U18-Europawahl: Jeder Dritte wählt Grüne
Krüger: „Wahlalter auf 14 Jahre senken“

Berlin — Die Bünd­nis­grü­nen sind die Ge­win­ner der „U18-Eu­ro­pa­wahl“: Fast je­der Drit­te Un­ter-18-Jäh­ri­ge hat beim Ur­nen­gang am 17. Mai Bünd­nis 90/DIE GRÜ­NEN ge­wählt (28,88 Pro­zent). Nur zwei an­de­re Par­teien er­hiel­ten eben­falls ein zwei­stel­li­ges Er­geb­nis: die SPD (15,02 Pro­zent) und die CDU (12,66 Pro­zent). DIE LINKE (6,96 Pro­zent) und die AfD (6,74 Pro­zent) lie­gen fast gleich­auf vor der FDP (5,5 Pro­zent) und der Tier­schutz­par­tei (5,0 Pro­zent). Bun­des­weit ga­ben 118.693 Kin­der und Ju­gend­li­che in 1188 „Wahl­lo­ka­len“ ihre Stim­me für ei­ne der 40 Par­teien ab, die bei der EU-Wahl am 26. Mai an­tre­ten. In den 269 baye­ri­schen Wahl­lo­ka­len wähl­te eben­falls je­der drit­te Min­der­jäh­ri­ge die Bünd­nis­grü­nen: Sie ka­men auf 32,22 Pro­zent, ge­folgt von den Christ­so­zia­len mit 15,24 Pro­zent, den So­zial­de­mo­kra­ten mit 9,84 Pro­zent und der AfD mit 6,14 Pro­zent. Hier nah­men 25.154 Min­der­jäh­ri­ge an der Wahl teil. Re­prä­sen­ta­tiv sind die Wahl­er­geb­nis­se al­ler­dings nicht. Beim Pro­jekt „U18“ ist der Weg das Ziel: Die Kin­der und Ju­gend­li­chen sol­len sich ei­gen­stän­dig po­li­tisch bil­den. Sie or­ga­ni­sie­ren selbst die Wahl­lo­ka­le in Schu­len, Ju­gend­treffs, Ge­mein­de­häu­sern, Bib­lio­the­ken, Feuer­wa­chen oder auf Spiel­plät­zen, kom­pi­lie­ren ei­gen­hän­dig das Ma­te­ri­al über die Par­tei­pro­gram­me und das Wahl­ver­fah­ren, dis­ku­tie­ren un­ge­fil­tert ih­re Po­si­tio­nen mit Po­li­ti­kern. Ei­ne Al­ters­be­schrän­kung nach un­ten gibt es eben­so­we­nig wie ei­nen Aus­schluss von Aus­län­dern. Ge­tra­gen wird die U18-Ini­tia­ti­ve vom Deut­schen Kin­der­hilfs­werk, dem Deut­schen Bun­des­ju­gend­ring (DBJR), den Lan­des­ju­gend­rin­gen, wei­te­ren Ju­gend­ver­bän­den so­wie dem Ber­li­ner U18-Netz­werk. Der DBJR ko­or­di­niert die „U18-Eu­ro­pa­wahl“, das Bun­des­mi­nis­te­rium für Fa­mi­lie, Se­nio­ren, Frauen und Ju­gend so­wie die Bun­des­zen­tra­le für Po­li­ti­sche Bil­dung för­dern das Pro­jekt. Aus sei­nem Er­folg er­wach­sen kon­kre­te For­de­run­gen.

Ober­fläch­lich be­trach­tet schei­nen sich die po­li­ti­schen Ge­wich­te ver­scho­ben zu ha­ben: Bei der „U18-Eu­ro­pa­wahl“ vor fünf Jah­ren lag die CDU/CSU (24,31 Pro­zent) bei den Un­ter-18-Jäh­ri­gen noch vor der SPD (18,89 Pro­zent) und den Bünd­nis­grü­nen (18,77 Pro­zent), ge­folgt von der Par­tei DIE LINKE (7,79 Pro­zent), den PIRATEN (7,19 Pro­zent) und der Tier­schutz­par­tei (6,10 Pro­zent). Zur Wahl stan­den 26 Par­teien und Wäh­ler­ver­ei­ni­gun­gen. Doch ver­gleich­bar sind die „U18“-Wahl­er­geb­nis­se für Wahl­stra­te­gen kaum. Bei­spiels­wei­se war die Wahl­be­tei­li­gung 2014 nach ei­ner nur vier­mo­na­ti­gen Vor­be­rei­tungs­pha­se weit­aus ge­rin­ger: Da­mals ga­ben über zwei Drit­tel we­ni­ger Min­der­jäh­ri­ge ih­re Stim­me ab – knapp 37.000 in 410 „Wahl­lo­ka­len“. Man­gels Da­ten kann auch die Ver­tei­lung der „Wahl­lo­ka­le“ nicht ab­ge­gli­chen wer­den. Un­be­stimmt ist zu­dem die An­zahl der Wahl­be­rech­tig­ten ins­ge­samt und die Zahl der un­gül­ti­gen Stim­men. Seit­dem ha­ben aber Or­ga­ni­sa­tions- und Mo­bi­li­sie­rungs­grad deut­lich zu­ge­nom­men und stel­len das Pro­jekt auf ei­ne brei­te­re Ba­sis.

