Corona-Krise: AfD kritisiert Maßnahmen als „unverhältnismäßig“
Von Storch: „Söder trägt die politische Verantwortung“
Berlin / München / Rosenheim — „Wahltag ist Zahltag“: Getreu diesem Motto hat der Kreisverband Rosenheim der „Alternative für Deutschland (AfD)“ im Endspurt des Bundestagswahlkampfes eine Kundgebung in Rosenheim als „Abrechnung mit Söders Corona-Politik“ ausgerichtet. Hauptrednerin: Rechtsanwältin Beatrix von Storch, AfD-Bundestagsabgeordnete, stellvertretende Bundessprecherin der AfD und Landesvorsitzende der AfD in Berlin. Die Kundgebung mit rund 50 Teilnehmern zielte auf das Ende der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ und der damit verbundenen restriktiven Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern. Dagegen protestierten nach Polizeiangaben 300 Personen des „noAfD – Bündnis gegen rechte Hetze“. Dr. Olaf Konstantin Krueger im Gespräch mit Beatrix von Storch.
Wegweiser
- Söder: „Impfen ist der einzige Weg aus der Pandemie“
- „Weg zurück in die Normalität“
- „Abrechnung mit Söders Corona-Politik“
- Von Storch: „Elefant im Raum“
- Von Storch: „Unsere Antwort ist das Grundgesetz“
Söder: „Impfen ist der einzige Weg aus der Pandemie“
In Bayern ist am 2. September die 14. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (14. BayIfSMV) zur Eindämmung der Verbreitung des ⭲ neuartigen Coronavirus’ (SARS-CoV-2) in Kraft getreten. Sie gilt bis einschließlich 1. Oktober. Die „Corona-Strategie“ der Staatsregierung folgt nun Kriterien wie der „3G-Regel“ in geschlossenen Räumen bei einer 7-Tage-Inzidenz über 35 (heißt: Zugang nur für Geimpfte, Genesene, Getestete – ausgenommen sind Privaträume, Handel, ÖPNV, Gottesdienste sowie Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG), dem OP-Maskenstandard in geschlossenen Räumen sowie der „Krankenhaus-Ampel“ als neuem Leitindikator für die Belastung des Gesundheitssystems. Damit sind Kontaktbeschränkungen, FFP2-Maskenpflicht und 7-Tage-Inzidenz (7-TI) als dominierendes Kriterium der bisherigen restriktiven Corona-Maßnahmen passé.
Ministerpräsident Dr. Markus Söder (CSU) zufolge ist die 14. BayIfSMV „ein Befreiungsschlag“. Auf Twitter erklärt er, im zurückliegenden Jahr seien 130.000 Menschen „vor dem Tod gerettet“ worden. Und: „Es gibt keinen höheren ethischen Lohn, als Leben zu retten.“ Daneben schließt Söder sowohl einen neuen Lockdown in der vierten Corona-Welle „definitiv“ aus als auch das in Hamburg und Berlin geltende „2G-Modell“. Dieses sei zwar in Bayern „theoretisch möglich und nicht verboten, aber nicht vom Staat vorgeschlagen“. Im Freistaat würden Getestete den Geimpften und Genesenen gleichgestellt bleiben. Kritiker der Corona-Maßnahmen rügt Söder abermals, twittert beispielsweise: „Die Aussagen der Querdenker sind schäbig, wirr und böse. Wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir setzen auf Vernunft und Dialog. Und wir erwarten Klartext der AfD, ob sie Postboten oder gar Strippenzieher der Querdenker sind. Nein zu Hass und Angriffen auf unsere Demokratie!“ Und Söder bekräftigt: „Impfen ist der einzige Weg aus der Pandemie.“
Einen anderen Akzent setzt der wirtschafts- und tourismuspolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Bayerischen Landtag, Franz Bergmüller: „Freiheitsrechte stehen jedem Menschen zu und müssen nicht erst durch eine Impfung verdient werden!“ Hospitalisierung, also die Zahl der COVID-19-Patienten in Krankenhäusern, und Impfquote erlaubten vielmehr weitgehende Öffnungen und die Zurücknahme der Beschränkungen. Bergmüllers Forderung: „Anstatt weiterer Überregulierung muss jetzt endlich wieder die Eigenverantwortung in den Vordergrund gerückt werden.“ Sämtliche Beschränkungen müssten aufgehoben werden, insistiert der Rosenheimer Landtagsabgeordnete gleichlautend zur „Corona-Resolution“ der AfD.
