Digitalpolitik: konsolidiert – proaktiv – sozial
Krueger: „Grundrechte verteidigen – Digitalisierung humanisieren“
Kolbermoor — Die oberbayerischen PIRATEN entern zwölf Wochen vor der Wahl zum 20. Deutschen Bundestag den Mareissaal in Kolbermoor: Die Piratenpartei Deutschland veranstaltet den Bezirksparteitag Oberbayern 2021.1 und den Kreisparteitag Rosenheim 2021.1, wählt ihre Vorstände neu und bereitet den Bundestagswahlkampf vor. In meiner Funktion als Politischer Geschäftsführer in Rosenheim erläutere ich in einem Grußwort an die oberbayerischen Mitglieder und Funktionsträger die in der Corona-Krise eingeleiteten Grundrechtseinschränkungen, schildere den punktuell forcierten Digitalisierungsschub und appelliere an die digital-kompetente Zivilgesellschaft, autoritären Bestrebungen entgegenzutreten sowie weiter für eine konsolidierte, proaktive und soziale Digitalpolitik einzustehen. Der Titel: „Digitalpolitik: konsolidiert – proaktiv – sozial. Grundrechte verteidigen – Digitalisierung humanisieren“.
Wegweiser
- Einführung
- Corona-Krise bewältigen – Grundrechte verteidigen
- Corona-Krise als Beschleuniger der digitalen Transformation
- Digitalisierung der Kommunen tranig
- Werteset popularisieren – Digitalisierung humanisieren
1. Einführung
Ahoi PIRATEN, werte Parteifreunde, sehr geehrte Gäste, geschätzte Medienvertreter! Der Kreisverband Stadt und Landkreis Rosenheim der Piratenpartei Deutschland freut sich, Sie nach 2014 und 2019 erneut in Kolbermoor begrüßen zu können – diesmal zum ⭲ Bezirksparteitag Oberbayern 2021.1 und anschließend zum Kreisparteitag Rosenheim 2021.1. Im Nachgang zum hybriden Bundesparteitag finden diese beiden Parteitage wieder analog statt. Dabei sind die behördlich vorgeschriebenen Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des ⭲ neuartigen Coronavirus’ (SARS-CoV-2) implementiert. Das regionale Infektionsgeschehen ist laut Gesundheitsamt Rosenheim seit einem Monat rückläufig: in der kreisfreien Stadt seit 6. Mai, im Landkreis Rosenheim seit 11. Mai. Die 7-Tage-Inzidenz (7-TI) von 50 wird gemäß Statistik des Robert Koch-Instituts (RKI) in der Stadt seit 24. Mai und im Landkreis seit 26. Mai unterschritten. Einstellig sind die Werte der 7-TI in der Stadt seit 18. Juni, im Landkreis seit 24. Juni.
Zu den Parteitagen: Wir diskutieren erstens die Tätigkeits- und Rechenschaftsberichte 2019–2021 der amtierenden Vorstände, befinden zweitens im Blick zurück über die Parteiarbeit während der Corona-Krise 2020/2021 und wählen drittens mit Blick voraus den 15. Bezirksvorstand und den achten Kreisvorstand für das Wahljahr 2021 und die Amtsperioden 2021/2022. Ein Dank geht an die Generalsekretäre der Piratenpartei, an die Netzwerker in der PiratenIT und an die Redakteure der PIRATEN-Publikation „Flaschenpost“. Zu den aktuellen politischen Rahmenbedingungen ein paar einleitende Worte.