Bun­des­ju­gend­mi­nis­te­rin Dr. Franziska Giffey (SPD) be­grüßt je­den­falls die ge­ne­rell ge­stie­ge­ne „U18“-Wahl­be­tei­li­gung: „Wah­len sind ei­nes der höchs­ten Gü­ter un­se­rer De­mo­kra­tie. Wah­len be­stim­men Po­li­tik und Po­li­tik be­trifft die jun­ge Ge­ne­ra­tion ganz di­rekt. Es ist gut, dass jun­ge Men­schen sich mit der U18-Wahl Ge­hör ver­schaf­fen. Ich bin dank­bar, dass so vie­le bei U18 ge­wählt ha­ben“, sagt Gif­fey. „Groß­ar­tig“ fin­det die Wahl­be­tei­li­gung auch die stell­ver­tre­ten­de DBJR-Vor­sit­zen­de Hetav Tek, die zu­dem Bun­des­vor­sit­zen­de des über­par­tei­li­chen und über­kon­fes­sio­nel­len Ju­gend­ver­ban­des „djo-Deut­sche Ju­gend in Eu­ro­pa“ ist, wel­cher sich für ein ge­ein­tes, de­mo­kra­ti­sches Eu­ro­pa ein­setzt und die kul­tu­rel­le Be­tä­ti­gung jun­ger Zu­wan­de­rer för­dert. Tek hebt das En­ga­ge­ment der Kin­der und Ju­gend­li­chen he­raus, für Gleich­al­tri­ge ei­ne Wahl zu or­ga­ni­sie­ren, An­ge­bo­te zur po­li­ti­schen Bil­dung zu un­ter­brei­ten und „Spaß“ da­ran zu ha­ben.

Tek: „Interesse der Jugend“

Der DBJR ko­or­di­niert die Wahl, er­stellt Ma­te­rial, un­ter­stützt beim Ein­rich­ten von Wahl­lo­ka­len, ver­netzt die Min­der­jäh­ri­gen. „Noch viel wich­ti­ger ist: Mit den Er­geb­nis­sen ge­hen wir auf die Po­li­tik zu und ma­chen klar, was im In­ter­es­se der Ju­gend ist“, er­klärt Tek. Des­halb ver­steht der DBJR die „U18-Eu­ro­pa­wahl“ ei­ne Wo­che vor der EU-Wahl auch als „Sig­nal an die Po­li­tik und die an­de­ren Ge­ne­ra­tio­nen“, deu­tet die Wahl­er­geb­nis­se über­dies als Zu­spruch für „pro-eu­ro­päi­sche Par­teien“. So hät­ten die Min­der­jäh­ri­gen ih­re Stim­me je­nen ge­ge­ben, „die Um­welt­schutz und kon­kre­te Maß­nah­men ge­gen den Kli­ma­wan­del zur ent­schei­den­den Fra­ge ma­chen“, zu­dem der Gro­ßen Ko­a­li­tion in Ber­lin ge­zeigt, dass sie bei der Un­ter­stüt­zung der ⭲ EU-Ur­he­ber­rechts­richt­li­nie „nicht die In­ter­es­sen der Jun­gen ver­tre­ten ha­ben“.

