Corona-Krise: Reisefreizügigkeit mit Impfnachweis?
Impfkarte ohne „formale Gültigkeit“

München / Altötting — 110 Geimpfte haben sie bereits: ei­ne Impf­kar­te im Kre­dit­kar­ten­for­mat. Die im ober­baye­ri­schen Land­kreis Altötting ge­gen das neu­ar­ti­ge Coronavirus (SARS-CoV-2) Ge­impf­ten kön­nen ih­re Impf­da­ten seit ei­ner Wo­che frei­wil­lig auf ei­ner Impf­kar­te mit QR-Code spei­chern las­sen. Er­fasst wer­den Na­me, Ge­burts­da­tum, Wohn­ort, Fo­tos des Ge­impf­ten, Impf­stoff und bei­de Impf­ter­mi­ne. Per Scan des QR-Codes kön­nen die Da­ten auf ein Smart­phone über­tra­gen wer­den. Das An­ge­bot des Land­rats­am­tes ist kos­ten­frei und Altötting mit sei­ner lo­ka­len Lö­sung nach ei­ge­ner An­ga­be bun­des­weit Vor­rei­ter. Die „Impf­be­stä­ti­gung SARS-CoV-2“ soll im Ver­gleich zum gel­ben A6-gro­ßen Impf­buch der Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­tion (WHO) Impf­daten früh­zei­tig di­gi­tal er­fas­sen – und ein Bei­trag zur Rei­se­frei­zü­gig­keit sein. Das Baye­ri­sche Staats­mi­nis­te­rium für Ge­sund­heit und Pfle­ge weist al­ler­dings darauf hin, dass lo­ka­le Lö­sun­gen nicht das Impf­buch der WHO mit des­sen in­ter­na­tio­na­len Be­schei­ni­gun­gen über Imp­fun­gen als welt­wei­ten Stan­dard ersetzen.

Wegweiser

Vorbereitung auf Impfnachweise

Ein 71-jähriger praktizierender Kinder- und Jugendmediziner war der Erste, dem das Land­rats­amt Altötting am 22. Ja­nu­ar ei­ne Impf­kar­te über­reich­te. Die Lö­sung sei mit der ⭱ „An­stalt für Kom­mu­na­le Da­ten­ver­ar­bei­tung in Bayern (AKDB)“ ent­wi­ckelt wor­den, der Da­ten­schutz laut Land­rats­amt ge­währ­leis­tet. Land­rat Erwin Schneider (CSU) hat­te sei­ne Mo­ti­va­tion zur Ein­füh­rung aus der ⭲ Lockdown-De­bat­te um „Pri­vi­le­gien“ für Ge­impf­te ge­zo­gen, wie Sach­ge­biets­lei­ter Markus Huber aus­führt: „Es wird al­ler Voraus­sicht nach Län­der ge­ben, die ei­nen Impf­nach­weis zur Ein­rei­se ver­lan­gen wer­den. Aus die­sem Grund hat der Land­rat ei­ne Mög­lich­keit ge­sucht, un­se­re Bür­ger­in­nen und Bür­ger darauf vor­zu­be­rei­ten.“ Die Impf­karte wer­de nach der zwei­ten Imp­fung aus­ge­hän­digt. Per­so­nen, die außer­halb des Impf­zen­trums durch mo­bi­le Impf­teams oder im Kli­ni­kum ge­impft wur­den, könn­ten sie auch nach­träg­lich erhalten.

Es geht hier nicht um Privilegien,
sondern um die Rücknahme von Grundrechtsbeschränkungen.
Christine Lambrecht, MdB (SPD), Bun­des­mi­nis­te­rin der Justiz und für Ver­brau­cher­schutz
im Ka­bi­nett Merkel IV, 21. Ja­nu­ar 2021

