Nach TTIP kommt TiSA
„Hire and fire“ bald alltäglich?

Brüssel — Hinter verschlossenen Türen verhandeln derzeit unter Führung der Europäischen Union, der USA und Australien 23 Staa­ten der Welthandelsorganisation über die weit­ge­hen­de Li­be­ra­li­sie­rung des Dienst­leis­tungs­sek­tors. An den Ge­heim­ver­hand­lun­gen neh­men un­ter an­de­rem Chile, Israel, Japan, Kanada, Neuseeland, Norwegen, die Schweiz und die Türkei teil. Im Er­geb­nis soll TiSA, das „Trade in Services Agreement“, „Han­dels­hemm­nis­se“ be­sei­ti­gen. Was die na­tio­na­len Märk­te für aus­län­di­sche In­ves­to­ren öff­nen soll, hat weit­rei­chen­de Fol­gen ins­be­son­de­re für re­gu­lier­te und sub­ven­tio­nier­te Dienst­leis­tun­gen, et­wa die kom­mu­na­le Ener­gie­ver­sor­gung oder die Ab­fall­ent­sor­gung. Kri­ti­ker wie die ober­baye­ri­sche SPD-Eu­ro­pa­ab­ge­ord­ne­te Maria Noichl se­hen des­halb TiSA als „ei­nen An­griff auf deut­sche Lebensart“.

TiSA soll das 1995 abgeschlossene „Generelle Abkommen zum Handel mit Dienst­leis­tun­gen“ ab­lö­sen, das ein Grund­la­gen­do­ku­ment der Welt­han­dels­or­ga­ni­sa­tion ist. In sei­ner Trag­wei­te ist TiSA mit TTIP ver­gleich­bar, dem eben­falls ak­tuell ge­heim ver­han­del­ten Frei­han­dels­ab­kom­men zur „Trans­at­lan­ti­schen Handels- und Investitionspartnerschaft“.

Vereinfacht gesagt soll TTIP „nicht-tarifäre Handelshemmnisse“ zwischen den Ver­ei­nig­ten Staa­ten und der Eu­ro­päi­schen Union ab­bauen, in­dem die Stan­dards bei­der­seits des At­lan­tiks ver­ein­heit­licht wer­den. Das be­trifft Auf­la­gen zu Qua­li­tät und Grenz­wer­ten, zu Da­ten­schutz, Li­zen­zen, Ver­pa­ckungs- und Kenn­zeich­nungs­pflich­ten, Stan­dards zum Ar­beits-, Ver­brau­cher- oder Um­welt­schutz, zur Ge­sund­heits­vor­sor­ge und zur Ver­ga­be von Auf­trä­gen der öf­fent­li­chen Hand, et­wa bei der Was­ser-, Ener­gie- und Verkehrsversorgung.

Kritiker befürchten ein breites Absinken der in Deutschland gewohnt hohen Standards. Bun­des­kanz­le­rin Dr. Angela Merkel (CDU) be­tont hin­ge­gen, TTIP wer­de den Ver­brau­cher­schutz stär­ken und für mehr Wohl­stand sor­gen. Die Ge­heim­nis­krä­me­rei dien­te nur da­zu, das bes­te Ver­hand­lungs­er­geb­nis zu er­zie­len. US-Ge­ne­ral­kon­sul Bill Moeller wie­de­rum ist sich schon „si­cher“, TTIP kom­me En­de 2015, wie er ge­gen­über skep­ti­schen Jour­na­lis­ten im PresseClub München (PCM) betonte.

Was tatsächlich zutreffen könn­te, ist schwer zu er­grün­den. Der Deut­sche Jour­na­lis­ten-Ver­band (DJV) hat die „Ge­heim­hal­tungs­po­li­tik der Ver­hand­lungs­de­le­ga­tio­nen“ in­zwi­schen scharf kri­ti­siert, denn Jour­na­lis­ten könn­ten so ih­ren In­for­ma­tions­auf­trag ge­gen­über der Öf­fent­lich­keit nicht erfüllen.