Da­ge­gen bli­cke Tek mit Sor­ge in die öst­li­chen Bun­des­län­der, „in de­nen die AfD und an­de­re na­tio­na­lis­ti­sche Par­teien vie­le Stim­men be­kom­men ha­ben“. Tat­säch­lich un­ter­schei­den sich die AfD-Er­geb­nis­se im Län­der­ver­gleich, al­ler­dings auch die Zahl der „Wahl­lo­ka­le“: Ba­den-Würt­tem­berg 6,54 Pro­zent (37 Wahl­lo­ka­le mit ei­ner Bal­lung im Groß­raum Stutt­gart); Bayern, 6,14 (269 Wahl­lo­ka­le mit Schwer­punkt in Süd­bayern); Ber­lin 5,02 (244); Bran­den­burg 13,93 (86); Bre­men 3,52 (13); Ham­burg 4,62 (4); Hes­sen 4,39 (30 Wahl­lo­ka­le mit Schwer­punkt im Groß­raum Frank­furt); Meck­len­burg-Vor­pom­mern 9,0 (23); Nie­der­sach­sen 4,42 (37 Wahl­lo­ka­le mit deut­li­chen „wei­ßen Fle­cken“); Nord­rhein-West­fa­len 6,36 (278); Rhein­land-Pfalz 9,22 (13); Saar­land 2,73 (5); Sach­sen 14,40 (56); Sach­sen-An­halt 13,37 (40); Schles­wig-Hol­stein 5,92 (30 Wahl­lo­ka­le oh­ne et­wa Flens­burg, Itze­hoe oder Elms­horn); Thü­rin­gen 18,58 Pro­zent (23 Wahl­lo­ka­le oh­ne et­wa Nord­hau­sen, Mei­nin­gen oder Ge­ra).

Krüger: „Wahlalter absenken“

Für Thomas Krüger, Prä­si­dent des Deut­schen Kin­der­hilfs­wer­kes, zeigt die ho­he „U18“-Wahl­be­tei­li­gung, „dass sich sehr vie­le Kin­der und Ju­gend­li­che für Po­li­tik in­ter­es­sie­ren, und es ist zu hof­fen, dass da­raus auch po­li­ti­sches En­ga­ge­ment ent­steht“. In der Kon­se­quenz müs­se das Wahl­al­ter ge­senkt wer­den: „Wir brau­chen auf al­len Ebe­nen, von der Kom­mu­nal­wahl bis zur Eu­ro­pa­wahl, ei­ne Ab­sen­kung auf 16 Jah­re, und in ei­nem zwei­ten Schritt auf 14 Jah­re.“ Krüger knüpft da­mit an die lau­fen­de De­bat­te an, die im Zu­ge der „Fridays for Future“-De­mon­stra­tio­nen von Schü­lern und Azu­bis an Schwung ge­won­nen hat: Das Wahl­al­ter ge­ne­rell von 18 Jah­ren auf 16 Jah­re zu sen­ken, soll Ju­gend­li­che für Po­li­tik be­geis­tern und ih­nen mehr Mit­spra­che­recht bei po­li­ti­schen Ent­schei­dun­gen er­mög­li­chen. Kri­ti­ker ent­geg­nen, ein nie­dri­ge­res Wahl­al­ter bür­de Ju­gend­li­chen mit ge­rin­ger Rei­fe zu viel Ver­ant­wor­tung auf und set­ze sie ei­nem grö­ße­ren Ein­fluss von Ex­tre­mis­ten aus.

In­des­sen wird das Pro­jekt „U18“ bei al­len an­ste­hen­den Wah­len fort­ge­führt, denn „U18 als Me­tho­de funk­tio­niert“, be­tont Tek. In der zwei­ten Jah­res­hälf­te 2019 ste­hen noch drei Land­tags­wah­len an: in Bran­den­burg und Sach­sen am 1. Sep­tem­ber und in Thü­rin­gen am 27. Ok­to­ber. „Wir hof­fen, dass Ju­gend­rin­ge oder Ju­gend­or­ga­ni­sa­tio­nen vor Ort die Chan­ce nut­zen, U18-Wah­len zu or­ga­ni­sie­ren“, gibt sich die DBJR-Re­prä­sen­tan­tin zu­ver­sicht­lich. Mehr In­for­ma­tion ist on­line ab­ruf­bar un­ter www.u18.org. 


Erstveröffentlichung

Print: Ro­sen­hei­mer blick, Inn­ta­ler blick, Mang­fall­ta­ler blick, Was­ser­bur­ger blick, 32. Jg., Nr. 21/2019, Sams­tag, 25. Mai 2019, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ (Kurz­fas­sung) [153/3/1/11]; Inn-Salz­ach blick, 10. Jg., Nr. 21/2019, Sams­tag, 25. Mai 2019, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ (Kurz­fas­sung) [153/3/1/11].
Online: ⭱ blick-punkt.com, Diens­tag, 21. Mai 2019; ⭱ E-Paper Ro­sen­hei­mer blick, ⭱ E-Paper Inn­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Mang­fall­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Was­ser­bur­ger blick, ⭱ E-Paper Inn-Salz­ach blick, Sams­tag, 25. Mai 2019. Stand: Neu­jahr, 1. Ja­nu­ar 2021.
 

Dr. Olaf Konstantin Krueger M.A.

Digitaljournalist – Digitalpolitiker