Zugunglück Bad Aibling
Narrath: „Der Ernstfall ist immer anders“

Bad Aibling — „Egal, wo Du im Ein­satz warst, Du hast ge­wusst, Du bist an der rich­ti­gen Stelle“, schil­dert Dominik Narrath ein­drucks­voll sei­nen Ein­satz am Tag des Zugunglücks. „Je­der ein­zel­ne Hel­fer gab sein Bes­tes, um die­sen Ein­satz zu meis­tern – es war ein un­be­schreib­li­ches Zu­sam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühl.“

Der 25-jährige ehrenamtliche Sanitäter beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) ar­bei­tet in der Be­reit­schaft Ro­sen­heim. Sei­ne Schnell­ein­satz­grup­pe wird mit rea­li­täts­na­hen Übun­gen re­gel­mä­ßig auf Groß­scha­dens­er­eig­nis­se mit ei­nem „Mas­sen­an­fall von Ver­letz­ten (MANV)“ vor­be­rei­tet. Da­durch konn­ten die ein­ge­setz­ten Kräf­te auch in die­ser Si­tua­tion schnell und ef­fi­zient hel­fen. „Der Real­ein­satz ist trotz­dem noch­mal et­was an­de­res – er ver­langt Dir als Hel­fer al­les ab!“, be­tont er.

„Das tatsächliche Ausmaß konnte man bei der Erst­mel­dung noch nicht ab­schät­zen“, sagt Dominik Narrath, denn die­ser Ein­satz war außer­ge­wöhn­lich: Schon auf der Hin­fahrt wur­de das Un­glück über Funk von MANV‍1 auf MANV‍2 hoch ge­stuft, wur­den also mehr Ein­hei­ten hin­zu­ge­zo­gen. „Da­durch weißt Du, es ist ernst.“ Rund drei­ßig Mi­nu­ten nach dem Zu­sam­men­prall der Pend­ler­zü­ge sah Dominik bei sei­ner frü­hen An­kunft um 7.25 Uhr in der Nä­he des Un­fall­or­tes an der Staats­straße Pul­la­cher Krei­sel/Rosen­hei­mer Straße nur noch Blau­lich­ter. „Die­se Bil­der blei­ben Dir im Gedächtnis.“

Die Rettung der Verletzten war zu die­sem Zeit­punkt schon in vol­lem Gan­ge. Dominik wur­de un­ver­züg­lich mit ei­ner Kol­le­gin und ei­ner wei­te­ren Fahr­zeug­be­sat­zung zur Feuer­wehr in Kolbermoor ab­kom­man­diert, ver­sorg­te zu­sam­men mit wei­te­ren Mit­glie­dern der Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen in den fol­gen­den zwei Stun­den pro­fes­sio­nell rund ein Dut­zend leicht und mit­tel­schwer Ver­letz­te, die mit Bus­sen ge­bracht wur­den. „Na­he­zu al­le von ih­nen stan­den unter Schock.“ Doch der Ret­tungs­ein­satz war von Sei­ten al­ler be­tei­lig­ten Kräf­te so gut ko­or­di­niert, dass be­reits ab Mit­tag mit der Nach­ar­beit be­gon­nen wer­den konnte.

Zur Bewältigung der psychischen und physischen Be­las­tun­gen sol­cher Ein­sät­ze ist für die Kräf­te das per­sön­li­che Netz­werk ab­so­lut wich­tig, be­tont Dominik: die Fa­mi­lie, der ge­fes­tig­te Freun­des­kreis, die Kol­le­gen. Das BRK bie­tet hier für die An­ge­hö­ri­gen der Opfer ge­nau­so wie für die Hel­fer Hil­fe an. „Das BRK ist für mich da­bei wie eine zwei­te Fa­mi­lie“, sagt Dominik.

Im Polizeipräsidium Oberbayern Süd war nach dem Un­glück ein Bür­ger­te­le­fon ein­ge­rich­tet wor­den. Fast 1.000 An­ru­fe zähl­ten die Be­am­ten. Die Kri­mi­nal­po­li­zei Rosenheim kann weiter unter 0 80 31/20 00 er­reicht wer­den. Ver­schie­de­ne Be­hör­den ar­bei­ten un­ter der Sach­lei­tung der Staats­an­walt­schaft Traunstein mit Hoch­druck an der Klä­rung des Un­glücks. Sach­ver­stän­di­ge des Ei­sen­bahn-Bun­des­amts (EBA) wer­ten die si­cher­ge­stell­ten Black­boxes aus. Im Po­li­zei­prä­si­dium Ober­bayern Süd sind etwa 120 Po­li­zei­be­amte in den Ein­satz ein­ge­bun­den, da­von al­lein etwa 50 Be­amte im Be­reich der kri­mi­nal­po­li­zei­li­chen Er­mitt­lun­gen. Dominik re­sü­miert, solch ein Er­eig­nis „er­det“ in be­son­de­rem Maße: „Die Aus­nah­me­si­tua­tion, die Ein­zel­schick­sa­le, die Ka­me­rad­schaft – sie las­sen die All­tags­sor­gen klein erscheinen.“ 


Erstveröffentlichung

Print: Ro­sen­hei­mer blick, Inn­ta­ler blick, Mang­fall­ta­ler blick, Was­ser­bur­ger blick, 29. Jg., Nr. 6/2016, Sams­tag, 13. Fe­bru­ar 2016, S. 2, Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ [73/3/1/1; ein Fo­to].
Online: ⭱ blick-punkt.com, Don­ners­tag, 11. Fe­bru­ar 2016; ⭱ E-Paper Ro­sen­hei­mer blick, ⭱ E-Paper Inn­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Mang­fall­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Was­ser­bur­ger blick, Sams­tag, 13. Fe­bru­ar 2016. Stand: Neu­jahr, 1. Ja­nu­ar 2024.
 

Dr. Olaf Konstantin Krueger M.A.

Digitaljournalist – Digitalpolitiker