Tiefes Mitgefühl mit den Unfallopfern
Seehofer: „Bayern trauert“

Bad Aibling — Elf Men­schen star­ben, 82 wur­den ver­letzt, da­r­un­ter 20 schwer: Nahe Bad Aib­ling stie­ßen Diens­tag­früh wäh­rend des Be­rufs­ver­kehrs zwei Me­ri­dian-Nah­ver­kehrs­zü­ge der Baye­ri­schen Ober­land­bahn mit ho­hem Tempo fron­tal zu­sam­men. Der ein­glei­si­ge Ab­schnitt zwi­schen Holz­kir­chen und Ro­sen­heim war nach dem Un­fall von Trüm­mern über­sät, die Wag­gons in­ein­an­der ver­keilt. Nur Mi­nu­ten nach der Ka­tas­tro­phe tra­fen die ers­ten Hel­fer im schwer zu­gäng­li­chen, be­wal­de­ten Kur­ven­be­reich an der Mang­fall ein. 700 wur­den es schließ­lich. Die Ber­gungs­ar­bei­ten und po­li­zei­li­chen Er­mitt­lun­gen zur Un­fall­ur­sa­che dauern an.

Die To­des­op­fer des schlimms­ten Zug­un­glücks in Bayern seit 40 Jah­ren sind elf Män­ner im Al­ter zwi­schen 24 und 60 Jah­ren, da­von neun aus den Krei­sen Ro­sen­heim und Traun­stein, ei­ner aus dem Land­kreis Mün­chen und ei­ner aus dem Land­kreis Spree-Neiße in Bran­den­burg. Un­ter ih­nen sind auch die bei­den Lok­füh­rer so­wie ein Lehr-Lok­füh­rer. Die Über­le­ben­den sol­cher Un­fäl­le ha­ben oft schwe­re Schädel-Hirn-Trau­ma­ta, in­ne­re Ver­let­zun­gen und Kno­chen­brü­che.

Auf der ein­glei­si­gen Stre­cke an der Hang­kan­te zur Mang­fall ge­stal­te­ten sich die Ber­gungs­ar­bei­ten schwie­rig. Die Op­fer muss­ten per Hub­schrau­ber in die Kran­ken­häu­ser ge­bracht wer­den. Zwei Spe­zial­krä­ne der Deut­schen Bahn aus Ful­da und Leip­zig wur­den zur Ber­gung der Zug­wracks ein­ge­setzt. Die Stre­cke bleibt vor­erst ge­sperrt, die Fahr­bahn muss re­pa­riert und die Ober­lei­tung wie­der mon­tiert wer­den. Ro­sen­heims Land­rat Wolfgang Berthaler hat den Ret­tungs­kräf­ten be­reits „außer­or­dent­lich herz­lich“ ge­dankt.

An­teil­nah­me und Trauer

Aus Res­pekt vor den Op­fern sag­te Ro­sen­heim die Fa­schings­feiern ab: „Aus ei­nem Tag der Un­be­schwert­heit ist ein Tag tie­fer Trauer ge­wor­den“, er­klär­te Ober­bür­ger­meis­te­rin Gabriele Bauer. Die Par­tei­en ver­zich­te­ten auf ihre Ver­an­stal­tun­gen zum po­li­ti­schen Ascher­mitt­woch, bei dem tra­di­tio­nell in Bier­zelt­at­mos­phä­re die po­li­ti­schen Geg­ner mit mar­ki­gen Wor­ten ins Vi­sier ge­nom­men wer­den. Noch am Fa­schings­diens­tag spen­de­ten hun­der­te Men­schen spon­tan Blut. An der Ma­rien­säu­le vor dem Rat­haus von Bad Aib­ling wur­den Blu­men nie­der­ge­legt und dut­zen­de Ker­zen an­ge­zün­det. Im Rat­haus lie­gen Kon­do­lenz­bü­cher aus.

