Kommunale Spitzenpolitiker begrüßen Behördenverlagerung und Hightech-Agenda
Bauer: „Stärkung des Wirtschaftsstandortes“
München / Rosenheim — Bayerns Verwaltung wird umgebaut und Rosenheim zum Zentrum von „Oberbayern Süd“. In den nächsten zehn Jahren sollen mehr als 3.000 Behördenarbeitsplätze aus der Landeshauptstadt München in meist strukturschwache ländliche Regionen des Freistaates verlagert werden. Vergleichbar der ersten großen Behördenverlagerung 2015 bezweckt Ministerpräsident Dr. Markus Söder mit seiner „Landesstrategie Bayern 2030“, den ländlichen Raum aufzuwerten und die Lage in der wachsenden Millionenmetropole München zu entspannen. Diese soll zudem achter Regierungsbezirk Bayerns werden. Die Regierung von Oberbayern wird dezentral aufgestellt: Von ihren 1.600 Mitarbeitern wechseln je 500 nach Ingolstadt und Rosenheim, 600 verbleiben in München. Im Rahmen einer „Hightech-Agenda“ ist zudem die Vergabe von über 13.200 neuen Studienplätzen außerhalb der Ballungszentren geplant. So erhält die Technische Hochschule Rosenheim 216 zusätzliche Studienplätze, Waldkraiburg weitere 42. Das Echo der hiesigen Spitzenpolitiker ist überwiegend positiv.
Wegweiser
- Konzept der Behördenverlagerung
- Kandidaten zwischen Hochgefühl und Bedenken
- Perspektive „Regierungsbezirk München“
Konzept der Behördenverlagerung
Ministerpräsident Dr. Markus Söder (CSU) hat die neuerliche Behördenverlagerung in einer Klausur der CSU-Landtagsfraktion im oberbayerischen Kloster Seeon vorgestellt. Die Umstrukturierung soll der unterschiedlichen Bevölkerungsentwicklung im Freistaat Rechnung tragen. Wie bei der von seinem Vorgänger und heutigen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) im Jahr 2015 gestarteten Behördenverlagerung soll kein Mitarbeiter gegen seinen Willen die Landeshauptstadt verlassen müssen. München mit seinen rund 1,5 Millionen Einwohnern ist bislang Teil des Regierungsbezirks Oberbayern und soll in den kommenden zehn Jahren eigenständig werden.
Gegliedert nach Regierungsbezirken, sieht das Konzept für Schwaben den Teilumzug des Bau- und Verkehrsministeriums mit 200 Mitarbeitern in die Metropole Augsburg vor. In Oberfranken sollen im Oberzentrum Hof ein Polizeibeschaffungsamt mit 300 Arbeitsplätzen neu entstehen und ins Mittelzentrum Kronach dauerhaft 400 Studienplätze und 70 Beschäftigte verlagert werden. In Unterfranken sollen das Schulungszentrum des Landesamtes für Gesundheit mit 100 Mitarbeitern im Oberzentrum Bad Kissingen angesiedelt und nach Schweinfurt 300 aus dem Finanzamt München verlagert werden. In der Oberpfalz soll der Raum Weiden für 300 Mitarbeiter des Landesamtes für Finanzen neue Heimat werden. In Niederbayern sollen nach der Neugründung des Verwaltungsgerichtes 40 Mitarbeiter im Mittelzentrum Freyung-Grafenau sowie im Mittelzentrum Zwiesel 300 Mitarbeiter des Landesamtes für Finanzen zur Berechnung der Grundsteuer angesiedelt werden. In Mittelfranken sollen der Verwaltungsgerichtshof mit 120 Mitarbeitern sowie weitere 40 Mitarbeiter der Landesanwaltschaft untergebracht werden. Und nach Oberbayern sollen je 500 Arbeitsplätze von der Regierung von Oberbayern in das Regionalzentrum Ingolstadt sowie in das Oberzentrum Rosenheim verlagert werden.
Rosenheims Bundestagsabgeordnete Daniela Ludwig (CSU) verbindet mit den künftigen „stabilen“ Arbeitsplätzen zusätzliche Kaufkraft und sichere Zukunft. Die Landtagsabgeordneten Otto Lederer und Klaus Stöttner (beide CSU) sprechen von einer „enormen Aufwertung der Region“ und dass betroffene Pendler „vielleicht die Chance bekommen, am Heimatort nicht nur zu leben, sondern auch zu arbeiten“. Hierbei preist Landratsvize Josef Huber (CSU) die Lebensqualität im Landkreis an. Rosenheims Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer (CSU) und Wirtschaftsdezernent Thomas Bugl sehen ebenfalls eine Stärkung des Wirtschaftsstandortes und empfehlen als Sitz der Regierung von Oberbayern Süd ein Areal des in kommunaler Hand befindlichen Bahnhofsgeländes Nord. Vorteil: Kurze Wege für Pendler.