2. Corona-Krise bewältigen – Grundrechte verteidigen
Der 3. Juli 2021 ist ein bedeutsames Datum für die Gesamtpartei: Der australische Journalist und Mitbegründer von Wikileaks, Julian Paul Assange, begeht seinen 50. Geburtstag. Neben dem US-amerikanischen Whistleblower und ehemaligen CIA-Mitarbeiter Edward Snowden ist Assange wegen seiner Enthüllungen quasi eine digitalpolitische Ikone. Aus dem Einsatz beider für Meinungsfreiheit, Transparenz und Netzsicherheit speist sich die Abwehrhaltung der digital-kompetenten Zivilgesellschaft gegenüber geheimdienstlichen Überwachungs- und Spionagepraktiken sowie politischen Zensurbestrebungen im Internet. In diesem Sinne betont denn auch das Grundsatzprogramm der Piratenpartei Deutschland Gewaltenteilung und Bürgerrechte, gesellschaftliche Teilhabe und sichere Existenz, informationelle Selbstbestimmung und Informationsfreiheit, ethische Neutralität und Ideologiefreiheit der Wissenschaft sowie den Whistleblowerschutz.
Doch was noch abwegig erschien in den hitzig geführten Debatten
- um das bundesdeutsche „Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG)“ 2017,
- um das „Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei (⭲ Polizeiaufgabengesetz – PAG“) 2018 und
- um die Richtlinie (EU) 2019/790 (⭲ Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt),
das erfolgte in der Corona-Krise 2020 bemerkenswert widerstandsarm.
Hauptsächlich gestützt auf umstrittene PCR-Tests und administrativ festgelegte Inzidenzwerte hat die Exekutive auf bislang beispiellose Weise elementare Bürgerrechte über Novellen des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) eingeschränkt. Überdies rührt das mittels § 28b IfSG automatisierte Durchregieren des Bundes in die Kommunen an den Grundfesten des Föderalismus. Ohne Berücksichtigung des Parlamentsvorbehalts beratschlagt und beschließt ein verfassungsrechtlich unbekanntes Gremium aus Ministerpräsidenten und Bundeskanzlerin das stets alternativlose Vorgehen. Die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat ist aufgrund der Mehrheitsverhältnisse Formsache, die Haltung des Bundespräsidenten eloquent. Und obwohl die am 16. April beschlossene „Bundes-Notbremse“ – konkret: das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite – bis zum 30. Juni befristet war, plädieren sowohl der Städte- und Gemeindebund als auch der Städtetag für deren Reaktivierung, sobald die Inzidenzen erneut steigen. Nur der Landkreistag bezweifelt die Tauglichkeit eines Bundesgesetzes als passgenaue Lösung für höchst unterschiedliche Situationen vor Ort.
Während der Autoritarismus um sich greift, sich Notstandsgesetze verbreiten
und wir unsere Rechte opfern, berauben wir uns auch unserer Möglichkeit,
das Abrutschen in eine weniger liberale und weniger freie Welt aufzuhalten.
Edward Joseph „Ed“ Snowden, US-amerikanischer Whistleblower und ehemaliger CIA-Mitarbeiter,
23. März 2021 (CPH:DOX)
Im Zentrum der politischen, juristischen und wirtschaftlichen Debatte steht damit weiterhin die Frage, inwieweit die staatliche Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit in andere ⭲ Grundrechte eingreifen kann, wenn die Freiheitsrechte doch in allen Lebenslagen nur geringe Beschränkungen zulassen.
Fakt ist: War das hoheitliche Corona-Krisenmanagement zunächst von individuellen Eingriffsmaßnahmen wie ⭲ Hygiene- und Abstandsvorschriften bestimmt, so lassen die allgemeinen Beschränkungen seit dem ersten Lockdown ⭲ kaum einen grundrechtsgeschützten Bereich unangetastet. So sind folgende im Grundgesetz (GG) festgeschriebene Grundrechte betroffen oder beschränkt:
- die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt zur Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG),
- das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG),
- das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG),
- die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG),
- die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 2 GG),
- die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG),
- der Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG),
- die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG),
- die Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG),
- die Freizügigkeit (Art. 11 GG),
- die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) sowie
- die Gewährleistung von Eigentum (Art. 14 GG).
