Kommerzielle Förderung von Tiefenwasser
Merches: „Ein Jahrtausendproblem“

Polling / Töging a.Inn — In den Landkreisen Mühldorf a.Inn und Altötting lie­gen zwei Kom­mu­nen mit­ein­an­der im Clinch. Auf dem Ge­biet er­streckt sich in der Tiefe ein gro­ßes zu­sam­men­hän­gen­des Grund­was­ser­sys­tem, bei dem sich Ent­nah­men ge­gen­sei­tig be­ein­flus­sen. In der Mühldorfer Ge­mein­de Polling möch­te künf­tig ein Ge­trän­ke­kon­zern Tie­fen­was­ser för­dern, ab­fül­len und als Mi­ne­ral­was­ser an Dis­coun­ter ver­kau­fen. Da­ge­gen regt sich Wi­der­stand in der Altöttinger Nach­bar­stadt Töging a.Inn, wo der Pe­gel sinkt, Brun­nen tro­cken fal­len und das na­he ge­le­ge­ne Was­ser­schutz­ge­biet durch die Au­to­bahn ge­fähr­det ist. Tögings Bür­ger­meis­ter Dr. Tobias Windhorst ist des­halb strikt ge­gen ei­ne zu­sätz­li­che kom­mer­ziel­le Aus­beu­tung der re­gio­na­len Trink­was­ser­re­ser­ve. Der Altöttinger Na­tur­schüt­zer Gerhard Merches warnt über­dies vor ei­nem „Jahr­tau­send­pro­blem“.

Im Gemeindegebiet Polling kann das Werk Weiding aus fünf von sechs Brun­nen 1,6 Mil­lio­nen Ku­bik­me­ter Was­ser pro Jahr för­dern. Laut Land­rats­amt Mühldorf a.Inn ist die­se Men­ge je­doch in den zu­rück­lie­gen­den Jah­ren nicht aus­ge­schöpft wor­den. Des­halb könn­te die un­ge­nutz­te Tie­fen­was­ser-Ka­pa­zi­tät an die in­te­res­sier­te Mit­tel­deut­sche Er­fri­schungs­ge­trän­ke GmbH & Co. KG (MEG) ver­kauft wer­den. MEG wür­de für ei­ne ei­ge­ne Ab­füll­an­la­ge mit Hoch­re­gal­la­ger ei­nen ho­hen zwei­stel­li­gen Mil­lio­nen­be­trag in­ves­tie­ren. Das Un­ter­neh­men mit Sitz im sach­sen-an­hal­ti­ni­schen Weißenfeld ist ei­ne hun­dert­pro­zen­ti­ge Toch­ter der Schwarz-Gruppe, dem viert­größ­ten Han­dels­kon­zern der Welt und größ­ten Fa­mi­lien­un­ter­neh­men Deutsch­lands, zu wel­chem auch Lidl und Kaufland gehören.

Pollings Bürgermeister Lorenz Kronberger verbindet mit dem Pro­jekt die Aus­sicht auf neue Ar­beits­plät­ze. „Grund­sätz­lich ist es völ­lig in Ord­nung, wenn Un­ter­neh­men vor­han­de­nes Tie­fen­was­ser für den mensch­li­chen Ver­zehr för­dern wol­len und da­bei na­tür­lich auch wirt­schaft­li­che Über­le­gun­gen im Vor­der­grund ste­hen“, er­klärt der CSU-Po­li­ti­ker. „Aber na­tür­lich stellt sich auch die Fra­ge, ob es im­mer gleich das Ma­xi­mum sein muss.“ Dem­ge­gen­über leh­nen Altöttings Stimm­kreis­ab­ge­ord­ne­ter Dr. Martin Huber und Tögings Bür­ger­meis­ter Dr. Tobias Windhorst (bei­de CSU) ei­ne kom­mer­ziel­le För­de­rung des Tie­fen­was­sers ab. Ih­nen zu­fol­ge müs­se zu­erst die öf­fent­li­che Was­ser­ver­sor­gung lang­fris­tig ge­si­chert sein, ehe Tie­fen­was­ser für ei­ne kom­mer­ziel­le Nut­zung ge­för­dert wer­den dür­fe. Gerhard Merches vom Ar­beits­kreis Land­wirt­schaft der „Bür­ger­ini­tia­ti­ve Netz­werk Trink­was­ser in Grün­dung (BINT)“, wel­che sich für sau­be­res Trink­was­ser im Land­kreis Altötting ein­setzt, for­dert zu­dem, dass die Alt­ge­neh­mi­gun­gen zur Tie­fen­was­ser­nut­zung in Polling auf den Prüf­stand kom­men, in­wie­weit sie die heu­ti­ge Si­tua­tion abdecken.