Kandidaten zwischen Hochgefühl und Bedenken
Die angekündigte Behördenverlagerung, die von der schwarz-orangefarbenen Regierungskoalition erst noch abgesegnet werden muss, beeinflusst unmittelbar den Rosenheimer Kommunalwahlkampf: Die sieben Oberbürgermeisterkandidaten befürworten nahezu einstimmig die behördliche Dezentralisierung, mahnen jedoch – unterschiedlich prononciert – mehr Engagement für Verkehr, Wohnraum und Hightech an.
Oberbürgermeisterkandidat Andreas März (CSU) begrüßt „ausdrücklich“ die Entscheidung Söders. Durch die Verlagerung von 500 Stellen der Regierung von Oberbayern entstünden „krisensichere Arbeitsplätze für die Stadt und die Region, die für zusätzliche Kaufkraft und eine weitere Belebung Rosenheims sorgen“. Sollten Ingolstadt und Rosenheim „gespiegelte Funktionen“ erhalten, so wäre das laut dem 45-Jährigen „ideal“ und würde „äußerst kurze Wege zur Regierung garantieren“. Die zusätzlichen Studienplätze für die TH Rosenheim ermöglichten die Ausbildung weiterer Fachkräfte: „Da auch akademische Fachkräfte in der Region fehlen, ist dies in jedem Fall eine Bereicherung für die Region“, so März.
Christine Degenhart, Oberbürgermeisterkandidatin der Freien Wähler, bezeichnet das Vorhaben als „klares Signal für Aufbruch und Eigenständigkeit“. Gemeinsam mit Hubert Aiwanger (Freie Wähler), dem stellvertretenden Ministerpräsidenten von Bayern sowie Staatsminister für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie im Kabinett Söder II, unterstütze sie die „Aufwertung Rosenheims nach Kräften“. Wegen eines bestehenden Entwicklungsstaus sieht die 55-Jährige jedoch einen noch größeren „Kraftakt“ auf die Stadt zukommen: „Als Oberbürgermeisterin werde ich die Steilvorlage der Bayern-Koalition zu nutzen wissen und die Herausforderungen in puncto bezahlbares Wohnen, Verkehr und soziale Infrastruktur meistern – gemeinsam mit den Bürgern“, betont Degenhart: „So wird Rosenheim zur echten Metropole südlich von München – selbstbewusst, stark, eigenständig.“
Der Oberbürgermeisterkandidat der FDP, Lars Blumenhofer, wünscht sich mit Verweis auf einen neuen Regierungsbezirk München gleich Rosenheim als alleinigen Regierungssitz von Oberbayern. Der 47-Jährige mahnt, die „Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt“ müssten „noch aktiver“ angegangen werden. Er wolle „für weitere Hightech-Arbeitsplätze der internationalen Industrie aktiv werden“.
Franz Opperer, Oberbürgermeisterkandidat von Bündnis 90/DIE GRÜNEN, begrüßt ebenfalls die Dezentralisierung der Verwaltungseinheiten und die damit verbundenen Investitionen. Allerdings verstärkten die zu erwartenden Zuzüge und zusätzlichen Pendler den „Druck“ sowohl auf den angespannten Wohnungsmarkt als auch auf die Verkehrs- und Mobilitätsinfrastruktur. Deshalb erwartet der 54-Jährige, dass die Staatsregierung nicht nur die Behördenverlagerung finanziere, „sondern der Stadt auch die finanzielle Ausstattung zur Verfügung stellt, um die notwendigen infrastrukturellen Maßnahmen im Wohnungsbau, der Mobilitätsinfrastruktur, für Kinderbetreuungsplätze und Schulen mittel- und langfristig leisten zu können“. Rosenheim sollte zudem von der notwendigen digitalen Infrastruktur für diese neue Behörde profitieren, insbesondere im ⭲ Bereich der digitalen Verwaltung.