Während nun Juristen darüber streiten, inwiefern diese tiefgreifenden Einschränkungen noch im Einklang mit dem Übermaßverbot (Art. 20 Abs. 3 GG) stehen und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) keine einzige Hauptsacheentscheidung bezüglich der Lockdowns getroffen hat, haben die bislang 15 Monate der Freiheitsbeschränkungen schon zweierlei bewirkt: einerseits irreversible (psycho-)soziale, kulturelle und wirtschaftliche ⭲ „Kollateralschäden“, andererseits einen absurden ⭲ Rechtfertigungsdruck bei der Wahrnehmung grundrechtlich geschützter Freiheiten.
So vermischt sich gerade in der ⭲ Impf-Frage die Sphäre des Privaten mit jener des Öffentlichen. Ein Beispiel dafür ist der medienwirksame Disput in dieser Woche zwischen Ministerpräsident Dr. Markus Söder (CSU) und Hubert Aiwanger (Freie Wähler), Staatsminister für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie. Vor dem Hintergrund, dass nahezu alle Kabinettsmitglieder außer ihm geimpft seien, hat Aiwanger verdeutlicht, die Impfung sei eine persönliche Entscheidung und öffentlicher Druck unangemessen.
Dabei sollten doch vielmehr die Grundrechtseingriffe mit zunehmender Dauer und besserem wissenschaftlichen Erkenntnisstand über die Begründungen der „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ deutlich höheren Rechtfertigungsanforderungen ausgesetzt sein. Stattdessen befinden sich die politischen Hauptakteure angesichts immer neuer Virus-Varianten in einem panischen Überbietungswettbewerb bei Forderungen nach drastischeren Eingriffen in die Freiheitsrechte. So meinte noch letzte Woche Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/DIE GRÜNEN), harten Eingriffen in die Bürgerfreiheiten und weiteren Grundgesetzänderungen das Wort reden zu können. Kretschmanns evident verfassungswidriger Vorstoß für ein Regimewechsel ist zwar kritisiert worden und der Bündnisgrüne danach zurückgerudert, doch das Beispiel zeigt, wie wichtig das Eintreten für die Bürgerrechte mittlerweile ist.
Kretschmann aber vorzuwerfen, er schmälere das Vertrauen in die Corona-Maßnahmen, ist wohlfeil ob der Reihe bundespolitisch bedeutsamer Skandale und Fehlentscheidungen im bisherigen Krisenmanagement. Einige Beispiele:
- „Hartz IV-Skandal“ – Tafel-Schließungen, Hauptzeitpunkt April 2020,
- Betrugsfälle bei Corona-Subventionen, Mai 2020,
- „Corona-Panne“ in Bayern – Rücktrittsangebot von Melanie Huml, MdL (CSU), Bayerische Staatsministerin für Gesundheit und Pflege im Kabinett Söder II, an Ministerpräsident Dr. Markus Söder, MdL (CSU), wegen missglückter Corona-Tests von Reiserückkehrern, August 2020,
- Ungenauigkeit von PCR-Tests, Oktober 2020,
- Auszahlungsverzögerung bei Corona-Hilfen, Dezember 2020,
- „Candy Crush-Eklat“ – Clubhouse-Statement von Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, MdL (DIE LINKE), Januar 2021,
- „Impfstoff-Ärger“ – Logistikdesaster, März 2021,
- „Corona-Maskensumpf“ – hohe Provisionen für Geschäfte mit Corona-Schutzmasken, März 2021,
- Konzeptlosigkeit für den SORMAS-Einsatz – Roll-Out der Software für Gesundheitsämter, März 2021,
- „Datenschutz-Skandal bei Corona-Tests“, April 2021,
- „Abrechnungsskandal in Corona-Testzentren“, Juni 2021, und
- „Intensivbettenskandal“ – fußend auf einem Bericht des Bundesrechnungshofs (BRH), Juni 2021.