„Weg zurück in die Normalität“
Die AfD hat auf ihrem zwölften Bundesparteitag am 10./11. April 2021 in Dresden eine „Corona-Resolution“ beschlossen, mit der sie „einen Weg zurück in die Normalität“ aufzeigen will. So fordert sie von den Bundes- und Landesregierungen neun Maßnahmen:
- erstens einen wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs zuzulassen,
- zweitens zu „bewährten Diagnosemethoden“ zurückzukehren,
- drittens „nachvollziehbare Verhältnismäßigkeiten“ herzustellen,
- viertens die Bevölkerung keinerlei Risiken mit auf mRNA basierenden Impfstoffen auszusetzen,
- fünftens Zwänge durch Tests, Impfungen und Pässe zu unterlassen,
- sechstens Kinder als „Corona-Maßnahmenopfer“ anzusehen,
- siebtens eine „Politik der Verhältnismäßigkeit“ zu betreiben,
- achtens die Art des Schutzes vor SARS-CoV-2 den „mündigen Bürgern“ selbst zu überlassen sowie
- neuntens „den staatlich verordneten Lockdown sofort zu beenden“ und „allen Menschen wieder ihre grundgesetzlich garantierten Freiheitsrechte allumfassend zurückzugeben“.
Der AfD-Kreisverband Rosenheim hat diese Forderungen zuletzt auf seiner Kundgebung „Deutschland – aber normal“ am 31. August in der kreisfreien Stadt bekräftigt. Hauptredner war dort der stellvertretende AfD-Bundessprecher und ehemalige Vorsitzende des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz im Deutschen Bundestag, Rechtsanwalt Stephan Brandner. Während Brandner eine „Kehrtwende in der Politik“ forderte, kritisierten die Rosenheimer AfD-Landtagsabgeordneten Franz Bergmüller und Andreas Winhart die restriktiven Corona-Maßnahmen der Bayerischen Staatsregierung als unverhältnismäßig.
„Abrechnung mit Söders Corona-Politik“
Neun Tage vor dem Urnengang am 26. September veranstaltete der AfD-Kreisverband eine weitere Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen, nun unter dem Motto: „Wahltag ist Zahltag – Abrechnung mit Söders Corona-Politik“. Hauptrednerin war diesmal die stellvertretende Bundessprecherin der AfD und Landesvorsitzende der AfD in Berlin, Rechtsanwältin Beatrix von Storch. Weitere Redner: der Rosenheimer AfD-Bundestagskandidat Andreas Kohlberger und der Rosenheimer AfD-Landtagsabgeordnete Andreas Winhart.
Die Kundgebung wurde in Sicht- und Hörweite von rund 300 Teilnehmern des „noAfD – Bündnis gegen rechte Hetze“ lautstark unter dem Motto „Keine Ruhe den Rechten“ begleitet. Polizeiangaben zufolge kam es während des Demonstrationszuges des Bündnisses durch die Rosenheimer Innenstadt neben kurzfristigen Verkehrsbehinderungen auch zu Beschädigungen von Wahlplakaten und auf der Demonstration selbst zu niederschwelligen Verstößen nach dem Bayerischen Versammlungsgesetzes. Die Polizeiinspektion Rosenheim wurde bei ihrem Einsatz von der Bayerischen Bereitschaftspolizei unterstützt.
Fragen an von Storch zum Bundestagswahlkampf ihrer Partei im Allgemeinen und ihre Opposition zu den restriktiven Corona-Maßnahmen im Besonderen.
