken (SPD) ap­pel­liert denn auch an Bun­des­kanz­le­rin Dr. Angela Merkel (CDU) und Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­rin Dr. Katarina Barley, SPD-Spit­zen­kan­di­da­tin zur Eu­ro­pa­wahl, ih­re Zu­stim­mung zur Copy­right-Re­form zu über­den­ken. Fakt: Im Koa­li­tions­ver­trag zwi­schen CDU, CSU und SPD wer­den Up­load-Fil­ter zwar als „un­ver­hält­nis­mä­ßig“ ab­ge­lehnt, doch die Bun­des­re­gie­rung wird die Neu­re­ge­lung ab­seg­nen, hat Re­gie­rungs­spre­cher Stef­fen Sei­bert schon klargestellt.

Manche Kritiker wollen deshalb Konsequenzen per Wahl­ab­ga­be zie­hen. Auf Twit­ter kur­sie­ren ent­spre­chen­de State­ments un­ter den Hash­tags #EUelections2019, #Urheberrecht, #Artikel11, #Artikel13, #NieMehrCDU, #NieMehrCSU oder #NieMehrSPD. Selbst der ameri­ka­ni­sche Whistle­blower Edward Snowden mahnt auf Twit­ter in Deutsch: „Ver­giss nie, was sie hier ge­macht ha­ben. Da die CDU/CSU ge­stimmt hat für nie mehr In­ter­net­frei­heit, muss das In­ter­net für nie mehr CDU/CSU stim­men.“ Da­mit droht die Di­rekt­wahl zum EU-Par­la­ment für ei­ni­ge zum Denk­zet­tel für das po­li­ti­sche Es­tab­lish­ment zu werden. 


Erstveröffentlichung

Print: Ro­sen­hei­mer blick, Inn­ta­ler blick, Mang­fall­ta­ler blick, Was­ser­bur­ger blick, 32. Jg., Nr. 13/2019, Sams­tag, 30. März 2019, S. 1/14, Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ (Kurz­fas­sung) [209/5/1/10]; Inn-Salz­ach blick, 10. Jg., Nr. 13/2019, Sams­tag, 30. März 2019, S. 2/3, Ko­lum­ne „Wirt­schaft“ (Kurz­fas­sung) [272/6/1/3].
Online: ⭱ blick-punkt.com, Diens­tag, 26. März 2019; ⭱ E-Paper Ro­sen­hei­mer blick, ⭱ E-Paper Inn­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Mang­fall­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Was­ser­bur­ger blick, ⭱ E-Paper Inn-Salz­ach blick, Sams­tag, 30. März 2019. Stand: Neu­jahr, 1. Ja­nu­ar 2024.


Nachtrag

Straßburg / Berlin — Die Bun­des­re­gie­rung hat mitten im ⭲ „har­ten Lockdown“ am 3. Fe­bru­ar 2021 ei­nen Ent­wurf zum „Ur­he­ber­rechts-Dienste­an­bie­ter-Ge­setz“ (UrhDaG) be­schlos­sen, um die um­strit­te­ne EU-Ur­he­ber­rechts­richt­li­nie in na­tio­na­les Recht zu übertragen.

Im Sinne der EU verlagert das UrhDaG die Haf­tung für Ur­he­ber­rechts­ver­let­zun­gen auf die Upload-Platt­for­men. Laut Bun­des­re­gie­rung wer­den die Platt­for­men nicht um­hin kom­men, wie in Ar­ti­kel 17 (ehe­mals Ar­ti­kel 13) vor­ge­ge­ben al­le hoch­ge­la­de­nen In­hal­te ma­schi­nell zu ana­ly­sie­ren und al­go­rith­misch zu ent­schei­den, ob die In­hal­te vor oder wäh­rend der Ver­öf­fent­li­chung ge­sperrt wer­den. Nut­zern wie Rech­te­in­ha­bern ste­hen zwar Be­schwer­de­we­ge of­fen, letz­te­re ha­ben je­doch ein Veto­recht via „Red Button“, wo­durch In­hal­te auch gegen die Fil­te­rung und vor ei­ner ma­nu­el­len Prü­fung so­fort ge­sperrt wer­den. okk 
 

Dr. Olaf Konstantin Krueger M.A.

Digitaljournalist – Digitalpolitiker