Huber zufolge haben bereits einige bayerische Landkreise an­ge­fragt, wie Altötting das Thema „di­gi­ta­ler Impf­aus­weis“ um­ge­setzt ha­be. In Süd­ost­ober­bayern ge­hört einst­wei­len der Land­kreis Rosenheim nach den Wor­ten von Pres­se­spre­cher Michael Fischer nicht zu den „In­teres­sen­ten“ die­ser Lö­sung. Auch im Land­kreis Mühldorf a.Inn ist laut Pres­se­spre­che­rin Simone Kopf die Ein­füh­rung der­zeit nicht vor­ge­se­hen: „Grund­sätz­lich hal­ten wir ei­ne di­gi­ta­le Lö­sung für sinn­voll, ins­be­son­de­re wenn es auf Lan­des- oder Bun­des­ebe­ne rea­li­siert wer­den könn­te. Im Ideal­fall ge­kop­pelt mit ei­ner di­gi­ta­len Kran­ken­kar­te.“ Ei­ne Spre­che­rin des Baye­ri­schen Staats­mi­nis­te­riums für Ge­sund­heit und Pfle­ge (StMGP) mahnt so­gar, für ei­ne lo­ka­le Lö­sung kön­ne es we­der ei­ne for­ma­le Gül­tig­keit ge­ben, noch kön­ne sie das WHO-Impf­buch er­set­zen, denn: „Ei­ne for­ma­le Lö­sung wird per­spek­ti­visch im di­gi­ta­len Impf­aus­weis im Rah­men der elek­tro­ni­schen Pa­tien­ten­ak­te (ePA) im Rah­men der Te­le­ma­tik­in­fra­struk­tur (TI) um­ge­setzt wer­den. Auf EU-Ebene gibt es auch An­sät­ze in Be­zug auf ei­ne In­ter­opera­bi­li­tät zwi­schen den Mitgliedstaaten.“

EU-Impfpass und ePA: halb gar

Die EU-Debatte über Vorteile für geimpfte Reisewillige hatte erst Mit­te Ja­nu­ar Grie­chen­lands Mi­nis­ter­prä­si­dent Kyriakos Mitsotakis an­ge­trie­ben. Er plä­dier­te für ei­nen EU-weit gül­ti­gen Impf­pass und for­der­te: „Die Per­so­nen, die ge­impft sind, müs­sen frei rei­sen dür­fen.“ Manfred Weber (CSU), stell­ver­tre­ten­der Frak­tions­vor­sit­zen­der der Eu­ro­päi­schen Volks­par­tei (EVP) im Eu­ro­päi­schen Par­la­ment (EP), emp­fahl ei­nen stan­dar­di­sier­ten Impf­pass für al­le EU-Bür­ger, um Ge­impf­ten das Rei­sen im Bin­nen­markt zu er­leich­tern. Der­zeit dis­ku­tie­ren die 27 Mit­glied­staa­ten der Eu­ro­päi­schen Union das ge­mein­sa­me Vor­ge­hen bei „Impf­zer­ti­fi­ka­ten“, wel­che Da­ten er­fasst wer­den und ob dies di­gi­tal ge­sche­hen soll. Offen ist aber, ob an ei­nen EU-Impf­pass tat­säch­lich „Pri­vi­le­gien“ wie ein­fa­ches Rei­sen ge­knüpft wer­den. Über­dies ist un­klar, ob Ge­impf­te an­de­re wei­ter­hin ⭲ an­ste­cken kön­nen, ob Al­ler­gi­ker, die sich nicht imp­fen las­sen kön­nen, be­nach­tei­ligt wer­den, oder ob ei­ne Impf­pflicht durch die Hin­ter­tür die Ge­sell­schaft spal­ten könnte.

Mich stört, dass so manche Verantwortliche in der Politik offensichtlich meinen,
man dürfe in Zeiten der Pandemie so ziemlich alles an Einschränkungen vornehmen.
Prof. em. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier, ehem. Prä­si­dent des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, 22. Ja­nu­ar 2021