Inhalte des Dienstleistungsabkommens TiSA unklar

Wie bei TTIP sind auch bei TiSA belastbare Informationen rar. Ein­zel­ne Do­ku­men­te ver­deut­li­chen aber die Ziel­rich­tung. Die aus­tra­li­sche Re­gie­rung er­klärt on­line, dass die Ver­hand­lun­gen al­le Dienst­leis­tun­gen ein­be­zie­he mit dem Ziel, Han­dels­hemm­nis­se ab­zu­bauen, den Markt­ein­tritt zu er­leich­tern und neue Han­dels­re­geln zu ent­wi­ckeln. Be­son­de­res Au­gen­merk lie­ge auf Fi­nanz­dienst­leis­tun­gen, Dienst­leis­tun­gen im di­gi­ta­len Han­del, im öf­fent­li­chen Be­schaf­fungs­we­sen, im See- und Luft­trans­port, in der Be­ra­tung und in der Energieversorgung.

Laut der grünen EP-Abgeordneten Ska Keller könn­ten Staa­ten über ei­ne „Ne­ga­tiv­lis­te“ Dienst­leis­tungs­be­rei­che aus­schlie­ßen, die nicht li­be­ra­li­siert wer­den sol­len. De­ren Sta­tus wer­de mit­tels „Still­hal­te­klau­sel“ ein­ge­fro­ren, wo­bei ei­ne nach­träg­li­che Re­gu­lie­rung aus­ge­schlos­sen ist.

Es wird keinen Import aus Amerika von Chlorhühnchen geben.
Das habe ich schon jahrelang verhindert und das werde ich auch weiter verhindern.
Das ist gar keine Frage.
Dr. Angela Merkel, MdB (CDU), Bun­des­kanz­le­rin der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, 24. Mai 2014

Kritikern zufolge wird der Abbau von Handelshemmnissen bei TiSA zur Hin­ter­tür für al­ler­lei Nach­tei­le: Die mit TiSA ein­her­ge­hen­de De­re­gu­lie­rung und Kom­mer­zia­li­sie­rung wer­de die be­trof­fe­nen Dienst­leis­tun­gen in­ter­na­tio­na­ler Kon­kur­renz aus­set­zen, be­ste­hen­de Re­ge­lun­gen und Sub­ven­tio­nen als Markt­ein­tritts­bar­rie­ren be­grei­fen und schlei­fen. Die na­tio­na­len po­li­ti­schen Hand­lungs­spiel­räu­me wür­den be­grenzt, die Re­kom­mu­na­li­sie­rung von Dienst­leis­tun­gen er­schwert. Dienst­leis­tun­gen in öf­fent­li­cher Hand, die ei­ner grund­le­gen­den so­zia­len Da­seins­vor­sor­ge dien­ten und nicht ge­winn­orien­tiert seien, wä­ren gefährdet.

So könnten etwa die Kontrollstandards im US-amerikanischen Finanzsektor ge­nau­so als Han­dels­hemm­nis aus­ge­legt wer­den wie der Ener­gie­mix in der Ener­gie­wirt­schaft. Oben­drein könn­te der in­ter­na­tio­na­le Aus­tausch von Ar­beits­kräf­ten zu Lohn­dum­ping füh­ren, denn In­ves­to­ren sol­len ih­re ei­ge­nen Ar­beits­kräf­te mit­brin­gen dür­fen, um ih­re Dienst­leis­tung kos­ten­ef­fi­zient er­brin­gen zu kön­nen. Bis zum ame­ri­ka­ni­schen „Heuern und Feuern“ wä­re es dann nur noch ein klei­ner Schritt. Al­ler­dings hat die so­zial­de­mo­kra­ti­sche EP-Ab­ge­ord­ne­te Maria Noichl „gro­ßes Ver­trauen“, dass das Eu­ro­päi­sche Par­la­ment sei­ne Kon­troll­funk­tion wahr­neh­men und ein sol­ches Ab­kom­men ab­leh­nen wird. 


Erstveröffentlichung

Print: Ro­sen­hei­mer blick, Inn­ta­ler blick, Mang­fall­ta­ler blick, Was­ser­bur­ger blick, 27. Jg., Nr. 32/2014, Sams­tag, 9. Au­gust 2014, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ [170/3/2/8].
Online: ⤉ blick-punkt.com, Don­ners­tag, 7. Au­gust 2014; ⤉ E-Paper Ro­sen­hei­mer blick, ⤉ E-Paper Inn­ta­ler blick, ⤉ E-Paper Mang­fall­ta­ler blick, ⤉ E-Paper Was­ser­bur­ger blick, Sams­tag, 9. Au­gust 2014. Stand: Neu­jahr, 1. Ja­nu­ar 2024.
 

Dr. Olaf Konstantin Krueger M.A.

Digitaljournalist – Digitalpolitiker