„Jahrhundertproblem PFOA

Merches sieht die Entnahme von Tiefenwasser grund­sätz­lich kri­tisch, weil des­sen Re­ge­ne­ra­tions­pha­se tau­sen­de Jah­re be­nö­ti­ge. Tie­fen­was­ser kön­ne, wenn über­haupt, nur ei­ne Über­gangs­lö­sung dar­stel­len bis das Ober­flä­chen­was­ser re­ge­ne­riert, al­so von Ni­tat, Pes­ti­zi­den oder Ver­kei­mung ge­rei­nigt sei. Die ho­he Sen­si­bi­li­tät hin­sicht­lich der Was­ser­ver­sor­gung führt Merches auf die Furcht vor ver­un­rei­nig­tem Trink­was­ser zu­rück, denn Tei­le des Land­krei­ses Altötting ha­ben ein „Jahr­hun­dert­pro­blem“: Bo­den und Grund­was­ser sind groß­flä­chig mit der mög­li­cher­wei­se Krebs er­re­gen­den Per­fluor­oc­tan­säu­re (PFOA) be­las­tet. PFOA kann un­ter Um­welt­be­din­gun­gen we­der über Hy­dro­ly­se, Pho­to­ly­se noch bio­tisch oder abio­tisch ab­ge­baut wer­den. Der Stoff wurde von 1968 bis 2008 im Che­mie­park Gendorf bei Burgkirchen a.d.Alz ver­wen­det, ge­lang­te über Luft und Ab­was­ser in Alz und Trink­was­ser, da­mit in das Blut der Men­schen. In­dem die per­sis­ten­te Che­mi­ka­lie wei­ter­hin vom Bo­den ins Grund­was­ser si­ckert, könn­te die Be­las­tung des Was­sers bis 2050 wei­ter stei­gen, ehe die Kon­zen­tra­tion abnimmt.

Auf Veranlassung des Bayerischen Staatsministeriums für Ge­sund­heit und Pfle­ge und auf Wunsch des Land­krei­ses Altötting un­ter­such­ten zwi­schen En­de Ja­nu­ar und En­de März das Lan­des­amt für Ge­sund­heit und Le­bens­mit­tel­si­cher­heit (LGL) so­wie das Ge­sund­heits­amt Altötting die Be­las­tungs­si­tua­tion der Be­völ­ke­rung mit per­fluo­rier­ten Sub­stan­zen mit­tels Blut­ent­nah­men. Da­bei wur­den im Blut „fast durch­ge­hend“ er­höh­te PFOA-Ge­hal­te fest­ge­stellt. Den­noch be­steht laut LGL „kei­ne kon­kre­te ge­sund­heit­li­che Ge­fähr­dung“. Da­ge­gen schätz­te der Münchener Land­tags­ab­ge­ord­ne­te und SPD-Um­welt­ex­per­te Florian von Brunn die Er­geb­nis­se bei der Vor­stel­lung Mit­te Ju­li „mehr als be­sorg­nis­er­re­gend“ ein: Die­se ent­sprä­chen im Durch­schnitt dem Zehn­fa­chen des­sen, was das Um­welt­bun­des­amt noch für ak­zep­ta­bel hal­te. Der SPD-Po­li­ti­ker wi­der­sprach der Dar­stel­lung des LGL als zen­tra­ler Fach­be­hör­de des Frei­staa­tes für Le­bens­mit­tel­si­cher­heit, Ge­sund­heit, Tier­ge­sund­heit so­wie Ar­beits­schutz/Pro­dukt­si­cher­heit und mahn­te, von „Ent­war­nung kann über­haupt nicht die Rede sein“.

Behörden: Keine gesundheitliche Gefahren

Einer aktuellen Detailuntersuchung des „Environmental Resources Management (ERM)“ in Gendorf fol­gend wird die PFOA-Kon­zen­tra­tion im Grund­was­ser „noch für Jahr­zehn­te über dem ak­tu­el­len Trink­was­ser­leit­wert lie­gen“. PFOA wer­de da­bei ins­be­son­de­re durch be­las­te­tes Trink­was­ser auf­ge­nom­men. Doch der Ver­zehr von Le­bens­mit­teln aus der Re­gion wie Obst, Ge­mü­se oder Fisch sei – mit Aus­nah­me von Wild­schwein – un­be­denk­lich: PFOA stel­le in Bo­den und Grund­was­ser „kei­ne Ge­fahr für das Ober­flä­chen­ge­wäs­ser und das da­mit ver­bun­de­ne aqua­ti­sche Öko­sys­tem, für Pflan­zen so­wie für Nutz- und Wildtiere dar“.

