Corona-Krise: Kundgebungen gegen „ewigen Lockdown“
Maier-Krapf: „Wir erleben krasse Ungerechtigkeit“
München / Mühldorf a.Inn — Bundes-Lockdown, harter Lockdown, Brücken-Lockdown – Landes- und Bundespolitiker debattieren eine drastische Verschärfung der bestehenden Corona-Maßnahmen, um „die dritte Welle“ der Verbreitung des neuartigen Coronavirus’ (SARS-CoV-2) und seiner Mutationen abzuflachen. Täglich meldet das Robert Koch-Institut bundesweit etwa 7.000 Corona-Neuinfektionen und knapp 100 Verstorbene. Über Ostern soll die Zahl der Corona-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung erstmals seit zwei Monaten die Marke von 4.000 überschritten haben. Dieser Tage demonstrieren aber auch verstärkt Maßnahmen-Kritiker für die Wahrung der Grund- und Freiheitsrechte. So protestieren bayernweit 15 Initiativen mit Kundgebungen und einer Social Media-Kampagne unter dem Hashtag #Lasstunsoeffnen gegen wirtschaftliche und gesellschaftliche „Kollateralschäden“. Ein „Strategiewechsel“ soll „sinnvolle, gerechte, nachvollziehbare, transparente und vor allem wirksame Maßnahmen“ bringen. Martina Maier-Krapf, parteilich ungebundene Initiatorin von „MiteinanderausderKrise“ in Mühldorf a.Inn, fordert, dass die Maßnahmen geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sind. Dabei hält die IT-Projektmanagerin und zweifache Mutter die für Grundschüler angekündigte Testpflicht für besonders kritisch.
Wegweiser
- Plädoyer zur Aufhebung des Lockdowns
- Kollateralschäden der restriktiven Corona-Maßnahmen
- Maier-Krapf: „Lasst uns öffnen!“
Plädoyer zur Aufhebung des Lockdowns
Die bayerischen Initiativen sehen im ⭲ anhaltenden Lockdown kein geeignetes Mittel mehr, um die Verbreitung von SARS-CoV-2 zu bekämpfen. Deswegen plädieren sie „friedlich und sachlich“ für die Aufhebung des Lockdowns sowie „ein sofortiges und sicheres Öffnen für alle Branchen und Schulen mit sinnvollen und umsetzbaren Hygienekonzepten“. Unterstützung erhalten sie aus Gastronomie, Kultur, Sport, Tourismus und Handel. Zu den 15 Initiativen gehören: „Ostbayernsiehtschwarz“ (Niederbayern und Oberpfalz), „Wir-stehen-zusammen.com“ (Rosenheim, Traunstein und Chiemsee), „GemeinsamZukunft“ (München), der „Unternehmerkreis Zukunft in Not“ (Augsburg), die Thermenwelt Füssing/Bäderdreieck (Bad Füssing, Bad Griesbach und Bad Birnbach), „Gemeinsamstark“ (Bad Kissingen), „Wir wollen nicht untergehen“ (Pfaffenhofen), „MiteinanderausderKrise“ (Mühldorf am Inn), „Lobby für Kinder“ (Niederbayern), „Allianz gegen Corona“ (Garching), „Protest Regensburg“, „Protest Deggendorf“, die Bustouristik Scherzer (Tegernsee) sowie „Wir brauchen Sport“ und der Bund der Selbständigen – Gewerbeverband Bayern e. V. (BDS). Martina Maier-Krapf aus Mühldorf a.Inn erklärt ihre Beweggründe.
Krueger: Politiker und Ärzte-Funktionäre wollen den Lockdown angesichts der „dritten Welle“ eher verschärfen, denn aufheben. So hält beispielsweise Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Situation auf den Intensivstationen und in den Kliniken für besorgniserregend. „Wir müssen diese dritte Welle miteinander brechen und Kontakte reduzieren“, sagt Spahn: „Vor allem im privaten Bereich, in den Schulen, auf Arbeit, wo es eben geht.“ Gesundheitsökonom Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) hält jedwede Lockerung für ein falsches Signal – nötig sei vielmehr ein „harter Lockdown“ mit verschärften staatlichen Beschränkungen. Dr. Dirk Spelmeyer, Facharzt für Urologie und Erster Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), wünscht sich den Lockdown gleich „knackig und hart“. Und Dr. Ute Teichert, Direktorin der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen und Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V., fordert ihn, damit die Menschen weniger miteinander in Kontakt kommen. Weshalb plädieren die Initiativen dennoch für die Aufhebung des Lockdowns?
