Kunststoff in deutschen Binnengewässern
Wie viel Mikroplastik schwimmt im Inn?
Rosenheim — Mikroplastik kommt inzwischen in allen Gewässern vor. Das besagt eine länderübergreifende Pilotstudie mit umfangreichen Daten aus Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Für die Studie wurden zwischen April 2014 und Oktober 2016 im Einzugsgebiet von Rhein und Donau 52 oberflächliche Wasserproben an 25 Flüssen entnommen. Von den mehr als 19.000 analysierten Partikeln wurden 4.335 eindeutig als industriell gefertigte Kunststoffteilchen identifiziert und hinsichtlich Polymertyp, Größe und Form charakterisiert. Sechs Messstellen lagen am viertwasserreichsten Fluss Deutschlands, dem Inn: flussaufwärts gesehen zwei bei Kirchdorf, eine bei Raubling, zwei bei Rosenheim und eine bei Gars. Die Anzahl der gefundenen Partikel variierte teils beträchtlich.
Weltweit werden jährlich über 300 Millionen Tonnen Plastik hergestellt – Tendenz steigend. Allein in Europa lag der Plastikbedarf 2016 bei 49,9 Millionen Tonnen. Der Anteil unsachgemäß entsorgter Plastikabfälle ist unbekannt, ebenso die Menge des in den Abwasserpfad eingebrachten Mikroplastiks. Obschon Flüsse als Eintragspfad für Mikroplastik in marine Ökosysteme angesehen werden, fehlen bislang wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über die ökologischen Auswirkungen in Binnengewässern. Als erwiesen gilt, dass zahlreiche Organismen Mikroplastik aufnehmen. Welche Effekte die aktuellen Umweltkonzentrationen auslösen, ist hingegen umstritten.
Eine länderübergreifende, einheitliche Untersuchung in den großen Flussgebieten des Rheins und der Donau liefert nun den ersten Überblick zur „zivilisatorischen Grundlast von Kunststoffpartikeln“ in deutschen Gewässern. Auftraggeber sind die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW), das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU), das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG), das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) sowie das Landesamt für Umwelt (LfU) Rheinland-Pfalz.
Von den gefundenen Kunststoffteilchen waren 99 Prozent kleiner als fünf Millimeter, also Mikroplastik. Mit rund 62 Prozent kamen hierbei Partikel mit einer Größe zwischen 0,3 Millimeter bis 0,02 Millimeter am häufigsten vor. Die unregelmäßig geformten Partikel bestanden zumeist aus den Kunststoffsorten Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) – die häufigsten Bestandteile von Verpackungen und Bedarfsgegenständen aus Kunststoff. Daneben wurden an einem großen Teil der Messstellen Plastikfasern gefunden, die sich etwa beim Waschen von Synthetik-Kleidung lösen. Andere Partikelformen wie Folienreste, sogenannte Beads – Kügelchen – und Pellets, wurden seltener nachgewiesen. Kleine und mittlere Nebengewässer enthielten höhere Partikelkonzentrationen als größere Gewässer, denn größeres Wasservolumen trägt zu einer stärkeren Vermischung und damit Abnahme der Partikelkonzentration bei.
Messungen am Inn
Sechs der 52 Wasserproben wurden am Inn genommen: 2015 und 2016 bei Kirchdorf, 2016 bei Raubling, 2015 unterhalb Rosenheims, 2016 oberhalb Rosenheims und 2015 bei Gars. Die Messergebnisse zeigen kein eindeutiges Bild. So betrug 2015 die Konzentration an Mikroplastik an den Messstellen bei Kirchdorf 52,28 Partikel/m³ und unterhalb von Rosenheim 46,97 Partikel/m³. Deutlich höher lag die Konzentration an der unterhalb von Wasserburg a.Inn gelegenen Messstelle Gars mit 105,44 Partikel/m³. Die in 2016 durchgeführten Messungen ergaben hingegen für Kirchdorf eine sehr geringe Plastikbelastung mit 9,11 Partikel/m³. Flussabwärts wurden jedoch deutlich höhere Partikelkonzentrationen nachgewiesen: an der Messstelle bei Raubling 97,09 Partikel/m³ sowie direkt oberhalb von Rosenheim 79,5 Partikel/m³.