Kurz: ⭲ Gesundheitsschutz rechtfertigt nicht jedweden Freiheitseingriff, wie der ehemalige Präsident des BVerfG Prof. em. Dr. Dres. h.c. Hans-Jürgen Papier betont. Freiheitsbeschränkungen sind nur so weit und solange zulässig, wie sie verhältnismäßig sind, das heißt, geeignet, erforderlich und angemessen.
3. Corona-Krise als Beschleuniger der digitalen Transformation
Fakt ist: Lockdowns verursachen mannigfache ⭲ „Kollateralschäden“. Allein die durch Abstands- und Hygieneregeln, Maskenpflicht, Social Distancing-Gebot, Quarantäne-Maßnahmen, Ausgangssperren und Reiseverbote bewirkten Verwerfungen wissenschaftlich zu analysieren böte Raum für eine Reihe interdisziplinärer Studien.
Zutreffend ist aber auch eine andere Beobachtung: Die Corona-Krise beschleunigt Automation, Roboterisierung und Digitalisierung. Sie ist Katalysator für die Durchsetzung vorhandener Informations- und Kommunikationstechnologien sowie von Konzepten wie Remote Working, ⭲ Homeoffice, Homeschooling und Online-Shopping.
Die Industrie-Roboter befinden sich in einer Pole-Position, wenn es darum geht,
die traditionelle Produktion mit ‚Digitalstrategien’ zu verbinden.
Dr. Susanne Bieller, Generalsekretärin der International Federation of Robotics (IFR), 17. Februar 2021
Laut einer Studie von Bitkom Research im Auftrag der Initiative „Digital für alle“ sind jetzt digitale Technologien für 90 Prozent der repräsentativ Befragten nicht mehr wegzudenken. Ihnen wird in fast allen Lebensbereichen große Bedeutung beigemessen. Und gemäß einer in dieser Woche veröffentlichten Studie der DAK-Gesundheit wollen neun von zehn Homeoffice-Beschäftigte in Bayern auch nach dem Ende der gesetzlichen Pflicht mindestens ein Viertel ihrer Zeit zu Hause arbeiten. Beachtlich: Der Erhebung zufolge waren während der zweiten Welle rund 40 Prozent der Beschäftigten in Bayern im Homeoffice – „bei hoher Arbeitszufriedenheit und Produktivität“.
Vor diesem Hintergrund ist die dieswöchige Auseinandersetzung zwischen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) um eine Regulierung von Homeoffice und mobilem Arbeiten aus digitalpolitischer Sicht zwingend – unabhängig davon, ob am Ende tatsächlich ein Rechtsanspruch mit angemessenem Arbeitsschutz und zusätzlicher Mitbestimmung steht.
Die algorithmengesteuerte Aufmerksamkeitsökonomie im Netz
zementiert Teilöffentlichkeiten, befördert Hass und Desinformation
und polarisiert unsere Gesellschaften.
Dr. Wolfgang Schäuble, MdB (CDU), Präsident des Deutschen Bundestages, 10. Mai 2021 (dpa/A3E08D)
Womöglich ist die Digitalisierung aber auch Wegbereiter für Massenüberwachungs- und Scoring-Methoden wie sie bislang nur aus autoritären Kontexten bekannt sind. So hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) diese Woche die Studie „Zukunft von Wertvorstellungen der Menschen in unserem Land“ vorgestellt. Die Studie leitet auf der Grundlage von Wertvorstellungen sechs Szenarien für die 2030er-Jahre ab. Darunter ist ein „Bonus-System“, anhand dessen Staat und politische Institutionen bestimmte Ziele über Anreize zur Verhaltensänderung verwirklichen. Jedes Individuum wird eindeutig identifizierbar, seine Absichten prognostizierbar, seine Handlungen transparent.