Von Storch: „Elefant im Raum“
Krueger. 2013 gegründet, ist die „Alternative für Deutschland“ heute mit Abgeordneten in allen 16 deutschen Landesparlamenten, im Deutschen Bundestag und im EU-Parlament vertreten. Im 19. Deutschen Bundestag ist sie drittstärkste Kraft und seit Bildung der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD die größte Oppositionsfraktion. „AfD wirkt“ ist im Bundestagswahlkampf 2021 eine ihrer Botschaften. Zugleich beklagen ihre Repräsentanten Benachteiligungen im parlamentarischen Betrieb, Ungleichbehandlung im medialen Mainstream, Behinderungen ihrer Versammlungen und politisch motivierte Gewalt gegen Material und Menschen. Wie passt das zusammen und woran messen Sie Ihren politischen Erfolg?
Von Storch. Die AfD ist bei allen politischen Debatten der „Elefant im Raum“. Die etablierten Parteien haben viele Entscheidungen nur deshalb getroffen, um zu verhindern, dass die AfD noch stärker wird. Ohne die AfD wäre der Familiennachzug für Flüchtlinge nicht eingeschränkt worden, ohne die AfD würden jetzt bereits in noch größerer Zahl Migranten aus Afghanistan eingeflogen. Ohne die AfD wäre der Ausstieg aus der Kohleverstromung schon längst auf das Jahr 2030 vorgezogen worden. Teilweise werden unsere Anträge einfach von der Regierung kopiert wie im Fall des Hisbollah-Verbotes. Wir stehen dem totalen Linksrutsch in der Gesellschaft im Weg und darum werden wir auch mit allen Mitteln bekämpft.
Krueger. Stichwort: Inhalte. „Deutschland. Aber normal.“ lautet der Slogan der AfD im Bundestagswahlkampf 2021. Die Konjunktion „aber“ verweist auf anormale Zustände. Im April haben Sie bilanziert, am Ende der Ära Merkel „befindet sich Deutschland in einem beklagenswerten, erbärmlichen Zustand“. Welche Zustände sind hauptsächlich gemeint und wie wollen Sie diesen begegnen?
Von Storch. Sehen Sie sich doch die Bilanz der Ära Merkel an: Deutschland hat die höchste Belastung mit Steuern und Abgaben in der OECD. Deutschland haftet mit über einer Billion Euro für die Schulden der anderen Eurostaaten. Die Energiewende kostet uns 500 Milliarden Euro, dabei sind die Strompreise doppelt so hoch wie in Frankreich. Merkels Asyl- und Migrationspolitik ist eine Katastrophe. 65 Prozent der Syrer, die nach Deutschland gekommen sind, leben von Hartz IV. Flüchtlinge und Asylbewerber machen zwei Prozent der Bevölkerung aus, sind aber für zehn Prozent der schweren Straftaten verantwortlich. Afghanistan war ein Desaster. Die Renten sind nicht mehr sicher. Die Infrastruktur zerfällt. Bei der Digitalisierung sind wir Schlusslicht, und, und, und …. Es gibt keinen Bereich, auf dem Merkel nicht ein Trümmerfeld hinterlässt. Deshalb müssen wir Merkels Politik rückgängig machen und wieder zu normalen Zuständen mit sicheren Grenzen, einer tragfähigen Energieversorgung und der Einhaltung der europäischen Verträge zurückkehren.
Krueger. Die AfD führt den Bundestagswahlkampf 2021 mit einem Spitzenkandidaten-Duo: Dr. Alice Weidel, Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, und Tino Chrupalla, stellvertretender Vorsitzender der AfD-Bundestagsfraktion. Dr. Weidel bezeichnet Präsenzveranstaltungen für die AfD als elementar. Diese sind allerdings durch die Corona-Maßnahmen, insbesondere die Hygiene- und Abstandsvorschriften, eingeschränkt, wie Ihre Rosenheimer Kundgebung unter freiem Himmel zeigt. Wie erreichen Sie in dieser Situation die Wahlberechtigten?
Von Storch. Wir haben es schwer in diesem Wahlkampf, sowohl wegen der Corona-Maßnahmen als auch wegen der gewalttätigen Angriffe von Linksextremisten. Außerdem werden unsere Reichweiten auf den Sozialen Medien von den Internet-Giganten eingeschränkt. Wir lassen uns aber nicht einschüchtern. Wir betreiben Wahlkampf unter dem freien Himmel, wir sprechen Themen wie die fatalen Folgen der Migration, der Euro- und Energiepolitik an, die die anderen Parteien verschweigen. Wir setzen darauf, dass die Schweigende Mehrheit in Deutschland ihre Zukunft und ihren Wohlstand nicht für linke Gesellschaftsexperimente opfern will. Wir stehen für die Werte der alten Bundesrepublik.