Maier-Krapf: Wir erleben seit Monaten eine krasse Ungerechtigkeit und Ungleichbehandlung der Betriebe und Schulen: Es gibt Betriebe, die mussten nie schließen, andere sind seit Monaten geschlossen, obwohl kein Infektionsgeschehen passiert ist. Spätestens seit September 2020 liegen den örtlichen Gesundheitsämtern sämtliche Infektionsgeschehen in den Landkreisen vor. Beispiel: In den Kindergärten und Schulen des Landkreises Mühldorf a.Inn wurden im Zeitraum November/Dezember 2020 zwei Prozent des Infektionsgeschehens gemessen. Das sind bei der derzeitigen 7-Tage-Inzidenz von 100 bis 150 effektiv zwei bis drei Kinder im Landkreis, ihr Einfluss auf die Inzidenzwerte und auf das Infektionsgeschehen ist verschwindend gering. Und dennoch sind die Schulen seit Monaten geschlossen und die Öffnung ist gekoppelt an die Inzidenzwerte. Finden Sie diesen Zusammenhang nicht vollkommen ungerecht?
Krueger: In einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur haben sich jedenfalls 47 Prozent der Befragten dafür ausgesprochen, den bestehenden Lockdown zu verschärfen. Lediglich 30 Prozent sind für eine Lockerung oder Abschaffung der Einschränkungen, 17 Prozent meinen, der Lockdown sollte so beibehalten werden. In einer anderen YouGov-Umfrage plädierten 56 Prozent für bundesweit gültige nächtliche Ausgangsbeschränkungen, 37 Prozent waren dagegen, sieben Prozent machten keine Angaben. Was lässt die Initiativen angesichts dieser Werte Hoffnung schöpfen, dass Ihre Forderung nach einer Aufhebung des Lockdowns breit unterstützt wird?
Maier-Krapf: Mich interessiert, wie viele der Antworten von tatsächlich Betroffenen kommen: Wie viele Lehrer, Eltern, Schüler, Gastronomen, Hoteliers, Einzelhändler, Selbstständige, Unternehmer, Sportstättenbetreiber und Vereinsmitglieder haben sich an den Antworten beteiligt? Was sicherlich zu beobachten ist: Wer hat welche Einbußen durch den ewigen Lockdown? Wer ist an der Existenzgrenze angelangt? Wer hat schon psychische Probleme? Meine Mutmaßung: Wer nicht unmittelbar vom ewigen Lockdown betroffen ist, hat auch nichts gegen eine Verlängerung. Wer unmittelbar betroffen ist, versteht die politischen Entscheidungen schon lange nicht mehr. Hoffnung geben mir die vielen bayernweiten Initiativen, die sich zum Aktionstag am 8. April unter www.lasstunsoeffnen.de zusammengefunden haben: Es sind viele! Viel mehr als gedacht und viel mehr als bisher sichtbar! Wir stehen nicht mehr hinter den politischen Entscheidungen! Wir sind frustriert, wütend, am Ende unserer Kräfte. Wir sind bereit, als „Normalbürger“ auf die Straße zu gehen und uns Gehör zu verschaffen. Denn bisher wurden wir nicht gehört.
Kollateralschäden der restriktiven Corona-Maßnahmen
Krueger: Zur Gesamtschau aller ⭲ „Kollateralschäden“ der verordneten ⭲ Infektionsschutzmaßnahmen zählt die Initiative „gemeinsamzukunft“ unter anderem die Zunahme von Suiziden und Alkoholismus, von häuslicher Gewalt gegenüber Frauen und Kindern sowie von Scheidungen, dann Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen, Bildungslücken bei Schülerinnen und Schülern, weniger Studienanfänger an deutschen Hochschulen, den Verlust an Vereinsmitgliedern und sogar eine Diskriminierung von Single-Haushalten und einen Demokratisierungsverlust. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kritisiert allerdings, die Realität in den Krankenhäusern bilde sich nicht im privaten Umfeld ab: Die Menschen „spüren die Last der Einschränkungen, aber nicht die Bedrohung durch das Virus.“ Welche Lösungen schweben den Initiativen für das Dilemma vor?