Ähnlich argumentiert Robert Metzger, Oberbürgermeisterkandidat der SPD, der sich „deutlich weniger euphorisch“ zeigt. So warnt der 54-Jährige eindringlich vor dem „Druck“ auf Rosenheims Infrastruktur durch bis zu 1.500 „Neurosenheimer“: „Derzeit fehlen in Rosenheim jetzt schon 1.000 bis 1.500 Wohnungen“, mahnt Metzger. Kämen weitere 500 Wohnraumsuchende hinzu, „werden die Mietpreise noch stärker steigen und die Wohnungssuche noch aussichtsloser als bisher“. Er fügt hinzu: „Wir haben aktuell schon sehr viele Einpendler, die unsere Straßen dichtmachen. Wenn nun in kurzer Zeit eine so große Zahl neuer Arbeitsplätze hinzukommt, werden wir Stausituationen haben wie in München am mittleren Ring“, meint Metzger. Nötig wäre nun, Flächen des Freistaates in der Stadt für Wohnraum zur Verfügung zu stellen, das Verkehrskonzept nachzuschärfen, Ganztagesplätze in der Kinderbetreuung einzuplanen, ein Schulplatzprogramm aufzulegen und dafür einen „Investitionstopf mit Mitteln des Freistaates“ anzulegen.
Oberbürgermeisterkandidatin Ricarda Krüger vom ⭲ „Bündnis für Rosenheim (BüRo)“ begrüßt zwar ebenfalls die Aufwertung Rosenheims als Oberzentrum, spricht aber auch von Nachteilen: So sei Wohnraum in Rosenheim kaum günstiger als in München, weshalb es viele Pendler und mehr Verkehr geben werde. „Ohne begleitende Maßnahmen zur Schaffung der nötigen Infrastruktur hinsichtlich Wohnraum und ÖPNV sehen wir das Vorhaben kritisch“, erklärt die 30-Jährige. Die Hightech-Agenda wäre zwar „eine überfällige Investition in Bildungs- und Forschungseinrichtungen“, denn teilweise bestehe seit Jahren Sanierungsbedarf. Insgesamt jedoch profitierten die kreisfreie Stadt, der Landkreis und die TH Rosenheim, „insbesondere die Bereiche Informatik und Clean Tech – wenn damit Forschung zum Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz gemeint ist“, so Krüger.
Andreas Kohlberger, Oberbürgermeisterkandidat der AfD, begrüßt die Behördenverlagerung. Der 50-Jährige möchte Mietpreise wie in München verhindern und sich „sehr für günstigen Wohnraum einsetzen“, wobei das Wohnen in Rosenheim für Studenten und Rentner „attraktiver“ werden soll.
Perspektive „Regierungsbezirk München“
Indessen verbindet Rosenheims Landtagsabgeordneter Andreas Winhart (AfD) mit der Behördenverlagerung einen „Investitionsschub für die Region“, begrüßt überdies die Perspektive eines neuen Regierungsbezirks München: „Die Landeshauptstadt ist überdominant in Oberbayern und hat ganz andere Probleme und Herausforderungen als das ländlich geprägte Umland“, erklärt Winhart. Eine stärkere Fokussierung auf die ländlichen Regionen sei „mehr als geboten“.
Dagegen hält Florian Weber, Landesvorsitzender der Bayernpartei aus Bad Aibling, die Rede vom Regierungsbezirk München für „reinen Aktionismus in Wahlkampfzeiten“: Neben der Regierung von Oberbayern müsste eine Regierung von München geschaffen werden, neben dem Münchener Stadtrat seien mit einem Bezirkstag München zwei Kommunalparlamente für das selbe Gebiet zuständig. Darüber hinaus verschärfte die Behördenverlagerung sowohl in Ingolstadt als auch in Rosenheim die Wohnungssituation. Daher mutmaßt Weber, Söder wolle auch aus persönlicher Eitelkeit die seit 200 Jahren bestehenden Bezirke ändern „und als großer Neugestalter Bayerns in die Geschichte eingehen“. ✻
Erstveröffentlichung
Print: Rosenheimer blick, Inntaler blick, Mangfalltaler blick, Wasserburger blick, 33. Jg., Nr. 6/2020, Samstag, 8. Februar 2020, S. 3, Kolumne „Lokales“ (Kurzfassung) [122/3/1/2].
Online: ⭱ blick-punkt.com, Dienstag, 4. Februar 2020; ⭱ E-Paper Rosenheimer blick, ⭱ E-Paper Inntaler blick, ⭱ E-Paper Mangfalltaler blick, ⭱ E-Paper Wasserburger blick, Samstag, 8. Februar 2020. Stand: Neujahr, 1. Januar 2024.