Krueger. Stichwort: Corona-Krise. Die allgemeinen Beschränkungen seit dem ersten Lockdown lassen kaum einen grundrechtsgeschützten Bereich unangetastet. Gleichwohl hat der Bundestag am 25. August zum fünften Mal festgestellt, dass die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ fortbesteht und diese für drei weitere Monate verlängert. Für die AfD kritisierte Tino Chrupalla das Krisenmanagement der Bundesregierung teilweise scharf: Ihr fehlten sowohl stringente Konzepte als auch Tatkraft, während sie doch deeskalierend wirken sowie Mut und Zuversicht verbreiten müsse. Wie gestaltet die AfD indes ihre Oppositionsarbeit auf Bundesebene und welche Rolle spielen hierbei „Querdenker“?
Von Storch. Für uns steht vor allem der Erhalt der Bürgerrechte im Vordergrund. Dazu gehören auch das Demonstrationsrecht und die Meinungsfreiheit. Die Querdenker erscheinen mir als sehr heterogene Bewegung. Unter ihnen gibt es auch viele Linke und frühere Wähler der Grünen. Wir müssen uns daher nicht alle Aussagen der Querdenker zu eigen machen. Aber wir lehnen es ab, dass die friedlichen Corona-Proteste verboten werden, während antiisraelische Demonstrationen, Black Lives Matter und der Christopher Street Day erlaubt werden. Das ist reine Willkür und eines Rechtsstaates unwürdig.
Von Storch: „Unsere Antwort ist das Grundgesetz“
Krueger. Stichwort: Impfstatus-Abfrage. Derzeit sind bundesweit über 60 Prozent der Menschen zweifach geimpft. Vor diesem Hintergrund hat der Bundestag am 7. September das Infektionsschutzgesetz (IfSG) dahin gehend geändert, dass etwa die Hospitalisierung als neuer, wesentlicher Maßstab für die Corona-Maßnahmen gilt. Des Weiteren ist in bestimmten Einrichtungen wie Kitas, Schulen und Pflegeheimen eine Auskunftspflicht der Mitarbeiter zu ihrem Impf- oder Serostatus (Genesung) vorgesehen. Der Status soll während der Dauer der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder die Art und Weise der Beschäftigung entscheiden können. Ministerpräsident Dr. Markus Söder will indes die ⭲ Impfquote erhöhen und beklagt eine „Pandemie der Ungeimpften und der Jüngeren“. Dr. Alice Weidel hat bereits vor einer „verfassungswidrigen und freiheitsfeindlichen Zwei-Klassen-Gesellschaft“ sowie einem „Lockdown für nicht geimpfte, gesunde Bürger“ gewarnt. Welche Lösung des Konflikts schwebt Ihnen vor?
Von Storch. Unsere Antwort ist das Grundgesetz. Wir glauben an die Würde des Menschen, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und den mündigen Bürger. Jeder Bürger muss für sich ganz persönlich eine Risikoabwägung treffen und für sich persönlich entscheiden, ob er sich impfen lassen will oder nicht. Wir sind gegen die Spaltung der Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte. Wir haben von Anfang an gesagt: Konzentrieren wir uns auf den Schutz der Risikogruppen. Hätte die AfD sich mit ihrer Forderung durchgesetzt, wäre ein Großteil der Corona-Toten vermieden worden. Dann hätten wir auf den Lockdown verzichtet und stattdessen frühzeitig Corona-Tests in Pflegeheimen eingeführt. In Bayern waren 60 Prozent der Corona-Toten die Bewohner von Pflegeheimen. Für diese Opfer trägt Markus Söder die politische Verantwortung.
Krueger. Frau von Storch, danke für das Gespräch. ‡
Publikationsverzeichnis: ⭲ Index 2021.