Kurz: Ein digitales, partizipativ ausverhandeltes Punktesystem übernimmt eine zentrale politisch-gesellschaftliche Prognose- und Steuerungsfunktion. Über das Sammeln von Punkten – beispielsweise durch regelkonformes Verkehrsverhalten, Ehrenamt oder Organspende – steigt die soziale Anerkennung und Boni eröffnen Vorteile im Alltag – etwa verkürzte Wartezeiten für gewisse Studiengänge. Das gesellschaftliche Werteset wird homogenisiert. Die Studie ergänzt, dass die Corona-Krise „die Attraktivität von auf Big Data basierendem Autoritarismus“ zu steigern vermag.
Ein 2030 verwirklichtes „Bonus-System“ widerspricht allerdings sozialdigitalen Vorstellungen von einer humanen, pluralen, digital-kompetenten Zivilgesellschaft. Es begründet die Notwendigkeit, sich in den konfliktären Aushandlungsprozess über Werte und ihre Inhalte einzubringen, um den Weg in eine freiheitliche Zukunft zu ebnen. Denn: Die Digitalisierung ist der Würde des Menschen entsprechend zu gestalten.
4. Digitalisierung der Kommunen tranig
Unterdessen hat die Corona-Krise erst einmal die ⭲ Mängel der Digitalisierung vor Augen geführt. So haben neun von zehn Bundesbürger (88 Prozent) derzeit den Eindruck, die Politik verschleppt die Digitalisierung. 94 Prozent sehen „gravierende Defizite“. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) ist mit den Online-Dienstleistungen der Behörden unzufrieden. Das besagt der „Digitalisierungsmonitor 2021“, eine repräsentative Befragung des Meinungsforschungsinstituts forsa im Auftrag der FDP-Bundestagsfraktion.
Besonders unter Druck: ⭲ die Kommunen. In der Corona-Krise ist der herkömmliche Bürgerkontakt aus Infektionsschutzgründen auf ein Minimum reduziert worden. Im Eilverfahren eingeführt wurden beispielsweise Besuchersteuerung per Telefon oder E-Mail, ⭲ Homeoffice-Regelungen und Ratsitzungen per Videokonferenz.
Den Kommunalfinanzen droht Long COVID.
Dr. Friederike „Fritzi“ Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW Bankengruppe, 6. Mai 2021 (dpa/A317B3)
Fakt ist: Das „Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen (Onlinezugangsgesetz – OZG)“ verpflichtet Bund, Länder und Kommunen längst, ihre Verwaltungsleistungen bis zum 31. Dezember 2022 über Verwaltungsportale auch digital anzubieten. Prioritär umzusetzen sind von den knapp 6.000 Leistungen insgesamt 575. Außerdem unterstützt der Freistaat Bayern die Kommunen über die „Richtlinie zur Förderung der Bereitstellung von Online-Diensten im kommunalen Bereich (Förderrichtlinie digitales Rathaus – FöRdR)“: Bezirke, Landkreise, Städte und Gemeinden werden mit insgesamt 42,68 Millionen Euro gefördert.
Der ⭱ Bezirk Oberbayern hat überdies eine ⭱ „Zukunftsstrategie 2030+“ mit sieben „Handlungsfeldern“ entfaltet, darunter das der Digitalisierung. Hier sollen Arbeitsabläufe und Kommunikationswege innerhalb der Verwaltung durch Nutzung digitaler Technologien bürgerorientiert optimiert werden. Alle sinnvoll umstellbaren Leistungen des Bezirks sollen künftig digital zur Verfügung stehen, um Anliegen schnell und nutzungsfreundlich zu bearbeiten. Die Weiterentwicklung des E-Governments zeigt sich auch in dieser Region. Zwei Beispiele der letzten Tage:
Rosenheim. Die Stadtverwaltung erhält im Rahmen des FöRdR einen Formularserver. Das ⭲ Bayerische Staatsministerium für Digitales (StMD) fördert den Erwerb mit 20.000 Euro.