„Das Land trauert und ist er­schüt­tert“, sag­te Mi­nis­ter­prä­si­dent Horst Seehofer in Bad Aib­ling. Ge­mein­sam mit Bahn­chef Rü­di­ger Gru­be, Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­ter Alexander Dobrindt, Bayerns In­nen­mi­nis­ter Joachim Herrmann, Wirt­schafts­mi­nis­te­rin Ilse Aigner so­wie zahl­rei­chen Ver­tre­tern an­de­rer Par­teien hat­te sich See­ho­fer ein ei­ge­nes Bild der La­ge am Un­glücks­ort ge­macht, mit den Ret­tungs­kräf­ten von Feuer­wehr, Ro­tem Kreuz, Berg­wacht, Deut­scher Le­bens­ret­tungs­ge­sell­schaft so­wie der Po­li­zei ver­trau­lich ge­spro­chen, zu­dem ge­be­tet. Die Er­mitt­lun­gen müss­ten zei­gen, so See­ho­fer, wel­che Kon­se­quen­zen ge­zo­gen wer­den müs­sen, „um sol­che Tra­gö­dien noch ein Stück un­wahr­schein­li­cher zu ma­chen“.

Ur­sa­che wei­ter­hin un­klar

Herr­mann zu­fol­ge ar­bei­tet eine 50-köp­fi­ge Son­der­kom­mis­sion der Kri­mi­nal­po­li­zei an der Auf­klä­rung. Ex­per­ten der Ei­sen­bahn-Un­fall­un­ter­su­chungs­stel­le des Bun­des wa­ren am Tat­ort. Wei­te­re Be­am­te er­mit­tel­ten im Stell­werk von Bad Aib­ling, wer­te­ten zu­dem von den drei Black­boxes die zwei ge­fun­de­nen aus. Die­se elek­tro­ni­schen Fahr­ten­schrei­ber in den Trieb­fahr­zeu­gen mo­der­ner Zü­ge zeich­nen Ge­schwin­dig­keit, Zeit, Weg­stre­cke, die Be­feh­le des Lok­füh­rers und die Ein­grif­fe des au­to­ma­ti­schen Zug­steue­rungs­sys­tems auf.

Bis­her gibt es laut Do­brindt kei­ne Hin­wei­se auf ei­nen tech­ni­schen Feh­ler oder Feh­ler bei der Sig­nal­be­die­nung durch ei­nen der Lok­füh­rer. Po­li­zei­spre­cher Jürgen Thalmeier be­geg­ne­te zu­gleich vor­schnel­len Mel­dun­gen, wo­nach In­di­zien auf mensch­li­ches Ver­sa­gen hin­deu­te­ten: Zwar kön­ne ein Feh­ler oder Ver­ge­hen des Dienst­ha­ben­den nicht aus­ge­schlos­sen wer­den, doch aus der Be­fra­gung des Fahr­dienst­lei­ters hat­te sich „noch kein drin­gen­der Tat­ver­dacht“ er­ge­ben. Die Er­mitt­lun­gen stün­den erst am An­fang.

Bad Aib­ling wird in ei­nem öku­me­ni­schen Got­tes­dienst der Op­fer ge­den­ken, hat Bür­ger­meis­ter Felix Schwaller an­ge­kün­digt. Der Baye­ri­sche Land­tag be­fasst sich am Don­ners­tag mit der Zug­ka­tas­tro­phe. 


Erstveröffentlichung

Print: Ro­sen­hei­mer blick, Inn­ta­ler blick, Mang­fall­ta­ler blick, Was­ser­bur­ger blick, 29. Jg., Nr. 6/2016, Sams­tag, 13. Fe­bru­ar 2016, S. 1f., Ko­lum­ne „Leit­ar­ti­kel“ [82/3/–/6].
Online: ⭱ blick-punkt.com, Don­ners­tag, 11. Fe­bru­ar 2016; ⭱ E-Paper Ro­sen­hei­mer blick, ⭱ E-Paper Inn­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Mang­fall­ta­ler blick, ⭱ E-Paper Was­ser­bur­ger blick, Sams­tag, 13. Fe­bru­ar 2016. Stand: Neu­jahr, 1. Ja­nu­ar 2020.


Nachtrag 16. Februar 2016

Das Zug­un­glück geht nach An­ga­ben der Er­mitt­ler auf mensch­li­ches Ver­sa­gen zu­rück. Laut dem Lei­ten­den Ober­staats­an­walt Wolfgang Giese ist ge­gen den 39-jäh­ri­gen Fahr­dienst­lei­ter, der für bei­de Zü­ge zu­stän­dig war, ein Er­mitt­lungs­ver­fah­ren we­gen fahr­läs­si­ger Tö­tung, Kör­per­ver­let­zung und ei­nes ge­fähr­li­chen Ein­griffs in den Bahn­ver­kehr ein­ge­lei­tet wor­den. 
 

Dr. Olaf Konstantin Krueger M.A.

Digitaljournalist – Digitalpolitiker