Protesttag „Stop Watching Us“
Bad Aibling demonstriert gegen Massenüberwachung
Bad Aibling — Rund 300 Demonstranten haben am Wochenende in Bad Aibling gegen geheimdienstliche Massenüberwachung protestiert. Der Demonstrationszug hielt drei Kundgebungen ab: auf dem Marienplatz, am Eingang der Mangfall-Kaserne in Mietraching und im Sportpark, einem ehemaligen Kasernengelände. Dieses Gelände bietet freie Sicht auf die weißen Radome: runde Schutzhüllen für die haushohen Parabol-Antennen, die wie überdimensionale Golfbälle aussehen. In Bad Aibling soll der Bundesnachrichtendienst (BND) als deutscher Auslandsnachrichtendienst mit 13 verdeckten Antennen Satellitensignale aus aller Welt abfangen.
Während der BND im Auftrag der Bundesregierung die wirtschaftliche, politische und militärische Auslandsaufklärung bündelt, sollen in Bad Aibling noch Abhörspezialisten der National Security Agency (NSA) arbeiten, dem größten Auslandsgeheimdienst der Vereinigten Staaten. Die NSA ist für die weltweite Überwachung, Entschlüsselung und Auswertung elektronischer Kommunikation zuständig, in Deutschland bis 2013 für Wirtschaftsspionage und die Überwachung politischer Führungspersonen. Seit Jahren schon sollen BND und NSA mit Wissen der Bundesregierung Informationen teilen. Für Michael Poschmann, Initiator der Demonstration, ist die Abhörstation in Bad Aibling sogar eine der wichtigsten Zentralen der Zusammenarbeit.
Der hiesige Protestzug gehörte zu einer ganzen Reihe von Demonstrationen, die zeitgleich in Berlin, Griesheim, Hannover, Heidelberg, Köln, Leipzig, Lübeck und Witten stattfanden. Alle standen unter dem Motto „Stop Watching Us“, veranstaltet von der gleichnamigen Initiative. Diese verbindet lose und dezentral verschiedene Organisationen und Parteien, die sich gegen die Überwachung der Gesellschaft wenden. Gemeinsam fordern sie von der Bundesregierung unter anderem eine lückenlose Aufklärung und eine juristische Aufarbeitung der NSA-Affäre. Auch in Bad Aibling wurde die Demonstration von einem breiten Bündnis organisiert, das von der Piratenpartei und Bündnis 90/DIE GRÜNEN über ÖDP, SPD und die Partei DIE LINKE bis hin zu Attac Rosenheim reicht.
Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht.
Dr. Angela Merkel, MdB (CDU), Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, 24. Oktober 2013
Angestoßen durch den Whistleblower und ehemaligen US-Agenten Edward Snowden wächst in Deutschland seit der Aufdeckung der globalen Überwachungs- und Spionagetätigkeiten die Kritik an maß- und anlasslosen Abhörmaßnahmen. Der Vorwurf: Indem eine parlamentarische und richterliche Kontrolle des Abhörens praktisch nicht stattfinde, werden elementare Grundrechte verletzt. Die Forderung an die Bundesregierung lautet daher: lückenlose Aufklärung und juristische Aufarbeitung der Vorgänge sowie eine Gesetzesreform, die die Grundrechte der Bürger vor inländischen und ausländischen Diensten schütze.
„Wir sind heute hier, um einen Aufschrei los zu lassen“, erklärte denn auch Claudia Stamm und verlangte, „alles rund um die NSA-Affäre klar und deutlich den USA gegenüber zu benennen“. Die bayerische Landtagsabgeordnete beklagte, die Bundesregierungen verschleppten die Aufklärung des Geheimdienstskandals. Die Bündnisgrünen setzten sich deshalb für eine umfassende Aufklärung der Vorgänge ein und forderten für den in Russland befindlichen Snowden Asyl in Deutschland. Stamm betonte, „das hat nichts mit Antiamerikanismus zu tun“.
„NSA-Skandal“ und „BND-Skandal“
„Bespitzelung ist das, was wir alle nicht wollen“, unterstrich die SPD-Politikerin und Rechtsanwältin Adelheid Rupp in ihrer Rede. Sie sieht nicht nur einen „NSA-Skandal“, sondern ebenfalls einen „ganz massiven BND-Skandal und damit einen Skandal dieser Bundesregierung und des Bundestags, die unfähig sind, diesem Verhalten Einhalt zu gebieten“. Gleichlautend äußerte sich Florian Ritter, Sprecher der SPD-Landtagsfraktion für Datenschutz und Netzpolitik. Mit Blick auf die „Schnüffeleien“ der NSA verlangte Ritter, „Verstrickungen“, „Mitwisserschaft“ und „Mittäterschaft“ des BND zu untersuchen. Konsequenzen und Gesetzesänderungen müssten folgen.
Katharina Nocun, Campaignerin bei „campact“ mit den Schwerpunkten Bürgerrechte, Mitbestimmung und Netzpolitik, verwahrte sich entschieden gegen die anstehende Überwachung Sozialer Netzwerke: „Das ist nicht nur dreist, das ist obszön.“ Eine Regierung, die 80 Millionen Bundesbürger als potenzielle Gefährdung einstufte und „Gesinnungsdatenbanken“ förderte, wünschte sich Nocun abgewählt.
Nicole Britz, Landesvorsitzende der Piratenpartei Bayern, warnte schließlich davor, sich an zunehmende Überwachung zu gewöhnen: „Vielleicht werden Sie eines Morgens aufwachen und feststellen, dass es zu spät ist, denn Freiheit stirbt in kleinen Stücken.“ ✻
Erstveröffentlichung
Print: Rosenheimer blick, Inntaler blick, Mangfalltaler blick, Wasserburger blick, 27. Jg., Nr. 31/2014, Samstag, 2. August 2014, S. 7, Kolumne „Lokales“ [67/3/1/1; ein Foto].
Online: ⤉ blick-punkt.com, Montag, 28. Juli 2014; ⤉ E-Paper Rosenheimer blick, ⤉ E-Paper Inntaler blick, ⤉ E-Paper Mangfalltaler blick, ⤉ E-Paper Wasserburger blick, Samstag, 2. August 2014; ⤉ flaschenpost.piratenpartei.de, Dienstag, 29. Juli 2014. Stand: Neujahr, 1. Januar 2025.