Mühldorf a.Inn. Das Landratsamt bietet in verschiedenen Fachbereichen kostenfreie virtuelle Sprechstunden an: vom Allgemeinen Sozialdienst über die Ausbildungsakquise bis hin zur Schwangerenberatung. Die Nutzung erfolgt nach Terminvereinbarung browserbasiert über das Webkonferenzsystem BigBlueButton. Alle datenschutzrechtlichen Anforderungen der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) werden eingehalten.
Wer sich digital aufstellt, kann nicht nur Krisenzeiten besser überstehen,
sondern wird davon auch in einer Nach-Lockdown-Zeit profitieren.
Achim Berg, Präsident des Digitalverbands Bitkom, 5. Mai 2021 (dpa/A2EA71)
Trotzdem erfolgt die digitale Transformation mangels einmütiger Strategie nur in ⭲ Trippelschritten und obendrein noch widersprüchlich. Beispiel:
Eine Contact Tracing App wie die ⭲ Corona-Warn-App (CWA) des RKI, die der dezentralen Kontaktnachverfolgung dient, ist unter Beteiligung der PIRATEN programmiert worden und erfüllt hohe Datenschutzstandards. Sie ist inzwischen 28 Millionen Mal heruntergeladen worden und wird künftig auch den geplanten digitalen Impfnachweis anzeigen. Dennoch empfehlen Bundesländer wie Bayern, Hessen und Niedersachsen die privatwirtschaftliche Luca-App, bei der etliche Datenschützer, IT-Sicherheitsexperten und Wissenschaftler Bedenken äußern ob der zentralen Speicherung der Daten.
Wir sind in einem Epochenwechsel.
Dr. Angela Merkel, MdB (CDU), Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, 21. Juni 2021 (dpa/AC3FC0)
Kurz: Die Corona-Krise hat einen zusätzlichen, aber regelfreien Digitalisierungsschub bewirkt. Die Große Koalition hat zwar die meisten ihrer geplanten Digitalvorhaben umgesetzt, das Ergebnis ist dennoch ⭲ Flickwerk. Die administrative Aufteilung der Digitalkompetenzen auf diverse Ressorts erkennt nun selbst der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) als nicht sinnvoll an. Die Zeit ist überreif für eine ⭲ konsolidierte, proaktive und soziale Digitalpolitik, für ein eigenes ⭲ Digitalministerium auf Bundesebene.
5. Werteset popularisieren – Digitalisierung humanisieren
Corona-Krise, Grundrechtseinschränkungen, Digitalchaos: Die politischen Rahmenbedingungen für den Bezirksvorstand Oberbayern und den Kreisvorstand Rosenheim sind schwierig. Gleichwohl ist die Stabilität der Kernstrukturen auch in den vergangenen 15 Monaten der Corona-Krise ein Beleg für die Robustheit der Piratenpartei. Und die neuerliche Teilnahme der PIRATEN an der Bundestagswahl zeugt von der Wertbeständigkeit unserer internationalen digitalen Bürgerrechtsbewegung.
Im bevorstehenden hybriden Bundestagswahlkampf liegt der Schwerpunkt der Piratenpartei Deutschland gemäß der LimeSurvey vom 20. April auf den Freiheits- und Grundrechten im Kontext der Digitalisierung. Ausgangspunkt muss die vollständige Wiederherstellung der Grundrechte und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Handeln des Staates sein. Strategisches Ziel wird sein, die Flickschusterei bei der digitalen Transformation zu beenden und die Digitalisierung zu humanisieren. Dazu ist das Werteset einer konsolidierten, proaktiven und sozialen Digitalpolitik in den konfliktären Aushandlungsprozess einzubringen. Dies muss über starke Repräsentanz im öffentlichen wie im parlamentarischen Raum geschehen. Dafür wünsche ich den neuen Vorständen Kraft und Erfolg.
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