Maier-Krapf: Die Lösung des Dilemmas ist sicherlich vielschichtig: Impfungen der Risikopatienten, Hygienekonzepte bis zur Herdenimmunität – Vorsicht, Abstand und Mund-Nase-Bedeckung gehören in bestimmten Bereichen natürlich dazu. Wir verschließen nicht die Augen vor dem Virus, aber wir verlangen auch eine Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Und das, was wir seit Monaten erleben, ist ein Aufrechterhalten von wirkungslosen Maßnahmen wie zum Beispiel die dauerhafte Schließung von Kindergärten, Schulen, Gastronomiebetrieben, Hotels und Einzelhandelsgeschäften. Wir alle haben im Herbst bewiesen, dass unsere Hygienekonzepte funktionieren, und wurden trotzdem monatelang zugesperrt.
Krueger: In Bayern dürfen nach den Osterferien nur Schüler wechselweise in den Präsenzunterricht zurückkehren, wenn die Schule in einer Region mit einer 7-Tages-Inzidenz unter 100 liegt. In Regionen ab 100 verbleiben alle Schüler im Distanzunterricht – Ausnahmen: Abschlussklassen, Jahrgangsstufe elf an Gymnasien und Fachoberschulen sowie vierte Klassen an Grundschulen. Wer dann in die Schule kommen will, muss zwingend ⭲ ein negatives Testergebnis nachweisen. Selbsttests werden nur akzeptiert, wenn sie in der Schule absolviert werden. Wie beurteilen Sie als Mutter und Initiatorin von „MiteinanderausderKrise“ die Testpflicht?
Maier-Krapf: Eine schwierige Frage. Wenn ich den Kinderärzten zuhöre, gibt es für eine Testpflicht keine medizinische Begründung. Nach wie vor stecken sich die Kinder vor allem bei Erwachsenen an. Es würde in den Kindergärten und Schulen völlig ausreichen, wenn die Lehrer und Erzieher getestet beziehungsweise geimpft werden würden. Das ist die medizinische Sicht auf die Testpflicht. Andererseits gibt es mittlerweile viele verängstigte Lehrer, Eltern und Schüler. Selbst in der Politik merkt man, dass die Testpflicht als unbedingte Voraussetzung für die Öffnung der Schulen geprüft wird. Meine Meinung: Wenn es eine kinderfreundliche Testvariante gibt, die Lehrern und Eltern Sicherheit zurückgibt, dann würde uns das ein Stück aus dem Schulschließungsdilemma herausführen. Die Gurgeltests, die zuhause erfolgen können und mittels PCR-Verfahren ein relativ sicheres Klassenergebnis hervorbringen, sind laut der Kinderärzte das kleinste Risiko: Gegurgelt wird zuhause, es geht keine wertvolle Lehrzeit verloren, das Testergebnis wird pro Klasse und nicht pro Kind ermittelt und das PCR-Testergebnis gilt als zuverlässig.
Maier-Krapf: „Lasst uns öffnen!“
Krueger: Bundesgesundheitsminister Spahn hat sich wiederholt für Erleichterungen bereits Geimpfter ausgesprochen. Diese sollten wie negativ Getestete behandelt werden. Es müsse klargestellt sein, dass das Infektionsrisiko durch Testung oder Impfungen reduziert sei. Welche anderen „sinnvollen, gerechten, nachvollziehbaren, transparenten und vor allem wirksamen Maßnahmen“ schweben den Initiatoren vor?
Maier-Krapf: Die Infektionsgeschehen werden seit Monaten vor Ort von den Gesundheitsämtern erfasst und nachverfolgt. Mein Vorschlag: Es dürfen alle gleichzeitig wieder öffnen mit den bereits vorhandenen und erprobten Hygienekonzepten. Taucht ein Infektionsgeschehen auf, werden die betroffenen Gruppen in den Betrieben beziehungsweise in den Schulen gezielt getestet und eventuell in Quarantäne geschickt, bis ein zuverlässiges Ergebnis vorliegt. Das wäre aus meiner Sicht: sinnvoll, gerecht, nachvollziehbar, transparent und wirksam! Und wird so seit vielen Monaten in den geöffneten Betrieben praktiziert. Gleiches Recht für alle: Lasst uns öffnen!
Krueger: Frau Maier-Krapf, Danke für das Gespräch. ✻
Erstveröffentlichung
Print: Inn-Salzach blick, 12. Jg., Nr. 14/2021, Samstag, 10. April 2021, S. 1f., Kolumne „Leitartikel“ (Kurzfassung) [199/3/1/1+9].
Online: ⭱ blick-punkt.com, Mittwoch, 7. April 2021; ⭱ E-Paper Inn-Salzach blick, Samstag, 10. April 2021. Stand: Neujahr, 1. Januar 2024.
Publikationsverzeichnis: ⭲ Index 2021.