Die Untersuchungen zeigten zudem Unterschiede bei den Größen des identifizierten Mikroplastiks: Alle geprüften Gewässer wiesen an mindestens einer Messstelle Partikel mit einer Größe zwischen fünf Millimeter und einem Millimeter auf. Der prozentuale Anteil dieser Größenklasse an Mikroplastik war dabei eher gering: maximal 1,2 Prozent an der Isar, 15,8 Prozent an der Donau und immerhin 28,3 Prozent am Inn.
Hinsichtlich der Polymerzusammensetzung dominierten PE oder PP. Sie lag 2015 an Donau, Altmühl, Isar und Inn bei über 90 Prozent. Der Umfang von Polystyrol (PS), Polyamid (PA), Polyvinylchlorid (PVC) sowie Polyethylenterephthalat (PET) und Polyethersulfon (PES) war hingegen gering.
Eine Einzelbetrachtung der Messstellen am Inn ergab, dass sich die Polymerzusammensetzung von Mikroplastik bei Kirchdorf auf PP, PS sowie PET/PES beschränkte. An den flussabwärts gelegenen Messstellen wurde laut Studie zudem PVC „in nicht unerheblichen Mengen nachgewiesen“: Dessen Anteil lag bei Raubling bei 25,9 Prozent, an der Messstelle kurz vor Rosenheim sogar bei 65 Prozent. Hier wurden überdies geringe Anteile Styrol-Acrylnitril-Copolymere (SAN) und Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymere (ABS) detektiert (10,8 Prozent), ebenso PS (4,5 Prozent) und PET/PES (4,8 Prozent).
Beinhalteten die Wasserproben bei Kirchdorf ausschließlich Mikroplastik aus Fragmenten (87 Prozent) und Fasern (13 Prozent), so wurden flussabwärts zusätzlich Folienstücke identifiziert: bei Raubling mit einem Anteil von 13,4 Prozent und oberhalb von Rosenheim mit einem Anteil von 0,5 Prozent.
Weitere Einträge vermeiden
Die Forschung zu Mikroplastik in der Umwelt und den möglichen Folgen steht noch am Anfang. Die aktuellen Untersuchungen dienen dazu, die Wissensbasis zu verbreitern, Probenahme- und Analyseverfahren zu entwickeln und künftige Monitoringprogramme zu entwerfen. Die vorgelegte Studie empfiehlt allerdings, im Sinne des Vorsorgeprinzips frühzeitig Maßnahmen zur Verminderung weiterer Einträge einzuleiten, „um eine fortschreitende Akkumulation dieser hochpersistenten Materialien zu vermeiden“. ✻
Erstveröffentlichung
Print: Rosenheimer blick, Inntaler blick, Mangfalltaler blick, Wasserburger blick, 31. Jg., Nr. 12/2018, Samstag, 24. März 2018, S. 6, Kolumne „Lokales“ (Kurzfassung) [140/3/–/1]; Inn-Salzach blick, 10. Jg., Nr. 12/2018, Samstag, 24. März 2018, S. 1f., Kolumne „Leitartikel“ (Langfassung) [199/3/–/8].
Online: ⤉ blick-punkt.com, Mittwoch, 21. März 2018; ⭱ E-Paper Rosenheimer blick, ⭱ E-Paper Inntaler blick, ⭱ E-Paper Mangfalltaler blick, ⭱ E-Paper Wasserburger blick, ⭱ E-Paper Inn-Salzach blick, Samstag, 24. März 2018. Stand: Neujahr, 1. Januar 2025.