Die zum Jahreswechsel eingeführte elek­tro­ni­sche Pa­tien­ten­ak­te, die sen­sib­le Ge­sund­heits­da­ten wie Arzt­be­fun­de, Rönt­gen­bil­der und Impf­pass di­gi­tal spei­chert, ist bis Ju­ni 2021 noch in der Test­pha­se. Ihr Mehr­wert bleibt über­schau­bar und be­strit­ten. Das IT-Groß­pro­jekt soll 200.000 Leis­tungs­er­brin­ger mit po­ten­ziell 73 Mil­lio­nen Ver­si­cher­ten ver­net­zen. Mit der App sol­len et­wa Pra­xen Mehr­fach­un­ter­su­chun­gen ver­mei­den und Pa­tien­ten wei­te­re di­gi­ta­le An­ge­bo­te in der Pfle­ge, bei elek­tro­ni­schen Re­zep­ten und Video­sprech­stun­den in An­spruch neh­men kön­nen. An­fang Ja­nu­ar erst hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) ei­ne Ver­fas­sungs­be­schwer­de und ei­nen Eil­an­trag zur ePA ab­ge­wie­sen. Bei­de Klä­ger se­hen sich in ih­rem Grund­recht auf in­for­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung ver­letzt, woll­ten die Aus­wer­tung der Da­ten durch die ge­setz­li­chen Kran­ken­kas­sen für ge­ziel­te In­for­ma­tio­nen über und An­ge­bo­te zu Ver­sor­gungs­in­no­va­tio­nen ver­hin­dern. Das BVerfG er­klär­te bün­dig, der Be­schwer­de­füh­rer bräuch­te nur kei­ne Ein­wil­li­gung zur Nut­zung der ePA zu er­tei­len (Az. 1 BvR 619/20 u.a.).

Statt Reisen „härteres Grenzregime“

Ob mit Impfpass, Impfkarte oder ⭲ „Corona-Warn-App (CWA)“: Ei­ne Lo­cke­rung des ver­tief­ten und ver­län­ger­ten ⭲ „har­ten Lock­downs“ ist der­weil nicht in Sicht. Der baye­ri­sche Mi­nis­ter­prä­si­dent Dr. Markus Söder (CSU) et­wa be­für­wor­tet zwar ei­nen EU-Impf­pass für je­ne, die ge­gen SARS-CoV-2 ge­impft sind – wenn er funk­tio­nie­re und fäl­schungs­si­cher sei. Bun­des­kanz­le­rin Dr. Angela Merkel (CDU) scheint je­doch der Dis­kus­sion über „Öff­nun­gen“ mit Ver­weis auf den Kon­troll­ver­lust we­nig ab­ge­win­nen zu kön­nen: „Uns ist das Ding ent­glit­ten“, soll sie in ei­ner in­ter­nen Video­schal­te der Unions-Frak­tions­vor­sit­zen­den von Bund und Län­dern of­fen­bart und ein „här­te­res Grenz­re­gime“ ge­for­dert ha­ben. Qua­ran­tä­ne sol­le viel­mehr „Rei­sen un­at­trak­tiv un­an­ge­nehm ma­chen“ und: „Wir müs­sen den Flug­ver­kehr so aus­dün­nen, dass man nir­gend­wo mehr hin­kommt.“ Be­reits im ers­ten Lock­down hat­te Merkel in ei­ner Schalt­kon­fe­renz des CDU-Prä­si­diums En­de April 2020 Lo­cke­run­gen als „Öff­nungs­dis­kus­sions­or­gien“ scharf kri­ti­siert und vor nach­las­sen­der Dis­zi­plin gewarnt. 


Erstveröffentlichung

Print: Ro­sen­hei­mer blick, Inn­ta­ler blick, Mang­fall­ta­ler blick, Was­ser­bur­ger blick, 35. Jg., Nr. 4/2021, Sams­tag, 30. Ja­nu­ar 2021, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ (Kurz­fas­sung) [185/3/2/10]; Inn-Salz­ach blick, 12. Jg., Nr. 4/2021, Sams­tag, 30. Ja­nu­ar 2021, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ (Kurz­fas­sung) [185/3/2/10].
Online: ⭱ blick-punkt.com, Diens­tag, 26. Ja­nu­ar 2021; ⭱ E-Paper Ro­sen­hei­mer blick, ⭱ E-Paper Inn­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Mang­fall­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Was­ser­bur­ger blick, ⭱ E-Paper Inn-Salz­ach blick, Sams­tag, 30. Ja­nu­ar 2021. Stand: Neu­jahr, 1. Ja­nu­ar 2024.
Publikationsverzeichnis: ⭲ Index 2021.


 

Dr. Olaf Konstantin Krueger M.A.

Digitaljournalist – Digitalpolitiker