Grundsätzliche Abhilfe: Zum Schutz der Be­völ­ke­rung kön­nen Was­ser­auf­be­rei­tungs­an­la­gen in­stal­liert, be­las­te­te Brun­nen still­ge­legt oder ihr Was­ser mit dem aus sau­be­ren Brun­nen ver­mischt so­wie Trink­was­ser aus tie­fe­ren Erd­schich­ten oder in an­de­ren Re­gio­nen ge­för­dert wer­den. Im­mer­hin hat das Ge­sund­heits­amt Alt­öt­ting An­fang Ok­to­ber grü­nes Licht für den An­schluss ei­ner Was­ser­auf­be­rei­tungs­an­la­ge an das Trink­was­ser­ver­sor­gungs­netz für die Ge­mein­den Kastl und Markt Tüßling ge­ge­ben. Um­welt­mi­nis­ter Dr. Marcel Huber (CSU) be­ton­te: „Sau­be­res Trink­was­ser ist das wert­voll­ste Le­bens­mit­tel, das wir in Bayern ha­ben.“ Je­der Bür­ger müs­se zu sau­be­rem Trink­was­ser Zu­gang ha­ben und die Auf­be­rei­tungs­an­la­ge in Kastl sei „ein ent­schei­den­der Schritt für die Trink­was­ser­ver­sor­gung in der Re­gion“, auf dass der Leit­wert für PFOA ein­ge­hal­ten werde.

„Jahrtausendproblem Tiefenwassernutzung“

In dieser Gemengelage bleibt die Entnahme von Tiefenwasser aus Merches Sicht pro­ble­ma­tisch. Mit­te Sep­tem­ber er­hielt Töging die Er­laub­nis für ei­ne Pro­be­boh­rung zur Ge­win­nung von Tie­fen­was­ser: ein „gro­ßer, er­freu­li­cher Schritt“ zur lang­fris­ti­gen Was­ser­ver­sor­gung, so Bür­ger­meis­ter Windhorst, und für Land­tags­ab­ge­ord­ne­ter Martin Huber die „ein­zig gang­ba­re Lö­sung“. Al­ler­dings soll mit dem mög­li­chen Tief­brun­nen das bis­he­ri­ge Was­ser­schutz­ge­biet am Harter Weg auf­ge­löst wer­den, weil es den Fach­be­hör­den zu­fol­ge we­gen der Au­to­bahn und An­sied­lung von Ge­wer­be mit­tel­fris­tig nicht zu schüt­zen sei. Dies wie­de­rum nennt Win­horst „ab­surd“. Merches warnt grund­sätz­lich, dass die Tie­fen­was­ser­nut­zung zum „Jahr­tau­send­pro­blem“ wer­den könn­te, wenn sich im un­ter Druck ste­hen­den Tie­fen­was­ser durch För­de­rung die Druck­ver­hält­nis­se än­dern und über ei­ne Ver­un­rei­ni­gung mit Oberflächenwasser das Tiefenwasser für die fol­gen­den Ge­ne­ra­tio­nen ver­lo­ren wäre. 


Erstveröffentlichung

Print: Ro­sen­hei­mer blick, Inn­ta­ler blick, Mang­fall­ta­ler blick, Was­ser­bur­ger blick, 32. Jg., Nr. 42/2018, Sams­tag, 20. Ok­to­ber 2018, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“; Inn-Salz­ach blick, 10. Jg., Nr. 42/2018, Sams­tag, 20. Ok­to­ber 2018, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ [196/3/1/8].
Online: ⭱ blick-punkt.com, Mitt­woch, 17. Ok­to­ber 2018; ⭱ E-Paper Ro­sen­hei­mer blick, ⭱ E-Paper Inn­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Mang­fall­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Was­ser­bur­ger blick, ⭱ E-Paper Inn-Salz­ach blick, Sams­tag, 20. Ok­to­ber 2018. Stand: Neu­jahr, 1. Ja­nu­ar 2024.
 

Dr. Olaf Konstantin Krueger M.A.

Digitaljournalist – Digitalpolitiker